Eheberatung
Der Wiener Gesundheitsstadtrat Julius Tandler richtete 1922 im Wiener Rathaus die erste öffentliche "Gesundheitliche Beratungsstelle für Ehewerber" in Europa ein. Wichtigstes Ziel der kurz "Eheberatungsstelle" genannten Einrichtung war es, den zukünftigen Eheleuten ihre Verantwortung für die Gesundheit der "Nachkommenschaft" bewusst zu machen. Ganz im Sinne der eugenischen Überlegungen der Zeit sollten, so die Empfehlung, nur "gesunde" Menschen eine Ehe eingehen und Nachwuchs bekommen, um so die Chancen künftiger Generationen auf eine "gesunde Zukunft" zu verbessern.
1956 wurden die Eheberatungsstellen im Bereich der MA 12 als freiwillige Sozialeinrichtungen der Stadt Wien gegründet. Mit dem Sozialhilfegesetz vom 19. Dezember 1972 (LGB1. 11/1973) bekamen sie als "soziale Dienste" eine rechtliche Basis; im Zuge der Familienrechtsreform traf man hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Ehepartner neue Regelungen. 1979 wurden die Ehe- und Familienberatungsstellen in die Verwaltung des Jugendamts der Stadt Wien übernommen; geboten werden kostenlose und vertrauliche Beratungen bei Partnerschafts-, Ehe- und Familienproblemen. 1990 nahmen 1.828 Personen diese Serviceleistung in Anspruch; die Beratungen werden von Juristen, Psychologen und Psychiatern sowie Sozialarbeitern durchgeführt.
Literatur
- Britta McEwen: Die Eheberatungsstelle des Roten Wien und die Kontrolle über den ehelichen Sex. In: Andreas Brunner/Frauke Kreutler/Michaela Lindinger/Gerhard Milchram/Martina Nußbaumer/Hannes Sulzenbacher [Hg.]: Sex in Wien – Lust. Kontrolle. Ungehorsam (Sonderausstellung des Wien Museums, 411). Wien: Metro Verlag 2016, S. 119-125.
- Stella Klein-Löw: Woran Ehen zerbrechen. Erinnerungen an die Arbeit in der Eheberatungsstelle der Volkshochschule Alsergrund. Wien: Verband Wiener Volksbildung 1980 (Schriftenreihe des Verbandes Wiener Volksbildung, 4)