Heinrich Holek
Heinrich Holek, * 1. Oktober 1885 Aussig, † 4. September 1934 Wien, Gewerkschafter, Arbeiterdichter, Journalist.
Biografie
Heinrich Holek entstammte zwar einfachsten Verhältnissen, doch sein weiterer Weg war durch das Vorbild seines Vaters Wenzel Holek (1864–1935) scheinbar früh vorgezeichnet. Wenzel Holek war Spross einer mittellosen böhmischen Familie, zu deren Unterhalt er nach nur drei Jahren Volksschule mit diversen Auswüchsen von Kinderarbeit, wie etwa Betteln oder Straßenmusik, beizutragen hatte. Einen Beruf lernte Holeks Vater nicht, vielmehr verdingte er sich als Handarbeiter im Eisenbahnbau, in Ziegeleien, in der Glasindustrie oder im Tagebau. Die ungelernte Kraft ging mit 40 Jahren auf Arbeitssuche nach Dresden; ein gewisses Risiko angesichts von Frau und sechs Kindern. Doch in der neuen Heimat Sachsen stand dem Sozialdemokraten ein ungeahnter Aufstieg bevor. Bald erschien der erste Band seiner Autobiographie „Lebensgang eines deutsch-tschechischen Handarbeiters“ (Jena 1909, Bd. 2 ebd. 1921), die derart Eindruck machte, dass ihm 1912 in Leipzig die Leitung des dortigen Volksheims angeboten wurde, wo er den Schwerpunkt auf Jugendarbeit legte.
Die Biographie seines Sohnes Heinrich liest sich zunächst wie jene des Vaters. Auch er blieb ungelernt und schlug sich nach kurzer Schulkarriere ebenfalls in Ziegeleien, in der Produktion von Glas oder mit Gelegenheitsjobs durch, wie etwa als Pferdeknecht, Ochsenhüter oder Möbelpacker. Bereits 1902 trat er in Aussig mit dem „Verein jugendlicher Glasarbeiter“ einer Gewerkschaft bei und war darüber hinaus parteipolitisch bei den Sozialdemokraten engagiert. Und auch in Sachen schriftstellerischer Tätigkeit trat Heinrich Holek in die Fußstapfen des Vaters Wenzel. Ab 1910 lieferte er Beiträge für sozialdemokratische Blätter im gesamten deutschsprachigen Raum, 1914 wurde er dann hauptamtlicher Redakteur bei der in Aussig ansässigen Zeitung „Volksrecht“. Allerdings sorgte ein Artikel anlässlich des Hinscheidens von Kaiser Franz Joseph I. für das Verbot des Periodikums. Holek ging dafür sogar ins Gefängnis, wurde aber bald aus der Haft entlassen. Mit dem Text „Die Zensurmaschine“ [in: Arbeiter-Zeitung, Nr. 216 vom 06.08.1916, S. 2–4] hatte er die Problematik sich mehrender staatlicher Eingriffe auf das Pressewesen kurz zuvor in sarkastischer Weise thematisiert, als er vorschlug, diese Kontrollen eigens konstruierten Automaten zu überlassen.
Folgt man den überlieferten Meldezetteln, kam Holek Anfang Februar 1917 nach Wien. Seine Frau Lina (geb. Linke, *08.03.1884) verblieb mit den drei Kindern (Hildegard *23.01.1910, Else *17.06.1911, Kurt *08.05.1916) zunächst in Aussig, kam aber im April nach. Schon im Mai 1917 bezog man jene Wohnung in der Hofbauergasse 1 (12. Bezirk), in der die Familie bis 1934 logieren sollte. In der Reichshauptstadt gelang es Holek, trotz seiner entschiedenen Kriegsgegnerschaft als Journalist und Arbeiterdichter in Personalunion durchzustarten. Er übernahm als Redakteur das Organ des Transportarbeiterverbandes „Das Zeitrad“ und publizierte bis 1930 allein in der renommierten Arbeiterzeitung weit über hundert Beiträge. Sogar Karl Kraus geruhte einen Text aus der Feder Holeks zu einer Zeit abzudrucken, als dieser Die Fackel für gewöhnlich im Alleingang zu füllen pflegte [„Vater, nimm mich!“ In: Die Fackel, Nr. 657–667, August 1924, S. 11f.]. Am Beispiel eines Vaters, der im Krieg beide Arme verloren hat und deshalb sein Kind nicht hochheben kann, thematisierte Holek die enorme Zahl an Versehrten, die in der Nachkriegsgesellschaft ins soziale Abseits gerieten. Kraus bewertete dies im Vorspruch als die „einzige Szene“, die in Die letzten Tage der Menschheit fehle. Für das Feuilleton „Der Schnellzug“ [in: Arbeiter-Zeitung, Nr. 319 vom 20.11.1924, S. 10f.] erhielt Holek einen Petzold-Preis.
