Julius Tandler: Unterschied zwischen den Versionen

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Tandler Julius * 16. Februar 1869 Iglau, Mähren (Jihlava, Tschechische Repubilk), † 25/26. August 1936 Moskau (Wiener Krematorium, Urnenhain, Nische im linken Mauerbogen [Widmung ehrenhalber und Inobhutnahme durch die Stadt Wien, Bürgermeister-Entschluss vom 11. September 1950]), Anatom, Sozialpolitiker, Sohn des Kaufmanns Moritz Tandler (ab 1871 in Wien). Studierte an der Universität Wien (Dr. med. Universität 1895) und wurde 1895 Assistent bei [[Emil Zuckerkandl]] (1896 erster Assistent an der ersten Anatomischen Lehrkanzel).  
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Julius Tandler, * 16. Februar 1869 Iglau, Mähren (Jihlava, Tschechische Republik), † 25./26. August 1936 Moskau. Anatom, Sozialpolitiker.
  
Nach Habilitation (1899) erhielt er 1910 den Lehrstuhl für Anatomie an der Universität Wien (1914-1917 Dekan der medizinischen Fakultät). 1919 wurde Tandler in den Gemeinderat gewählt. Nachdem er von Mai 1919 bis Oktober 1920 Unterstaatssekretär für Volksgesundheit gewesen war, folgte er am 22. November einer Berufung als amtsführender Stadtrat für Wohlfahrtspflege. Er drückte der Gesundheits-, Fürsorge- und Jugendpolitik der Sozialdemokraten in den 20er Jahren den Stempel seiner Persönlichkeit auf; die in seinem Ressort erbrachten Leistungen wurden beispielgebend und erweckten das Interesse der Welt. Tandler reorganisierte das Jugend- und das Gesundheitsamt, wobei er einen Primat der Jugendfürsorge fixierte sowie der Bekämpfung der Säuglingsterblichkeit, der Tuberkulose (Pavillon im Lainzer Krankenhaus, Baumgartner Höhe) und der prophylaktischen [[Gesundheitsfürsorge]] besonderes Augenmerk widmete. Tandler schuf Kindergärten (darunter viele "Volkskindergärten" mit längeren Öffnungszeiten), Kinderhorte ([[Hort]]), [[Mutterberatungsstellen]], [[Schulzahnklinik|Schulzahnkliniken]], die [[Kinderübernahmestelle]] (1925) und das Kinderheim [[Wilhelminenberg (Kinderheim)|Wilhelminenberg]] (1927); er organisierte das Schularztwesen, führte das kostenlose [[Säuglingswäschepaket]] ein, baute das [[Lainzer Krankenhaus]] aus (auch Sonderabteilung für Stoffwechselerkrankungen und für Strahlentherapie), übernahm private [[Kinderspital|Kinderspitäler]], baute das [[Brigittaspital]] zu einem städtischen Entbindungsheim um, errichtete Volksbäder (beispielsweise [[Amalienbad]]), Sommerbäder und [[Kinderfreibad|Kinderfreibäder]], sorgte für den Ausbau von Parkanlagen und Sportplätzen (Einrichtung eines Sportbeirats 1927, Bau des [[Stadion|Stadions]]) und widmete sich unter anderem der Trinker- und Erwachsenenfürsorge. Aus gesundheitlichen Gründen erbat Tandler 1933 Urlaub und suchte in anderen Ländern, in denen er in wissenschaftlichen Angelegenheiten konsultiert wurde, Erholung zu finden; er fuhr nach China und erhielt dort (1934) die Nachricht von den in Wien ausgebrochenen blutigen Kämpfen. Sofort eilte er nach Wien zurück, wurde zeitweise inhaftiert und seines Lehrstuhls für verlustig erklärt. Tief verletzt kehrte er Österreich den Rücken und begab sich wieder nach China, wo ihn eine Einladung der Sowjetunion erreichte, als zeitweilig Berater Richtlinien zur Reformierung des Medizinstudiums auszuarbeiten sowie Ambulatorien und Spitäler zu reorganisieren. Tandler nahm an, verstarb jedoch wenig später in Moskau.  
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== Familie und Bildungsweg==
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Julius Tandler (und seine sechs Geschwister) stammten aus bescheidenen Verhältnissen. Sein Vater Moritz Tandler, ein jüdischer Kaufmann in Iglau, war in dieser Profession gescheitert; er kam mit der Familie 1871 nach Wien und fand hier eine Stellung als Redaktionsdiener.
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Julius Tandler musste sich das Geld für sein Mittelschul- und Universitätsstudium selbst verdienen. 1895 wurde er zum Doktor der Medizin promoviert und arbeitete als Assistent bei [[Emil Zuckerkandl]]. 1899 habilitierte er sich. 1900 heiratete er Olga Rosa Antonie Klauber.
  
Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen (darunter Anatomie des Herzens, 1913; Topographische Anatomie dringlicher Operationen, 1916; Lehrbuch der systematischen Anatomie, vier Bände, 1918-1924; Anatomie für Zahnärzte, 1928; Das Wohlfahrtsamt der Stadt Wien, 1931); Herausgeber der "Zeitschrift für Konstitutionspathologie".  
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1910 erhielt er den Lehrstuhl für Anatomie an der Universität Wien. Von 1914 bis 1917 war er Dekan der Medizinischen Fakultät.  
  
Gedenktafeln am Wohnhaus 9, Beethovengasse 8 (Tür 8; 1907-1936; enthüllt 25. August 1986) und in der Kinderübernahmestelle (enthüllt 25. August 1946). [[Fürsorge]], [[Julius-Tandler-Medaille]] ("Professor-Dr.-Julius-Tandler- Medaille der Stadt Wien").
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Julius Tandler war einer der Ärzte, die den Weltruf der Wiener medizinischen Schule mitbegründeten. Er sah die Aufgabe des Arztes nicht nur im Behandeln, sondern auch im Verhindern von Krankheiten und engagierte sich sehr in sozialen Fragen. Kritisch zu sehen ist heute seine Einstellung zu "unwertem Leben", auch wenn er für die Umsetzung seiner Ideen keine medizinischen Zwangsmaßnahmen, sondern eine auf Aufklärung der Bevölkerung – etwa im Bereich der Eheberatung und Familienplanung – basierende "positive Eugenik" vorschlug.  
  
Laut Abschlussbericht der im Auftrag der Universität Wien und der Stadt Wien eingesetzten Forschungsgruppe zur Untersuchung und Kontextualisierung der Benennung der Wiener Straßennamen seit 1860 vertrat Julius Tandler eine widersprüchliche Eugenik-Rhetorik in Bezug auf seine Gesundheits- und Bevölkerungspolitik, in der er sich sowohl für positive eugenische Maßnahmen, zugleich aber auch für das Recht auf Leben des Einzelnen aussprach (siehe zum Beispiel "Wiener Medizinische Wochenschrift" 1924, Nummer 4–6). Seine diesbezüglichen gesundheitspolitischen Ziele wollte Tandler allerdings nicht durch medizinische Zwangsmaßnahmen (wie im Unterschied beispielsweise von Vertretern der "negativen Eugenik“ postuliert), sondern durch Beratung und Aufklärung innerhalb der Bevölkerung erreichen.
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=Politische Laufbahn – Reformen==
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1919 wurde Julius Tandler in den Gemeinderat gewählt und zum Unterstaatssekretär und Leiter des Volksgesundheitsamtes bestellt. In dieser Funktion schuf er 1920 das Krankenanstaltengesetz und sicherte damit den österreichischen Krankenhäusern, die bis dahin durch wohltätige Fonds finanziert worden waren, die Übernahme der Kosten durch Bund, Länder und Gemeinden.
  
