Gastarbeiter

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Gastarbeiter 1974.
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Letzte Änderung am 22.01.2020 durch WIEN1.lanm09mer
BildnameName des Bildes Gastarbeiter 1974.jpg
BildunterschriftInformation, die unterhalb des Bildes angezeigt werden soll Gastarbeiter 1974.

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Raab-Olah-Abkommen

Während der Jahre des „Wirtschaftswunder“ machte sich vor allem im Niedriglohnsektor des Wiener Arbeitsmarktes ein erheblicher Arbeitskräftemangel bemerkbar. Im „Raab-Olah-Abkommen“, einigten sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter auf ein Kontingentverfahren nach dem Muster des Schweizer Saisoniermodells, welches die vereinfachte Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte im Weg bilateraler Verträge ermöglichen sollte. Weil die Beschäftigung der „Gäste“ nach dem Rotationsmodell angedacht war und die Wirtschaft boomte, hielt sich der gewerkschaftliche Widerstand in Grenzen, zumal eine sozialrechtliche Gleichstellung mit inländischen Arbeitnehmern im Zeichen des nicht angetasteten „Inländerschutzes“ kein Thema war.[1] Das „Raab-Olah-Abkommen“ hätte freilich nicht ausgereicht, ausländische Arbeitskräfte in das Land zu ziehen, wenn sich nicht die ökonomischen Rahmenbedingungen verändert hätten. Schon in den späten 1950er Jahren waren einige Tausend jugoslawische Auswanderer nach Österreich zugewandert mit dem Ziel, in klassische Auswanderungsländer in Übersee weiterzuwandern. Geht man nach den polizeilichen Meldestatistiken, blieb ein kleiner Teil dieser „Transitwirtschaftsflüchtlinge“ in Wien, was man als Indiz für Ansätze einer Arbeitsmigration werten kann.

Erste Phase: 1967-1973

Die zunächst in Kontingenten organisierte Zuwanderung so genannter Gastarbeiter aus dem damaligen Jugoslawien und später auch aus der Türkei setzte dann mit einer gewissen Zeitverzögerung ab etwa Mitte der 1960er Jahre verstärkt ein und gewann immer mehr an Dynamik. Zu Beginn der 1970er Jahre waren bereits rund 50.000 jugoslawische Staatsbürger, jedoch noch kaum Türken, zugewandert. 1973, vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise, war der Höhepunkt der Gastarbeiterzuwanderung erreicht. Rund 75.000 Jugoslawen und 10.000 Türken lebten nun in Wien.

Beschäftigtenabbau und Familiennachzug

Bürgermeister Felix Slavik mit einem Kinde jugoslawischer Gastarbeiter bei der Veranstaltung "Bunter Nachmittag für Kinder jugoslawischer Gastarbeiter" am 26. Mai 1973.

Nach dem „Erdölpreisschock“ folgte eine Phase der Familiennachzugs bei gleichzeitigem Beschäftigtenabbau bei den jugoslawischen Arbeitnehmern bezeichnet werden. Insgesamt nahm die Zahl der Ausländer jedoch auch bis Mitte der 1980er Jahre, in einer wirtschaftlich stagnativen Phase, nicht ab, sondern zu. Um 1985 lebten etwa 55.000 Jugoslawen und 28.000 Türken in Wien.[2]

