Gerichtsmedizin

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Letzte Änderung am 1.12.2020 durch WIEN1.lanm08wei

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Gerichtsmedizin als Teil der "Staatsarzneikunde"

Die Gerichtsmedizin ist als selbständiges Fach an der medizinischen Fakultät der Universität Wien aus der Staatsarzneikunde hervorgegangen, in der sie mit der Hygiene verbunden war. Johann Peter Frank gilt als Schöpfer des Lehrfachs Gerichtsmedizin. Ihr wichtigstes Aufgabengebiet war zunächst die Beurteilung von "Kindsmord". 1804 wurde die neue Lehrkanzel mit Ferdinand Bernhard Vietz besetzt auf dessen Anregung alle gerichtlichen Sektionen im Allgemeinen Krankenhaus unter Oberleitung des Professors für Staatsarzneikunde zu erfolgen hatten. Johann Josef Bernt wurde 1813 von Prag nach Wien berufen und war bestrebt, ein eigenes Institut zu schaffen. Dafür ließ er eine Unterrichtsanstalt mit Seziersaal und Amphitheater errichten. Für das Fach erwies es sich als verhängnisvoll, dass eine Verordnung aus dem Jahr 1818 dem pathologisch-anatomischen Prosektor des Allgemeinen Krankenhaus in seiner Eigenschaft als Gerichtsanatom das gesamte "Obduktionsmaterial" Wiens zusprach.

Auf Bernt folgte Jakob Kolletschka, der in der medizinischen Historiographie immer wieder als Freund von Ignaz Semmelweis genannt wird, weil Semmelweis selbst seine Entdeckung der Ursachen des Kindbettfiebers mit dem tragischen Schicksal Kolletschkas in Verbindung gebracht hatte; dieser war beim Sezieren verletzt worden, entwickelte eine aufsteigende septische Infektion mit „Leichengift" und bot bei der Obduktion einen ähnlichen Befund wie die an Kindbettfieber verstorbenen Wöchnerinnen).

Da der Pathologe Carl Rokitansky die Meinung vertrat, dass erfahrene pathologische Anatomen die Gerichtsmedizin inne haben sollten, blieb das Fach auch im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts völlig unter der Dominanz der Rokitansky-Schule. Nach Kolletschkas Tod führte Anton Dlauhy das Institut; er wurde allerdings durch die dominierende Persönlichkeit Rokitanskys häufig dazu veranlasst, diesem auch die gerichtsmedizinischen Obduktionen zu überlassen. In Gerichtsfällen wurden medizinische Chemiker zusätzlich herangezogen. An der juridischen Fakultät war ab 1848 Hieronymus Beer als außerordentlicher Professor für gerichtliche Medizin tätig.

Die Wiener Gerichtsmedizin erlangt Weltruf

Erst Eduard Hofmann, der 1875 nach Wien berufen wurde und die erste rein gerichtsmedizinische Lehrkanzel erhielt, entfaltete eine weltweit anerkannte Forschungstätigkeit in seinem Fach. Er integrierte die Arbeitsmethoden der medizinischen Chemie und der experimentellen Physiologie und Pathologie mit der makro- und mikroskopischen Pathologie in die Gerichtsmedizin. Besonders forcierte er die forensische Toxilogie. Sein 1878 in erster Auflage erschienenes Lehrbuch erzielte viele Auflagen, wurde in viele Sprachen übersetzt und bis in die 1930er Jahre verwendet. Hofmann nahm auch die Vorlesungen für Juristen vor. In seine Dienstzeit fiel auch der Ringtheaterbrand (8. Dezember 1881), dessen 386 Opfer der Gerichtsmedizin vielfach neue Erkenntnisse brachten. Gemeinsam mit seinem Assistenten Eduard Zillner gelang Hofmann durch Nachweis von Kohlenoxydgas im Blut, dass die Mehrzahl der Opfer an Rauchgasvergiftung verstorben waren. Mit dem experimentellen Samuel von Basch kooperierte Hofmann bei der Beurteilung von Abtreibungen. Unter Hofmann erhielt die Gerichtsmedizin auch die Obduktion der Leichen zugewiesen die mehrheitlich sanitätspolizeilich, zum geringeren Teil auch gerichtlich anfiel. Zur klinischen Medizin öffnete Hofmann das Fach indem er durchsetzte, dass seine Assistenten 1894 als Landesgerichtsärzte bestellt wurden. Hofmanns Assistent Arnold Paltauf gelang es den Thymustod auf eine krankhafte konstitutionelle Veranlagung zurückzuführen. Ein anderer Assistent, Paul Dittrich, befasste sich mit der Begutachtung von Arbeitsunfällen.

Nach Hofmanns Tod (1896) wurde die Lehrkanzel zunächst vom Pathologen Alexander Kolisko besetzt. Seine Arbeiten beschäftigten sich mit dem anatomischen Nachweis von Verbrennungen und Giften. Er bezog auch die Unfallpathologie in die Gerichtsmedizin mit ein, wechselte aber 1916 wieder in die pathologische Anatomie. Mit Albin Haberda wurde der Lehrstuhl wieder mit einem Gerichtsmediziner definitiv besetzt. Haberda war ein genialer Gerichtsmediziner der sich in seiner Habilitation mit den fötalen Kreislaufwegen der Neugeborenen und ihren Veränderungen nach der Geburt auseinandergesetzt hatte. Er übernahm 1901 der gerichtsmedizinischen Vorlesungen für Juristen, ab 1917 auch die Lehrkanzel.

Die neuere Zeit

Haberda folgte Fritz Reuter, der noch ein Schüler Hofmanns war; er wurde 1938 von den Nationalsozialisten abgesetzt, erhielt jedoch 1945 die Ordinariatswürde zurück. Sein Nachfolger wurde Walther Schwarzacher, dem Leopold Breitenecker folgte; durch dessen Initiative konnte bald der Instituts-Neubau realisiert und den modernen Arbeits- und Forschungserfordernissen entsprechend ausgestattet werden.

Literatur

  • Erna Lesky: Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Wien [u.a.]: Böhlau 1965 (Studien zur Geschichte der Universität Wien, 6), S. 109-118, 282-292, 605-617.
  • Albin Haberda: Geschichte der Wiener Lehrkanzel für gerichtliche Medizin. In: Beiträge zur gerichtlichen Medizin 1 (1911)
  • Fritz Reuter: Geschichte der Wiener Lehrkanzel für gerichtliche Medizin 1804-1954. In: Beiträge zur gerichtlichen Medizin 19 (1954), Supplement
  • Leopold Breitenecker: 160 Jahre Lehrkanzel für gerichtliche Medizin in Wien. In: Österreichische Hochschulzeitung. Magazin für Wissenschaft und Wirtschaft 16 (1964), Heft 13