[[Julius-Tandler-Platz]], [[Tandlerdenkmal]]
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Am 22. November 1920 folgte er einer Berufung als amtsführender Stadtrat für Wohlfahrtspflege. Die in der Ersten Republik in seinem Ressort Gesundheits-, [[Fürsorge]]- und Jugendpolitik erbrachten Leistungen waren beispielgebend und fanden internationales Interesse. Tandler reorganisierte das Jugend- und das Gesundheitsamt – mit den Schwerpunkten Jugendfürsorge, Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und der Tuberkulose (Pavillon im Lainzer Krankenhaus, Baumgartner Höhe) und prophylaktische [[Gesundheitsfürsorge]].
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Kindergärten (darunter viele "Volkskindergärten" mit längeren Öffnungszeiten) und [[Hort|Horte]]) wurden geschaffen – ebenso wie [[Mutterberatungsstellen]] und [[Schulzahnklinik|Schulzahnkliniken]]. Die 1925 eröffnete [[Kinderübernahmestelle]] war das erste Institut dieser Art in Europa. Das Schloss [[Wilhelminenberg (Kinderheim)|Wilhelminenberg]] wurde 1927 als Kinderheim eingerichtet. Im selben Jahr wurde das kostenlose [[Säuglingswäschepaket]] bei gleichzeitiger gesundheitlicher Kontrolle der werdenden Mütter eingeführt.
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Julius Tandler war verantwortlich für den Ausbau des [[Lainzer Krankenhaus|Lainzer Krankenhauses]] (Sonderabteilungen für Stoffwechselerkrankungen und für Strahlentherapie), die Übernahme privater [[Kinderspital|Kinderspitäler]] und den Umbau des [[Brigittaspital|Brigittaspitals]] zu einem städtischen Entbindungsheim.
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Er ließ Volksbäder (beispielsweise das [[Amalienbad]]), Sommerbäder und [[Kinderfreibad|Kinderfreibäder]] sowie Sportplätze (darunter das [[Stadion|Praterstadion]] ) errichten und hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die städtischen Gartenanlagen von 1921 bis 1932 von knapp 2 auf 3,3 Millionen Quadratmeter wuchsen.
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==Auslandsaufenthalte==
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1933 folgte Julius Tandler einer wissenschaftlichen Berufung nach China. Als er dort vom Ausbruch der Februarkämpfe 1934 erfuhr, kehrte er sofort nach Wien zurück, wo er von den Austrofaschisten vorübergehend verhaftet wurde und schließlich sogar seine Professur verlor.
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Tief verletzt verließ er Österreich, kehrte zunächst nach China zurück und folgte dann einer Einladung der Sowjetunion, als Berater an der Reform des Gesundheitswesens mitzuwirken. Er starb jedoch an Herzversagen in der Nacht vom 25. zum 26. August 1936 in Moskau, bevor er dieses Projekt in Angriff nehmen konnte.
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==Ehrungen==
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1950 wurde an der Stirnseite des linken Arkadengangs der Feuerhalle Simmering ein gemeinsames Urnendenkmal für Julius Tandler, [[Robert Danneberg]] und [[Hugo Breitner]] errichtet (Abteilung ML, Gruppe 1, Nummer 1A).
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Gedenktafeln für Julius Tandler wurden 1946 an der [[Kinderübernahmestelle]] und 1986 an seinem Wohnhaus Wien 9, Beethovengasse 8, enthüllt. 1949 wurde der [[Julius-Tandler-Platz|Julius Tandler-Platz]] nach ihm benannt. Im Arkadenhof der Universität Wien steht eine [[Tandlerdenkmal|Büste]].
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Seit 1960 wird die [[Julius-Tandler-Medaille]] an Personen, die sich auf sozialem Gebiet Verdienste erworben haben, vergeben.
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==Werke==
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(Auswahl)
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* Das Kind im Wachsen und Werden. Vortrag in der Jahreshauptversammlung des Vereines Freie Schule. Wien: Verlag des Vereines Freie Schule 1912
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* Anatomie des Herzens, Jena: Fischer 1913
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* Die biologischen Grundlagen der sekundären Geschlechtscharaktere. (Mit Siegfried Grosz.) Berlin: Springer 1913
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* Topographische Anatomie dringlicher Operationen, Berlin: Springer 1916
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* Lehrbuch der systematischen Anatomie, vier Bände. Leipzig: Vogel 1918-1924
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* Wohltätigkeit oder Fürsorge? Wien: Verlag der Organisation Wien der Sozialdemokratischen Partei 1925
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* Anatomie für Zahnärzte. (Mit Harry Sicher.). Wien / Berlin: Springer 1928
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* Das Wohlfahrtsamt der Stadt Wien und seine Einrichtungen 1921-1931. Wiener Magistrat 1931
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* Volk in China. Erlebnisse und Erfahrungen. Wien: Thalia 1935
  
