Julius Tandler

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Daten zur Person
Personenname Tandler, Julius
Abweichende Namensform
Titel Dr. med., Univ.Prof.
Geschlecht männlich
PageID 22894
GND
Wikidata
Geburtsdatum 16. Februar 1869
Geburtsort Iglau, Mähren
Sterbedatum 25. August 1936
Sterbeort Moskau
Beruf Sozialpolitiker, Mediziner
Parteizugehörigkeit Sozialdemokrat
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage
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Letzte Änderung am 15.12.2014 durch DYN.leopolm7
Begräbnisdatum 12. November 1950
Friedhof
Grabstelle Feuerhalle Simmering, Gruppe ML Gruppe 1 Nr. 1 A
  • 9., Beethovengasse 8 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

  • Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Wien )
  • Abgeordneter zum Wiener Landtag und Mitglied des Wiener Gemeinderates (1919 bis 1934)
  • Stadtrat für Wohlfahrtswesen (1920 bis 1934)
  • Unterstaatssekretär im Volksgesundheitsamt (1919 bis 1920)

Tandler Julius * 16. Februar 1869 Iglau, Mähren (Jihlava, Tschechische Repubilk), † 25/26. August 1936 Moskau (Wiener Krematorium, Urnenhain, Nische im linken Mauerbogen [Widmung ehrenhalber und Inobhutnahme durch die Stadt Wien, Bürgermeister-Entschluss vom 11. September 1950]), Anatom, Sozialpolitiker, Sohn des Kaufmanns Moritz Tandler (ab 1871 in Wien). Studierte an der Universität Wien (Dr. med. Universität 1895) und wurde 1895 Assistent bei Emil Zuckerkandl (1896 erster Assistent an der ersten Anatomischen Lehrkanzel). Nach Habilitation (1899) erhielt er 1910 den Lehrstuhl für Anatomie an der Universität Wien (1914-1917 Dekan der medizinischen Fakultät). 1919 wurde Tandler in den Gemeinderat gewählt. Nachdem er von Mai 1919 bis Oktober 1920 Unterstaatssekretär für Volksgesundheit gewesen war, folgte er am 22. November einer Berufung als amtsführender Stadtrat für Wohlfahrtspflege. Er drückte der Gesundheits-, Fürsorge- und Jugendpolitik der Sozialdemokraten in den 20er Jahren den Stempel seiner Persönlichkeit auf; die in seinem Ressort erbrachten Leistungen wurden beispielgebend und erweckten das Interesse der Welt. Tandler reorganisierte das Jugend- und das Gesundheitsamt, wobei er einen Primat der Jugendfürsorge fixierte sowie der Bekämpfung der Säuglingsterblichkeit, der Tuberkulose (Pavillon im Lainzer Krankenhaus, Baumgartner Höhe) und der prophylaktischen Gesundheitsfürsorge besonderes Augenmerk widmete. Tandler schuf Kindergärten (darunter viele „Volkskindergärten" mit längeren Öffnungszeiten), Kinderhorte (Hort), Mutterberatungsstellen, Schulzahnkliniken, die Kinderübernahmestelle (1925) und das Kinderheim Wilhelminenberg (1927); er organisierte das Schularztwesen, führte das kostenlose Säuglingswäschepaket ein, baute das Lainzer Krankenhaus aus (auch Sonderabteilung für Stoffwechselerkrankungen und für Strahlentherapie), übernahm private Kinderspitäler, baute das Brigittaspital zu einem städtischen Entbindungsheim um, errichtete Volksbäder (beispielsweise Amalienbad), Sommerbäder und Kinderfreibäder, sorgte für den Ausbau von Parkanlagen und Sportplätzen (Einrichtung eines Sportbeirats 1927, Bau des Stadions) und widmete sich unter anderem der Trinker- und Erwachsenenfürsorge. Aus gesundheitlichen Gründen erbat Tandler 1933 Urlaub und suchte in anderen Ländern, in denen er in wissenschaftlichen Angelegenheiten konsultiert wurde, Erholung zu finden; er fuhr nach China und erhielt dort (1934) die Nachricht von den in Wien ausgebrochenen blutigen Kämpfen. Sofort eilte er nach Wien zurück, wurde zeitweise inhaftiert und seines Lehrstuhls für verlustig erklärt. Tief verletzt kehrte er Österreich den Rücken und begab sich wieder nach China, wo ihn eine Einladung der Sowjetunion erreichte, als zeitweilig Berater Richtlinien zur Reformierung des Medizinstudiums auszuarbeiten sowie Ambulatorien und Spitäler zu reorganisieren. Tandler nahm an, verstarb jedoch wenig später in Moskau. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen (darunter Anatomie des Herzens, 1913; Topographische Anatomie dringlicher Operationen, 1916; Lehrbuch der systematischen Anatomie, vier Bände, 1918-1924; Anatomie für Zahnärzte, 1928; Das Wohlfahrtsamt der Stadt Wien, 1931); Herausgeber der „Zeitschrift für Konstitutionspathologie". Gedenktafeln am Wohnhaus 9, Beethovengasse 8 (Tür 8; 1907-1936; enthüllt 25. August 1986) und in der Kinderübernahmestelle (enthüllt 25. August 1946). Fürsorge, Julius-Tandler-Medaille („Professor-Dr.-Julius-Tandler- Medaille der Stadt Wien").