Zweite Phase: 1988-1993

In den späten 1980er Jahren begannen sich die Rahmenbedingungen der wienbezogenen Arbeitsmigration erneut zunächst langsam, dann dramatisch zu ändern. Der Fall des „Eisernen Vorhangs“, die Wiedervereiningungskonjunktur in Deutschland und vor allem wachsende nationale Spannungen in Jugoslawien führten zu einem Zuwanderungsschub in den Jahren 1989-1993, der in seiner Dimension beinahe an die Nachkriegsjahre erinnerte und als „Migrationskrise“ in die österreichische und Wiener Migrationsgeschichte einging.[3] Zwischen 1989 und 1991 kam es kurzfristig zum nahezu ungehinderten Zuzug nach Wien, der durch die einsetzende Flüchtlingswelle aus dem jugoslawischen Raum noch verstärkt wurde. Die Zahl der ausländischen Bevölkerung schnellte im Zeitraum 1989 bis 1993 von 144.342 auf 223.577 um rund 80.000 nach oben. Bis zur Jahrtausendwende setzte sich der Anstieg dann vorerst stark gebremst fort, da nunmehr restriktive „Zuwanderungsregimes“ installiert wurden. Eine echte politische Zäsur stellte dabei das Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes mit 1.7.1993 dar. Es deckelte Neuanträge, die nunmehr ausnahmslos aus dem Ausland zu stellen waren, mit einer sehr eng bemessenen Zuzugsquote.[4]

Ethnische Unterschichtung

Eine „ethnische Segmentierung“ des Arbeitsmarktes war bereits im Konzept der Gastarbeiter-Anwerbung angelegt. Auch wenn gegen Ende der 1960er Jahre die Kontingente mehr und mehr an Bedeutung verloren, hatten sich bereits „Ausländer- und Inländerbranchen“ verfestigt, die sich auch in der Folge kaum veränderten. Innerhalb dieser Branchen mit den höchsten Ausländerquoten waren Gastarbeiter auf schlecht bezahlte, mit hoher Arbeitsbelastung verbundene Jobs verwiesen. Dabei entwickelten sich allerdings bald Unterschiede. Zwar waren zu Beginn der 1970er Jahre Jugoslawen und Türken zu nahezu 90% als Hilfsarbeiter tätig, Jugoslawen dabei auch häufiger in bestimmten Dienstleistungsberufen.[5]Gastarbeiter waren daher mit dem Phänomen der dauerhaften ethnischen Unterschichtung und den daraus resultierenden Folgeproblemen konfrontiert. Gastarbeiter und deren Familienangehörige nahmen niedrige soziale Positionen ein, die von Einheimischen der Unterschicht aufgegeben wurden. Dadurch entstand ein verfestigter subkultureller Dauerzustand, der pathologische Sozialisationsformen in größerem Maßstab begünstigte.[6]

Für jugoslawische und türkische Zuwanderergruppen galt eine klare Dominanz der Migration aus bildungsfernen Schichten aus ländlichen Gebieten. Das geringe in der Heimat erworbene Bildungsniveau vieler Gastarbeiter und ihrer Familienangehörigen sowie Sprachprobleme von deren Kindern sorgten gemeinsam mit rechtlichen Diskriminierungen am Arbeitsmarkt für eine Verstetigung dieser Unterschichtung. Nach den Wiener Enqueten von 1974 und 1981 hatten 9% der jugoslawischen Gastarbeiter keine Schule besucht, 8% waren Analphabeten, und 24% hatten die Volksschule nicht abgeschlossen.[7] Die zugezogenen Kinder hatten in einem zunächst kaum darauf vorbereiteten Schulsystem wenig Bildungschancen. Zu Beginn der 1980er Jahre blieben in Wien 43% der türkischen Schulabgänger und 28% der jugoslawischen ohne Schulabschluss.[8] Vor allem unter muslimischen Türken sorgte auch die überdurchschnittliche Endogamie für die Bildung immer neuer „erster Generationen“ durch Nachholung von Bräuten und Bräutigamen aus dem Herkunftsland. Mitte der 1990er Jahre heirateten rund 80-85% der Wiener Muslime unter Glaubensangehörigen. Im Jahr 2001 besaßen 10,5% der in Österreich geborenen Bevölkerung einen universitären Bildungsabschluss, während die Akademikerquote unter den in den ehemaligen Gastarbeiterländern Ex-Jugoslawien und Türkei Geborenen marginal, der Anteil von Personen mit Pflichtschul- oder keinem Schulabschluss weit überdurchschnittlich war. Er erreichte 2001 unter den in Serbien und Montenegro Geborenen 72%, unter den Türken 80%, während er bei der österreichischen Geburtsbevölkerung (einschließlich der zweiten und dritten Migrantengeneration) 29% betrug.[9]