 
==Literatur==
 
==Literatur==
*Isidor Fischer [Hg.]: Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Band 2: Kon-Zweig. Nachträge und Berichtigungen. München: Urban & Schwarzenberg 1963
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(Auswahl)
*Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitgeschichte. Hg. von Franz Planer. Wien: F. Planer 1929
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* Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon. Wien: Ueberreuter 1992, S. 479
*Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon [der Ersten und Zweiten Republik]. Wien: Ueberreuter 1992  
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* Felix Czeike: Wirtschafts- und Sozialpolitik der Gemeinde Wien in der Ersten Republik (1919-1934). Wien [u. a.]: Jugend und Volk 1959. (Wiener Schriften. Hg. vom Amt für Kultur, Schulverwaltung der Stadt Wien, Heft 11). S. 149-211, S. 212-270
*Gertrud Pfaundler: Tirol-Lexikon. Ein Nachschlagewerk über Menschen und Orte des Bundeslandes Tirol. Innsbruck: Rauchdruck 1983
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* Felix Czeike: Wien und seine Bürgermeister. Sieben Jahrhunderte Wiener Stadtgeschichte. Wien / München: Jugend und Volk 1974, S. 406-432
*Karl Sablik: Julius Tandler. Mediziner und Sozialreformer. Eine Biographie. Wien: Schendl 1983
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* Alfred Gisel: Julius Tandler. In: Norbert Leser [Hg.]: Werk und Widerhall. Große Gestalten des österreichischen Sozialismus. Wien: Wiener Volksbuchhandlung 1964, S. 409-414
*Karl Sablik.: Julius Tandler. In: Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anläßlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken, 30.07.1986
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* Alfred Gisel: Julius Tandler. In: Friedrich Stadler [Hg.]: Vertriebene Vernunft. Band 2: Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft. Wien [u. a.]: Jugend und Volk 1988, S. 815-818
*Erna Lesky: Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Wien [u.a.]: Böhlau 1965 (Studien zur Geschichte der Universität Wien, 6), S. 508 f.
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* Alfred Goetzl / Ralph Arthur Reynolds: Julius Tandler. A Biography. San Francisco 1944
*Norbert Leser [Hg.]: Werk und Widerhall. Große Gestalten des österreichischen Sozialismus. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1964, S. 409 ff.
+
* Erna Lesky: Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Wien [u.a.]: Böhlau 1965 (Studien zur Geschichte der Universität Wien, 6), S. 508-509
*Felix Czeike: Wien und seine Bürgermeister. Sieben Jahrhunderte Wiener Stadtgeschichte. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1974, S. 406 ff.
+
* Alfred Magaziner: Julius Tandler, berühmter Arzt und Stadtrat. In: Alfred Magaziner: Die Wegbereiter. Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Wien: Volksbuchverlag 1975, S. 148-151
*Felix Czeike: Wirtschafts- und Sozialpolitik der Gemeinde Wien in der Ersten Republik (1919-1934) 2. In: Wiener Schriften. Hg. vom Amt für Kultur, Schulverwaltung der Stadt Wien. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 11 (1959), S. 149 ff., S. 212 ff.
+
* Karl Sablik: Julius Tandler. Mediziner und Sozialreformer. Eine Biographie. Wien: Schendl 1983
*Friedrich Stadler [Hg.]: Vertriebene Vernunft. Band 2: Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft. Wien [u.a.]: Jugend und Volk 1988, S. 815  
+
* Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u. a.]: Jugend und Volk 1988, S. 179, S. 184-187
*Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1988, S. 179, S. 184 ff.
+
* Franz Vogel: Tandler Julius. In: Jean Maitron / Georges Haupt [Hg.]: Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier international. Band 1: Autriche. Paris: Éditions Ouvrières 1971, S. 305-306
*Fritz Knoll: Österreichische Naturforscher, Ärzte und Techniker. Hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien: Verlag der Gesellschaft für Natur und Technik 1957, S. 95
+
 
*Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anläßlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken; 30.07.1986
+
==Links==
*Gerhard Frank: Julius Tandler. In: Der Kampf Neue Folge 3 (1936), S. 399 ff.  
+
* [http://austria-forum.org/af/AEIOU/Tandler%2C_Julius Austria Forum: Tandler, Julius]
*Wien aktuell. Revue einer europäischen Metropole. Wien: Jugend & Volk 1 (1982), S. 20 f., 4 (1982), S. 8 f.
+
* [http://www.dasrotewien.at/tandler-julius.html Das rote Wien. Lexikon der Wiener Sozialdemokratie: Tandler, Julius]
*Wiener Zeitung, 27.08.1937, 23.08.1986
 
*Hans Markl: Kennst du die berühmten letzten Ruhestätten auf den Wiener Friedhöfen? Band 1: Zentralfriedhof und Krematorium (Urnenhain). Wien: Pechan 1961, S. 166
 
* Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 151 f.
 
* Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013
 

Version vom 20. März 2016, 20:01 Uhr

Daten zur Person
Personenname Tandler, Julius
Abweichende Namensform
Titel Dr. med., Univ. Prof.
Geschlecht männlich
PageID 22894
GND
Wikidata
Geburtsdatum 16. Februar 1869
Geburtsort Iglau, Mähren
Sterbedatum Der Datenwert „25./26.08.1936“ besteht aus mehr als den drei für die Interpretation der Datumsangabe erforderlichen Bestandteilen. 25. August 1936
Sterbeort Moskau
Beruf Sozialpolitiker, Mediziner
Parteizugehörigkeit Sozialdemokrat
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage
Export RDF-Export (Resource Description Framework) RDF
Recherche
Letzte Änderung am 20.03.2016 durch DYN.elfriede pokorny
Begräbnisdatum 12. November 1950
Friedhof Feuerhalle Simmering
Grabstelle Mauer links, Gruppe 1, Nr. 1 A
Ehrengrab ja„ja“ befindet sich nicht in der Liste (historisches Grab, ehrenhalber gewidmetes Grab, Ehrengrab) zulässiger Werte für das Attribut „Ehrengrab“.
  • 9., Beethovengasse 8 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

  • Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Wien )
  • Abgeordneter zum Wiener Landtag und Mitglied des Wiener Gemeinderates (1919 bis 1934)
  • Stadtrat für Wohlfahrtswesen (1920 bis 1934)
  • Unterstaatssekretär im Volksgesundheitsamt (1919 bis 1920)

Julius Tandler, * 16. Februar 1869 Iglau, Mähren (Jihlava, Tschechische Republik), † 25./26. August 1936 Moskau. Anatom, Sozialpolitiker.

Familie und Bildungsweg

Julius Tandler (und seine sechs Geschwister) stammten aus bescheidenen Verhältnissen. Sein Vater Moritz Tandler, ein jüdischer Kaufmann in Iglau, war in dieser Profession gescheitert; er kam mit der Familie 1871 nach Wien und fand hier eine Stellung als Redaktionsdiener.

