Mit Beschluss des Gemeinderats vom 27. April 1917 sollten Mutterberatungsstellen als Bestandteil der Bezirksjugendämter eingerichtet werden. 1920 erhielt das Jugendamt die Berechtigung, eine ärztliche, fürsorgende und rechtliche Beratung von Müttern auch außerhalb der Amtsstellen durchzuführen. Ziel war es, den Müttern vor allem Ratschläge zur Ernährung und Pflege der Kinder zu geben, um die Kindersterblichkeit (Säuglingssterblichkeit) zu senken. Ab 1923 wurden Mutterberatungsstellen (1923: neun, 1926: 19, 1928: 35) auch in städtischen Wohnhausbauten eingerichtet. Ab 1926 waren diese auch den Mitgliedern einiger Krankenkassen zugänglich. Der Verband der Krankenkassen stellte dem Jugendamt sieben Kassenambulatorien für Beratungszwecke zur Verfügung. 1930 wurde in zwei Beratungsstellen eine Schwangerenberatung eröffnet. Als Anreiz zum Besuch bot man „Sachbeihilfen" in Form von Milch und Nährpräparaten; 1927 begann die Säuglingswäscheaktion (Gesundheitswesen). In der nationalsozialistischen Zeit erlebte die Mutterberatung aufgrund des ideologisch geförderten „Mutterkults" eine Blüte; 1940 standen 110 Beratungsstellen in Betrieb. In den eingemeindeten Landgebieten kam ein Mutterberatungs-Autozug zum Einsatz. Säuglingsschwestern unterstützten die beratenden Fürsorgerinnen und Ärzte. Nach 1945 kamen aufgrund unzureichender Räumlichkeiten (1948 waren 81 Mutterberatungsstellen wieder in Betrieb) ebenfalls mobile Beratungsstellen zum Einsatz.
Das Säuglingswäschepaket wurde 1948 wieder eingeführt. In den 70er Jahren wurde in einem Modellversuch die psychohygienische Betreuung der Mutterberatung intensiviert, die Vorsorgemedizinische Funktion blieb allerdings vorrangig. Auch die Beratung durch eine Psychologin wurde probeweise angeboten. Seit 1974 werden Beratungen auch in Fremdsprachen angeboten. Seit 1976 kann die Mutter zwischen einer Ausstattung für Säuglinge oder einer für Kleinkinder wählen. Die Abgabe wurde an die im neu eingeführten Mutter-Kind-Pass vorgeschriebenen ärztlichen Untersuchungen gebunden. Entsprechend dem zunehmenden Interesse der Väter an der Kindererziehung wurde die Mutterberatung im Jugendwohlfahrtsgesetz vom 27. April 1990 (Landesgesetzblatt 36/1990) in Elternberatung umbenannt.
Literatur
- Felix Czeike: Wirtschafts- und Sozialpolitik der Gemeinde Wien in der ersten Republik (1919 - 1934). Band 2. Wien: Verlag für Jugend und Volk 1959 (Wiener Schriften, 11), S. 218 ff.
- Karl Gottlieb: Die Mutterberatungsstellen als Zentrum der ärztlichen Jugendfürsorge. In: Blätter für das Wohlfahrtswesen 25 (1926), S. 113 f.
- Karl Gottlieb: Erfahrungen aus der Mutterberatungsstelle. In: Blätter für das Wohlfahrtswesen 24 (1925), S. 104 f.