Über seine Arbeit für Periodika hinaus legte Heinrich Holek nicht nur den Novellenband „Vom Kreuzweg des Lebens“ vor, sondern er machte sich auch – wieder grüßt der Vater als Vorbild – an eine Autobiographie, die 1927 unter dem Titel „Unterwegs“ erschien. Sein bekanntestes Buch dürfte aber die Sammlung von Skizzen und Reportagen sein, die 1925 auf den Markt kam: „Der graue Film“. Der Band erlangte traurige Berühmtheit, weil ihm die Nationalsozialisten die fragwürdige Ehre eines Verbots zuteilwerden ließen – man findet den Nachweis in der „Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ mit Stand vom Oktober 1935 (S. 56). Diese posthume Indizierung dürfte auch dem Umstand geschuldet sein, dass Holek 1933 der neu ins Leben gerufenen (und bereits Anfang März 1934 zwangsweise aufgelösten) Vereinigung sozialistischer Schriftsteller beigetreten war, einer Gründung, die explizit verfolgten und verfemten Autorinnen und Autoren, die aus dem Deutschen Reich nach Österreich geflohen waren, hatte helfen wollen.
Trotz seines unzweifelhaften Erfolgs als streitbarer Publizist blieb Holek stets redaktionellen Tätigkeiten verpflichtet, wie u.a. bei den Organen des Freien Gewerkschaftsbundes oder der Österreichischen Straßenbahner. Immer wieder hatte er dabei mit der Zensur und Verboten zu tun. Dies mündete naturgemäß in illegalen Aktivitäten, nachdem all die genannten Periodika in der Folge der Februarkämpfe 1934 schnell von der Bildfläche verschwanden. Inwieweit die publizistische Rastlosigkeit im Untergrund mit Holeks Tod am 4. September 1934 zusammenhing, steht dahin. Die Anteilnahme der Genossinnen und Genossen war nach seinem frühen Ableben, das dem Vernehmen nach auf ein altes Herzleiden zurückzuführen war, jedenfalls groß. Auch aus diesem Grunde durften bei der Einäscherung laut behördlicher Vorgaben keinerlei Reden gehalten werden. Die europäische Arbeiterschaft ließ sich hingegen nicht den Mund verbieten. So idealisierte die Internationale Transportarbeiter-Föderation mit Sitz in Amsterdam Holeks Tätigkeit, aus all seinen Werken als Schriftsteller und Redakteur „atmete eine tiefe sozialistische Ueberzeugung. Die österreichischen Arbeiter haben einen guten Freund und Mitkämpfer verloren.“
Quellen
Werke
- Heinrich Holek: Vom Kreuzweg des Lebens. Novellen, Skizzen und Satiren. Wien: Verlag Bugra 1924.
- Heinrich Holek: Der graue Film. Skizzen und Reportergänge. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1925.
- Heinrich Holek: Unterwegs. Eine Selbstbiographie. Wien: Verlag Bugra 1927.
Literatur
- Heinrich Holek: Hol – Hg. von Eckhart Früh. Wien: Gratis und Franko 1997 (= Spuren und Überbleibsel 1)
- Heinrich Holek, Lili Réthi, Alfred Grünewald, Alma Johanna Koenig, Lucian. Spuren und Überbleibsel. Bio-Bibliographische Blätter aus dem Tagblatt-Archiv. Hg. von Eckhart Früh. Wien: Gratis und Franko 1997
- Heinrich Holek: Die Schmelz. In: Das Rote Wien. Schlüsseltexte der Zweiten Wiener Moderne 1919–1934. Hg. von Rob McFarland, Georg Spitaler und Ingo Zechner. Berlin, Boston: De Gruyter Oldenbourg 2020, S. 375–377
- Birgit A. Jensen: Contesting Lewd Banter at Work. Ottilie Baader and Heinrich Holek’s Autobiographies. In: The Germanic Review 96 (2021), 4, S. 373–390
Heinrich Holek im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.