Julius Tandler musste sich das Geld für sein Mittelschul- und Universitätsstudium selbst verdienen. 1895 wurde er zum Doktor der Medizin promoviert und arbeitete als Assistent bei Emil Zuckerkandl. 1899 habilitierte er sich. 1900 heiratete er Olga Rosa Antonie Klauber.

1910 erhielt er den Lehrstuhl für Anatomie an der Universität Wien. Von 1914 bis 1917 war er Dekan der Medizinischen Fakultät.

Julius Tandler war einer der Ärzte, die den Weltruf der Wiener medizinischen Schule mitbegründeten. Er sah die Aufgabe des Arztes nicht nur im Behandeln, sondern auch im Verhindern von Krankheiten und engagierte sich sehr in sozialen Fragen. Kritisch zu sehen ist heute seine Einstellung zu "unwertem Leben", auch wenn er für die Umsetzung seiner Ideen keine medizinischen Zwangsmaßnahmen, sondern eine auf Aufklärung der Bevölkerung – etwa im Bereich der Eheberatung und Familienplanung – basierende "positive Eugenik" vorschlug.

Politische Laufbahn – Reformen=

1919 wurde Julius Tandler in den Gemeinderat gewählt und zum Unterstaatssekretär und Leiter des Volksgesundheitsamtes bestellt. In dieser Funktion schuf er 1920 das Krankenanstaltengesetz und sicherte damit den österreichischen Krankenhäusern, die bis dahin durch wohltätige Fonds finanziert worden waren, die Übernahme der Kosten durch Bund, Länder und Gemeinden.

Am 22. November 1920 folgte er einer Berufung als amtsführender Stadtrat für Wohlfahrtspflege. Die in der Ersten Republik in seinem Ressort Gesundheits-, Fürsorge- und Jugendpolitik erbrachten Leistungen waren beispielgebend und fanden internationales Interesse. Tandler reorganisierte das Jugend- und das Gesundheitsamt – mit den Schwerpunkten Jugendfürsorge, Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und der Tuberkulose (Pavillon im Lainzer Krankenhaus, Baumgartner Höhe) und prophylaktische Gesundheitsfürsorge.

Kindergärten (darunter viele "Volkskindergärten" mit längeren Öffnungszeiten) und Horte) wurden geschaffen – ebenso wie Mutterberatungsstellen und Schulzahnkliniken. Die 1925 eröffnete Kinderübernahmestelle war das erste Institut dieser Art in Europa. Das Schloss Wilhelminenberg wurde 1927 als Kinderheim eingerichtet. Im selben Jahr wurde das kostenlose Säuglingswäschepaket bei gleichzeitiger gesundheitlicher Kontrolle der werdenden Mütter eingeführt.

Julius Tandler war verantwortlich für den Ausbau des Lainzer Krankenhauses (Sonderabteilungen für Stoffwechselerkrankungen und für Strahlentherapie), die Übernahme privater Kinderspitäler und den Umbau des Brigittaspitals zu einem städtischen Entbindungsheim.

Er ließ Volksbäder (beispielsweise das Amalienbad), Sommerbäder und Kinderfreibäder sowie Sportplätze (darunter das Praterstadion ) errichten und hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die städtischen Gartenanlagen von 1921 bis 1932 von knapp 2 auf 3,3 Millionen Quadratmeter wuchsen.

Auslandsaufenthalte

1933 folgte Julius Tandler einer wissenschaftlichen Berufung nach China. Als er dort vom Ausbruch der Februarkämpfe 1934 erfuhr, kehrte er sofort nach Wien zurück, wo er von den Austrofaschisten vorübergehend verhaftet wurde und schließlich sogar seine Professur verlor.

Tief verletzt verließ er Österreich, kehrte zunächst nach China zurück und folgte dann einer Einladung der Sowjetunion, als Berater an der Reform des Gesundheitswesens mitzuwirken. Er starb jedoch an Herzversagen in der Nacht vom 25. zum 26. August 1936 in Moskau, bevor er dieses Projekt in Angriff nehmen konnte.

