Lager Moosbierbaum

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Daten zur Organisation
Art der Organisation NS-Institution Zwangsarbeiterlager
Datum von 1939
Datum bis 1945
Benannt nach
Prominente Personen
PageID 61499
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Letzte Änderung am 3.11.2023 durch WIEN1.lanm09fri

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Inhalt:
  1. Das IG Farben Großkombinat in Moosbierbaum
  2. Zwangsarbeiter und ausländische Zivilarbeiter in den Betriebsanlagen in Moosbierbaum
  3. Die Außenstelle der Justizanstalt Stein in Moosbierbaum
  4. Die Widerstandsgruppe im Lager Moosbierbaum
  5. Literatur
  6. Quellen
  7. Weblinks

Das Arbeitserziehungslager (AEL) Moosbierbaum / Atzenbrugg befand sich im Zeitraum 1939-1945 in der Ortschaft Moosbierbaum, einer Katastralgemeinde der Marktgemeinde Atzenbrugg im politischen Bezirk Tulln.[1] Das Straßendorf an der Tullnerfelder Bahn wurde vor dem Ersten Weltkrieg durch die Rüstungsproduktion industrialisiert und erlangte während der Zeit des Nationalsozialismus mit zahlreichen militärtechnischen Werksanlagen und hier vor allem mit der Raffinerie Moosbierbaum[2] als Teil der IG Farben AG Bedeutung. In diesen Betrieben waren tausende Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge eingesetzt.

Das IG Farben Großkombinat in Moosbierbaum

Die Donau Chemie AG Moosbierbaum wurde als Teil der IG Farben ab 1939 in Moosbierbaum mit zahlreichen Betriebsanlagen als „Großkombinat“ errichtet.[3] Der wichtigste Bestandteil des Werkes war ab 1940 die auf Hochtouren arbeitende Rüstungsproduktion.[4] Das Kombinat bestand aus folgenden Betrieben:

  • Skodawerke-Wetzler AG Moosbierbaum: 1916 als Fabrik für Schießpulver errichtet, nach Ende des Ersten Weltkriegs Fabrikation von Jagdmunition, 1938 wurden die Skodawerke mit ihrer Produktion von Dampf für die beiden anderen Anlagen der IG Farben ein Teil der Donau Chemie AG. Das Fabriksareal wurde durch Bomben erheblich dezimiert und wurde schließlich von der sowjetischen Besatzungsmacht zerstört. Gegenwärtig befindet sich darauf ein Golfplatz[5]
  • Hydroforming-Anlage der IG-Merseburg - Hydroforming-Anlage Moosbierbaum: Produktion von Treibstoff für Flugzeuge, 1944 war der Zenit des Werkes mit der Erzeugung von 7.100 Tonnen Flugbenzin erreicht. Durch heftige Bombenangriffe konnte die Produktion nicht mehr aufrechterhalten werden, sie war mit März 1945 endgültig stillgelegt. Gegenwärtig befindet sich auf dem Areal das Wärmekraftwerk Dürnrohr. [6]
  • Dora(=Donau-Raffinerie)-Anlage Moosbierbaum: teilweise bestehend aus eroberten französischen Raffinerien. Das Werk produzierte Treibstoffe, wurde ebenfalls bombardiert und nicht wieder aufgebaut. In unmittelbarer Nähe befindet sich gegenwärtig das chemische Werk Pischelsdorf.[7]
  • Schwefelsäurekontaktanlage der IG-Leverkusen: Ab 1938 produzierte die Firma Sprengstoff und Munition. Gegenwärtig befindet sich auf dem Areal das chemische Werk Pischelsdorf.[8]
  • Magnesium-Schmelzanlage der IG-Bitterfeld: Bau dieser Magnesium- Schmelzhütte zum Zweck der Herstellung leichter Jagdflugzeuge. Durch die Bombenangriffe wurde die Produktion stillgelegt. Erst 2006 wurden die Ruinen abgetragen.[9]

Zwangsarbeiter und ausländische Zivilarbeiter in den Betriebsanlagen in Moosbierbaum

