Herbert Reichner
Herbert Reichner, * 4. März 1899 Wien, † Stockbridge, Massachusetts (USA), Verleger, Antiquar.
Biografie
Herbert Reichner besuchte ein humanistisches Gymnasium in Wien und begann ein Studium der Mathematik an der Technischen Hochschule. Bald trat er aber in das Verlagsgeschäft ein, in dem er bis zum "Anschluss" Österreichs erfolgreich tätig war. 1925 gründete der Bibliophile den Herbert-Reichner-Verlag, der in den 1930er Jahren nicht nur Stefan Zweigs Werke oder die Erstausgabe von Elias Canettis Roman "Die Blendung" verlegte, sondern auch für aufwändig gestaltete Ausgaben in den Bereichen Musik, Literatur und Geschichte bekannt war. Reichner besaß zwar keine buchhändlerische Ausbildung, verfügte als Herausgeber der Monatsschrift für Bücherfreunde "Philobiblon" aber über Erfahrungen im Verlagsgeschäft. Im nationalsozialistischen Deutschland, wo es mit Leipzig eine Niederlassung gab, galten Reichner und sein Verlag als "jüdisch", was zu regelmäßigen Schikanen im Nachbarland führte.
Der Verleger und seine Frau konnten Wien noch am Abend des "Anschlusses" (13. März 1938) Richtung Zürich, wo sich die dritte Niederlassung des Verlags befand, verlassen. Dabei musste er eine wertvolle Privatbibliothek zurücklassen, die über die Österreichische Nationalbibliothek großteils nach Berlin in das Reichssicherheitshauptamt (SD-Hauptamt) verbracht wurde, wo die Bücher einem Bombenangriff zum Opfer fielen. 143 Bände, die in Wien verblieben waren, wurden 1955 an Reichner restituiert. Sein Verlag wurde 1938 zuerst kommissarisch übernommen und schließlich liquidiert, ein Teil der Verlagswerke konnte in Sicherheit gebracht werden.
1939 emigrierte das Ehepaar Reichner von der Schweiz weiter in die USA, wo der frühere Verleger in Manhattan (New York) ein Antiquariat für "Old, Rare and Scholarly Books" mit Schwerpunkt auf Literatur des 16. Jahrhunderts eröffnete. Er galt als exzellenter Kenner und geschätzter Geschäftspartner US-amerikanischer Hochschulen, Bibliotheken und spezialisierter Privatkunden. 1956 übersiedelte er infolge von Herzproblemen nach Stockbridge, Massachusetts, wo er das Antiquariatsgeschäft weiterführte. Nach seinem Tod führte seine Witwe das Unternehmen bis 1986 weiter.
Literatur
- Ernst Fischer: Verleger, Buchhändler und Antiquare aus Deutschland und Österreich in der Emigration nach 1933. Ein biographisches Handbuch. Elbingen: Verband deutscher Antiquare 2011, S. 252 f.
- Murray G. Hall/Christina Köstner: "… allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern …". Eine österreichische Institution in der NS-Zeit. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2006, S. 112-115