Ehrungen

1950 wurde an der Stirnseite des linken Arkadengangs der Feuerhalle Simmering ein gemeinsames Urnendenkmal für Julius Tandler, Robert Danneberg und Hugo Breitner errichtet (Abteilung ML, Gruppe 1, Nummer 1A).

Gedenktafeln für Julius Tandler wurden 1946 an der Kinderübernahmestelle und 1986 an seinem Wohnhaus Wien 9, Beethovengasse 8, enthüllt. 1949 wurde der Julius Tandler-Platz nach ihm benannt. Im Arkadenhof der Universität Wien steht eine Büste.

Seit 1960 wird die Julius-Tandler-Medaille an Personen, die sich auf sozialem Gebiet Verdienste erworben haben, vergeben.

Werke

(Auswahl)

  • Das Kind im Wachsen und Werden. Vortrag in der Jahreshauptversammlung des Vereines Freie Schule. Wien: Verlag des Vereines Freie Schule 1912
  • Anatomie des Herzens, Jena: Fischer 1913
  • Die biologischen Grundlagen der sekundären Geschlechtscharaktere. (Mit Siegfried Grosz.) Berlin: Springer 1913
  • Topographische Anatomie dringlicher Operationen, Berlin: Springer 1916
  • Lehrbuch der systematischen Anatomie, vier Bände. Leipzig: Vogel 1918-1924
  • Wohltätigkeit oder Fürsorge? Wien: Verlag der Organisation Wien der Sozialdemokratischen Partei 1925
  • Anatomie für Zahnärzte. (Mit Harry Sicher.). Wien / Berlin: Springer 1928
  • Das Wohlfahrtsamt der Stadt Wien und seine Einrichtungen 1921-1931. Wiener Magistrat 1931
  • Volk in China. Erlebnisse und Erfahrungen. Wien: Thalia 1935

Literatur

(Auswahl)

  • Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon. Wien: Ueberreuter 1992, S. 479
  • Felix Czeike: Wirtschafts- und Sozialpolitik der Gemeinde Wien in der Ersten Republik (1919-1934). Wien [u. a.]: Jugend und Volk 1959. (Wiener Schriften. Hg. vom Amt für Kultur, Schulverwaltung der Stadt Wien, Heft 11). S. 149-211, S. 212-270
  • Felix Czeike: Wien und seine Bürgermeister. Sieben Jahrhunderte Wiener Stadtgeschichte. Wien / München: Jugend und Volk 1974, S. 406-432
  • Alfred Gisel: Julius Tandler. In: Norbert Leser [Hg.]: Werk und Widerhall. Große Gestalten des österreichischen Sozialismus. Wien: Wiener Volksbuchhandlung 1964, S. 409-414
  • Alfred Gisel: Julius Tandler. In: Friedrich Stadler [Hg.]: Vertriebene Vernunft. Band 2: Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft. Wien [u. a.]: Jugend und Volk 1988, S. 815-818
  • Alfred Goetzl / Ralph Arthur Reynolds: Julius Tandler. A Biography. San Francisco 1944
  • Erna Lesky: Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Wien [u.a.]: Böhlau 1965 (Studien zur Geschichte der Universität Wien, 6), S. 508-509
  • Alfred Magaziner: Julius Tandler, berühmter Arzt und Stadtrat. In: Alfred Magaziner: Die Wegbereiter. Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Wien: Volksbuchverlag 1975, S. 148-151
  • Karl Sablik: Julius Tandler. Mediziner und Sozialreformer. Eine Biographie. Wien: Schendl 1983
  • Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u. a.]: Jugend und Volk 1988, S. 179, S. 184-187
  • Franz Vogel: Tandler Julius. In: Jean Maitron / Georges Haupt [Hg.]: Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier international. Band 1: Autriche. Paris: Éditions Ouvrières 1971, S. 305-306

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