Hermann Rafetseder erwähnt in seinem 2014 erschienenen Werk „NS-Zwangsarbeits-Schicksale: Erkenntnisse zu Erscheinungsformen der Oppression und zum NS-Lagersystem aus der Arbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds. Eine Dokumentation“ die sehr dürftige Quellenlage und führt Anträge von Zwangsarbeitern an, die mindestens aus folgenden Nationen kamen: Tschechien, Italien, Frankreich, Griechenland, Jugoslawien, Sowjetunion.[10] Sie waren in einem Lager nahe der Raffinerie untergebracht und mussten schwerste Arbeiten verrichten, sodass ein Antragsteller aus Frankreich beim Österreichischen Versöhnungsfonds angab, Selbstverstümmelung durch Verbrühung verübt zu haben, um den katastrophalen Arbeitsbedingungen zu entgehen.[11] Weitere Insassen des Lagers waren ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter und Häftlinge der nahegelegenen Justizanstalt Stein.[12]

Die Außenstelle der Justizanstalt Stein in Moosbierbaum

In Moosbierbaum befand sich ein „Außenarbeitskommando des Zuchthauses Stein“[13] Im Archivbestand des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Landesgericht für Strafsachen liegen Akten, deren Inhalt die Situation der Häftlinge der Außenstelle von Stein in Moosbierbaum abbilden. So flüchtete der von Hunger und Krankheit sehr geschwächte Häftling der Justizanstalt Stein Johann Zöhrer (geboren am 15. Dezember 1887 in Groß-Seiding, Steiermark) am 7. September 1944 aus dem Arbeitslager in Moosbierbaum nach Wien und hielt sich dort ohne polizeiliche Meldung in einer Pension auf. Er schilderte die Bewachung als nicht besonders streng, so hatten die Insassen laut dessen Aussage „großzügige Freiheit“, wodurch das Entkommen möglich war, dass aber im Lager wegen unzureichender Ernährung und fehlender Medikamente zahlreiche Todesfälle vorkamen.[14]

Die Widerstandsgruppe im Lager Moosbierbaum

Ausgehend von politisch gebildeten, bereits wegen KPÖ-Mitgliedschaft verurteilter Häftlinge der Außenstelle der Justizanstalt Stein konstituierte sich 1944 eine Widerstandsgruppe (siehe Widerstandsbewegung) gegen das NS-Regime, die „Österreichische Freiheitsfront“ unter der Führung des politischen Gefangenen Leopold Kuhn. Durch illegale Aktivitäten griff diese Bewegung auch auf die Arbeiter der Betriebsanlagen in Moosbierbaum über. Die neun Widerstandszellen und ihre Mitstreiter sabotierten die Fabrikation, streuten Flugzettel, nahmen Kontakt mit der örtlichen Bevölkerung auf und gewannen einen Teil der Wachmannschaften für ihr Anliegen. Die vermehrten Bombenangriffe ermöglichten mehr Freiheiten und Chancen für Aktivitäten und eröffneten Möglichkeiten, zu fliehen. Die Gestapo versuchte an Informationen zu gelangen, indem sie Häftlinge als Verbindungsleute anwarb, die große Freiheiten genossen und schließlich ihre Mithäftlinge und weitere Mitglieder der Gruppe verrieten.[15] Die Folge waren Verhaftungen von an die 200 Personen, Folterungen und Überstellungen in das Landesgericht Linz, Gefängnisse in Wien oder im schlimmsten Fall in das Konzentrationslager Mauthausen.[16] Häftlinge, die gefasst wurden, kamen zunächst in Gestapo-Haft nach St. Pölten und wurden dort schwer misshandelt. Besonders grausam erwiesen sich dabei Maximilian Bittermann und Johann Röhrling.

Max Bittermann wurde am 19. September 1906 in Garsten geboren, er war Mitglied der NSDAP, der SS und ab 1938 bei der Gestapo-Außenstelle St. Pölten für die das Referat „Marxismus und Kommunismus“ eingesetzt. Dort verübte er schwere Verbrechen an Häftlingen, indem er am 16. Jänner 1944 an der sogenannten Sonderaktion der Gestapo-Leitstelle St. Pölten gegen die Widerstandsgruppe Moosbierbaum teilnahm. Die Opfer wurden mit Knüppeln geschlagen, an Armen aufgehängt, in Ketten gelegt, stranguliert, sie waren Hunger und Quälereien in heißen und kalten Zellen ausgesetzt. Bittermann wurde mit Urteil vom 19. Juli 1948 wegen § 10 und 11 Verbotsgesetz und § 3 / Absatz 1 Kriegsverbrechergesetz zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt, aber unter Anrechnung der Untersuchungshaft bereits nach fünf Jahren und vier Monaten, am 21. Oktober 1950 entlassen.[17]

