Arbeitermusik. Ein wesentliches Element sozialdemokratische Kulturpolitik war die emotionale Bindung der Arbeiterschaft über einen festumschriebenen Kanon von Feiern und Festen. Den Arbeitersängern kam dabei eine zentrale Rolle zu. Bereits in den frühen Arbeiterbildungsvereinen hatten sich Sängerrunden und Liedertafeln gebildet, die das Arbeiterlied als eine spezifische Art des Volkslieds betrachteten und demgemäß Arbeits-und Wanderlieder, aber auch das Freiheits- und Kampflied pflegten. Die herausragende Figur der frühen Arbeiterbewegung ist der Posaunist im Orchester des Burgtheaters, spätere Musikkritiker der „Arbeiter-Zeitung" und Gründer des Arbeiter-Sängerbunds Wien, Josef Scheu. Seine Vertonung eines Gedichts des Graveurs Josef Zapf erlangte als „Lied der Arbeit" ungeheure Popularität und gilt bis heute als die Hymne der österreichischen Arbeiterbewegung. Der Arbeiter-Sängerbund besaß in den Bezirken Zweigstellen (unter anderem 9, Liechtensteinstraße 2 [Alsergrund], gegründet 1893). Als der junge David Josef Bach (zunächst Arbeiter-Zeitung-Kulturkritiker, später Leiter der Sozialdemokratischen Kunststelle) seine Tätigkeit in der Arbeiterbewegung aufnimmt, ändert sich deren Charakter allmählich hin zu einer ausschließlich „veredelnden", nicht politisierenden Funktion. Die Gründung (28. Dezember 1905) und Organisierung von „Arbeiter-Symphoniekonzerten" im Wiener Musikverein ist das Verdienst von David Josef Bach; sie stellten eine außerordentliche Kulturleistung dar. Auf dem Programm des ersten Konzerts standen die Tannhäuser-Ouvertüre, Hugo-Wolf-Lieder und Beethovens Eroica. Neben einer betonten Wagner- und Beethovenpflege wurde in den Arbeiter-Symphoniekonzerten auch der Avantgarde, wie Mahler und Schönberg, Platz eingeräumt; über sie fanden Komponisten wie Anton Weber Eingang in die Arbeiterbewegung; 1922 übernahm dieser die Leitung der Arbeitersymphoniekonzerte. 1925 wurde als Organisation der sozialdemokratischen Musikvereine der Verband der Arbeiter-Musikvereine Österreichs gegründet (zwischen 1934 und 1945 verboten). Ihren organisatorischen Höhepunkt fand die Arbeiterbewegung Anfang der 1930er Jahre. 1932 vereinten in Wien 84 Vereine rund 4.700 Mitglieder. Erneut hatte sich ihre Funktionsbestimmung verschoben: die Erfüllung des Arbeiterlebens mit „revolutionierender, begeisternder Kunst". Dementsprechend hoch war der Mobilisierungsgrad. Zur letzten legalen Großkundgebung der Sozialdemokratie in der Ersten Republik, der 40-Jahr-Feier des Arbeiter-Sängerbunds Alsergrund am 8. Oktober 1933, kamen trotz Polizeidrohung 60.000 Menschen ins Stadion. Das letzte Arbeitersymphoniekonzert fand am Abend des 11. Februar 1934 statt.
Der Verband der Arbeiter-Musikvereine Österreichs (1925 gegründete Organisation der sozialdemokratischen Musikvereine; 1934-1945 verboten) hat seinen Sitz in Wien.
Literatur
- Reinhard Kannonier: Zwischen Beethoven und Eisler. Zur Arbeitermusikbewegung in Österreich. Wien [u.a.]: Europa-Verlag 1981 (Materialien zur Arbeiterbewegung, 19)
- Hugo Pepper: Bildungs- und Arbeiterkultur. In: Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1988, S. 140 ff.
- Helmut Brenner: Stimmt an das Lied! Das große österreichische Arbeiter-Sängerbuch. Graz [u.a.]: Leykam 1986
- Mit uns zieht die neue Zeit. Arbeiterkultur in Österreich 1918 - 1934. Eine Ausstellung der Österreichischen Gesellschaft für Kulturpolitik und des Meidlinger Kulturkreises. Straßenbahn-Remise Wien Meidling Koppreitergasse 23. Jänner - 30. August 1981. Wien : Habarta & Habarta 1981