Laut Abschlussbericht der im Auftrag der Universität Wien und der Stadt Wien eingesetzten Forschungsgruppe zur Untersuchung und Kontextualisierung der Benennung der Wiener Straßennamen seit 1860 vertrat Julius Tandler eine widersprüchliche Eugenik-Rhetorik in Bezug auf seine Gesundheits- und Bevölkerungspolitik, in der er sich sowohl für positive eugenische Maßnahmen, zugleich aber auch für das Recht auf Leben des Einzelnen aussprach (siehe z. B. „Wiener Medizinische Wochenschrift“ 1924, Nr. 4–6). Seine diesbezüglichen gesundheitspolitischen Ziele wollte Tandler allerdings nicht durch medizinische Zwangsmaßnahmen (wie im Unterschied beispielsweise von Vertretern der „negativen Eugenik“ postuliert), sondern durch Beratung und Aufklärung innerhalb der Bevölkerung erreichen.

Julius-Tandler-Platz, Tandlerdenkmal

Literatur

  • Isidor Fischer [Hg.]: Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Band 2: Kon-Zweig. Nachträge und Berichtigungen. München: Urban & Schwarzenberg 1963
  • Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitgeschichte. Hg. von Franz Planer. Wien: F. Planer 1929
  • Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon [der Ersten und Zweiten Republik]. Wien: Ueberreuter 1992
  • Gertrud Pfaundler: Tirol-Lexikon. Ein Nachschlagewerk über Menschen und Orte des Bundeslandes Tirol. Innsbruck: Rauchdruck 1983
  • Karl Sablik: Julius Tandler. Mediziner und Sozialreformer. Eine Biographie. Wien: Schendl 1983
  • Karl Sablik.: Julius Tandler. In: Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anläßlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken, 30.07.1986
  • Erna Lesky: Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Wien [u.a.]: Böhlau 1965 (Studien zur Geschichte der Universität Wien, 6), S. 508 f.
  • Norbert Leser [Hg.]: Werk und Widerhall. Große Gestalten des österreichischen Sozialismus. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1964, S. 409 ff.
  • Felix Czeike: Wien und seine Bürgermeister. Sieben Jahrhunderte Wiener Stadtgeschichte. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1974, S. 406 ff.
  • Felix Czeike: Wirtschafts- und Sozialpolitik der Gemeinde Wien in der Ersten Republik (1919-1934) 2. In: Wiener Schriften. Hg. vom Amt für Kultur, Schulverwaltung der Stadt Wien. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 11 (1959), S. 149 ff., S. 212 ff.
  • Friedrich Stadier [Hg.]: Vertriebene Vernunft 2 (1988), S. 815
  • Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1988, S. 179, S. 184 ff.
  • Fritz Knoll: Österreichische Naturforscher, Ärzte und Techniker. Hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien: Verlag der Gesellschaft für Natur und Technik 1957, S. 95
  • Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anläßlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken; 30.07.1986
  • Gerhard Frank: Julius Tandler. In: Der Kampf Neue Folge 3 (1936), S. 399 ff.
  • Wien aktuell. Revue einer europäischen Metropole. Wien: Jugend & Volk 1 (1982), S. 20 f., 4 (1982), S. 8 f.
  • Wiener Zeitung, 27.08.1937, 23.08.1986
  • Hans Markl: Kennst du die berühmten letzten Ruhestätten auf den Wiener Friedhöfen? Band 1: Zentralfriedhof und Krematorium (Urnenhain). Wien: Pechan 1961, S. 166
  • Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 151 f.
  • Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013