August Röhrling war der zweite Gestapo-Angehörige, der an Erschießungen und Folterungen mitschuldig war, er wurde am 12. Februar 1907 in Rotenturm geboren.[18] In der Nacht zum 7.April 1945 wurden Angehörige der Widerstandsgruppe Moosbierbaum und anderer Gruppen, darunter auch Frauen, in einer St. Pöltener Schießstätte erschossen. Der Angeklagte Johann Röhrling wurde nach § 10, 11 Verbotsgesetz am 19. Dezember 1947 zu fünf Jahren schweren Kerker verurteilt, ihm aber „der noch nicht vollstreckte Strafrest von fünf Jahren“ gemäß § 14, Absatz 3 NS-Amnestie 1957 am 12. November 1957 nachgelassen.[19]

Es ist quellenmäßig belegt, dass 47 Angehörige der Widerstandsgruppe Moosbierbaum, darunter neben den Österreichern Russen, Jugoslawen und Polen, im Konzentrationslager Mauthausen ermordet wurden.[20]

Quellen

Literatur

  • Christa Mitterrutzner: Gestapoaktion „Moosbierbaum“. In: Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934-1945. Eine Dokumentation. Hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Band 2. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1987, S. 460-488
  • Hermann Rafetseder: NS-Zwangsarbeits-Schicksale: Erkenntnisse zu Erscheinungsformen der Oppression und zum NS-Lagersystem aus der Arbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds. Eine Dokumentation im Auftrag des Zukunftsfonds der Republik Österreich. Linz 2014

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Wikipedia: Moosbierbaum [Stand 06.05.2019].
  2. Wikipedia Raffinierie Moosbierbaum [Stand 06.05.2019].
  3. Geheimprojekte: IG Farben [Stand 06.05.2019].
  4. Christa Mitterrutzner: Gestapoaktion „Moosbierbaum“. In: Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934-1945. Eine Dokumentation. Hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Band 2. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1987, S. 460.
  5. Geheimprojekte: IG Farben Pulverfabrik [Stand 06.05.2019].
  6. Geheimprojekte: IG Farben Hydrofabrik [Stand 06.05.2019].
  7. Geheimprojekte: Dachs VI Moosbierbaum [Stand 06.05.2019].
  8. Geheimprojekte: IG-Schwefel [Stand 06.05.2019].
  9. Geheimprojekte: IG-Magnesium [Stand 06.05.2019].
  10. Hermann Rafetseder: NS-Zwangsarbeits-Schicksale: Erkenntnisse zu Erscheinungsformen der Oppression und zum NS-Lagersystem aus der Arbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds. Eine Dokumentation im Auftrag des Zukunftsfonds der Republik Österreich. Linz 2014, S. 469.
  11. Hermann Rafetseder: NS-Zwangsarbeits-Schicksale: Erkenntnisse zu Erscheinungsformen der Oppression und zum NS-Lagersystem aus der Arbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds. Eine Dokumentation im Auftrag des Zukunftsfonds der Republik Österreich. Linz 2014, S. 391.
  12. Hermann Rafetseder: NS-Zwangsarbeits-Schicksale: Erkenntnisse zu Erscheinungsformen der Oppression und zum NS-Lagersystem aus der Arbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds. Eine Dokumentation im Auftrag des Zukunftsfonds der Republik Österreich. Linz 2014, S. 470.
  13. Christa Mitterrutzner: Gestapoaktion „Moosbierbaum“. In: Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934-1945. Eine Dokumentation. Hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Band 2. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1987, S. 461.
  14. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Landesgericht für Strafsachen, A11: Vr 2002/1944.
  15. Wikipedia: Österreichische Freiheitsfront (Moosbierbaum) [Stand: 14.05.2019] und Wiener Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1: Vg 11e Vr 455/1951, 1. Teil, S. 201.
  16. Christa Mitterrutzner: Gestapoaktion „Moosbierbaum“. In: Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934-1945. Eine Dokumentation. Hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Band 2. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1987, S. 461-463.
  17. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1: Vg 11 Vr 5380/1947, S. 103 ff., S. 123, S. 171, S. 350, S. 455.
  18. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1: Vg 11 Vr 455/1951, 1. Teil, S. 393.
  19. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1: Vg 11Vr 455/1951, 2. Teil, S. 33.
  20. Christa Mitterrutzner: Gestapoaktion „Moosbierbaum“. In Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934-1945. Eine Dokumentation. Hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Band 2. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1987, S. 585 f.