Literatur

  • Rainer Bauböck: „Nach Rasse und Sprache verschieden“. Migrationspolitik in Österreich von der Monarchie bis heute (Institut für Höhere Studien, Wien, Reihe Politikwissenschaft 31), Wien: Institut für Höhere Studien 1996
  • Rainer Bauböck, Bernhard Perchinig: Migrations- und Integrationspolitik. In: Herbert Dachs [u.a.] (Hg.), Politik in Österreich. Das Handbuch. Wien 2006, S. 726-743
  • Ljubomir Bratic, Diskurs und Ideologie des Rassismus im österreichischen Staat. In: Kurswechsel. Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen 2003/2, S. 37-48
  • Hakan Gürses, Cornelia Kogoj, Sylvia Mattl (Hg.): Gastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration, Wien: Mandelbaum Verlag 2004
  • Helga Leitner: Gastarbeiter in der städtischen Gesellschaft. Segregation, Integration und Assimilation von Arbeitsmigranten. Am Beispiel jugoslawischer Gastarbeiter in Wien (Campus Forschung 307), Frankfurt/M.-New York: Campus 1983
  • Elisabeth Lichtenberger: Gastarbeiter. Leben in zwei Gesellschaften, Wien-Köln-Graz: Böhlau Verlag 1984
  • Siegfried Pflegerl: Gastarbeiter zwischen Integration und Abstoßung, Wien-München: Jugend & Volk 1977
  • Andreas Weigl: Demografischer Wandel in Wien: von 1945 bis in das ausgehende 20. Jahrhundert. In: Michael Dippelreiter (Hg.), Wien. Die Metamorphose einer Stadt, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar: Böhlau Verlag 2013, S. 397-444

Einzelnachweise

  1. Ljubomir Bratic: Diskurs und Ideologie des Rassismus im österreichischen Staat. In: Kurswechsel. Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen 2003/2, S.39 f.
  2. Andreas Weigl: Demografischer Wandel in Wien: von 1945 bis in das ausgehende 20. Jahrhundert. In: Michael Dippelreiter (Hg.), Wien. Die Metamorphose einer Stadt, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar: Böhlau Verlag 2013, S. 408 f.
  3. Rainer Bauböck, Bernhard Perchinig: Migrations- und Integrationspolitik. In: Herbert Dachs [u.a.] (Hg.), Politik in Österreich. Das Handbuch. Wien 2006, S. 732 f.
  4. Rainer Bauböck: „Nach Rasse und Sprache verschieden“. Migrationspolitik in Österreich von der Monarchie bis heute (Institut für Höhere Studien, Wien, Reihe Politikwissenschaft 31), Wien: Institut für Höhere Studien 1996, S. 22.
  5. Helga Leitner: Gastarbeiter in der städtischen Gesellschaft. Segregation, Integration und Assimilation von Arbeitsmigranten. Am Beispiel jugoslawischer Gastarbeiter in Wien (Campus Forschung 307), Frankfurt/M.-New York: Campus 1983, S. 34, 174 f.
  6. Siegfried Pflegerl: Gastarbeiter zwischen Integration und Abstoßung, Wien-München: Jugend & Volk 1977, S. 110-116.
  7. Elisabeth Lichtenberger: Gastarbeiter. Leben in zwei Gesellschaften, Wien-Köln-Graz: Böhlau Verlag 1984, S. 98, 110.
  8. Michael John, Albert Lichtblau: Schmelztiegel Wien – einst und jetzt. Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten, Wien-Köln: Böhlau-Verlag 1990, S. 276.
  9. Andreas Weigl: Demografischer Wandel in Wien: von 1945 bis in das ausgehende 20. Jahrhundert. In: Michael Dippelreiter (Hg.), Wien. Die Metamorphose einer Stadt, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar: Böhlau Verlag 2013, S. 413.