Schulärztlicher Dienst
Schulärztlicher Dienst (Schularzt). Gelegentlich finden sich bereits im 18. Jahrhundert in Schulordnungen schulhygienische Anweisungen, doch bilden diese keine Vorstufe für den schulärztlichen Dienst. Durch den Erlass zur Gesundheitspflege 1873 wurde der erste Schritt getan, der eine wissenschafttliche Schulhygiene ermöglichte; 1909 wurde an einigen Lehrerbildungsanstalten provisorisch ein Schulhygienischer Dienst eingeführt (in Wien probeweise in zwei Bezirken). Im Herbst 1919 wurde der schulärztliche Dienst (aufgrund des Gemeinderats-Beschlusses vom 11. Juli 1919) auf alle Volks- und Bürgerschulen ausgedehnt, allerdings noch von städtischen Ärzten, Bezirksärzten und einigen praktischen Ärzten ausgeübt. Erst mit Beschluss des Gemeinderatsausschusses III vom 7. Dezember 1919 wurde der schulärztliche Dienst organisiert. 1922 wurden für alle Wiener Volks- und Bürgerschulen Schulärzte bestellt, denen vor allem zwei Aufgaben zufielen: die Feststellung des Gesundheitszustands der Kinder und Veranlassung des etwa Erforderlichen zu seiner Verbesserung sowie die Anlegung einer verlässlichen Statistik als Grundlage für sozialhygienische und sozialpolitische Maßnahmen. Die Beaufsichtigung des schulärztlichens Dienstes oblag dem Gesundheitsamt. 1930 versahen zwei hauptamtlich und 50 nebenamtlich angestellte Schulärzte ihren Dienst; sie fungierten allerdings nur als Berater und durften keine Behandlung der Kinder übernehmen. In den Hilfs- und Sonderschulen waren außerdem zwei heilpädagogisch und neurologisch geschulte Ärzte als Schulärzte tätig. Für spezialärztliche Untersuchungen standen je ein städtischer Ohrenarzt, Orthopäde und Facharzt für sprachgestörte Kinder sowie die Augenärztliche Zentrale zur Verfügung. Zu den Aufgaben des Schularzts gehörten ein informativer Besuch in allen Schulklassen, die Untersuchung jener Kinder, die wegen bestimmter Gebrechen von einzelnen Unterrichtsgegenständen befreit werden sollten (etwa Turnen) und die Untersuchung der Kinder der zweiten Volksschulklasse auf Sehschärfe. Zusätzlich erfolgte die gründliche Untersuchung aller Schulneulinge im Beisein der Eltern (zur Abklärung von Fragen nach Familienverhältnissen, Erbkrankheiten und so weiter; Tuberkulinprobe). Ähnliche Durchuntersuchungen wurden in der vierten und achten Schulklasse wiederholt. 1994 versahen 94 städtische Schulärzte ihren Dienst in den Pflichtschulen, Lehranstalten für Frauenberufe, Polytechnischen Schulen, Körperbehindertenschulen, Ganztagsschulen, städtischen Kinderheimen und Berufsschulen. Vom schulärztlichen Dienst wurden 1994 236.449 Untersuchungen und 50.545 Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Röteln, Kinderlähmung und FSME durchgeführt.
Literatur
- Hermann Schnell: Die Wiener Schulen. Wien [u.a.]: Jugend-und-Volk-Verlagsges. 1971
- Czeike, Felix: Wirtschafts- und Sozialpolitik der Gemeinde Wien in der ersten Republik (1919-1934). Teil 2. Wien: Verl. f. Jugend u. Volk 1959, (Wiener Schriften, 11) S. 227 ff.
- Karl Schütz: Über die schulärztliche Untersuchung der Kinder vor dem Schwimmunterricht. In: Tuberkulose-Fürsorge 4 (1926), S. 94-95
- Hans Redtenbacher: Die Tätigkeit des Schul- und Kindergartenarztes. Bedeutung der Elternanwesenheit bei der ärztlichen Untersuchung in Schule und Kindergarten. In: Blätter für Wohlfartswesen 268 (1928), S. 241-244
- Karl Gottlieb: Die Gesundheitsfürsorge an den öffentlichen Schulen der Gemeinde Wien. In: Blätter für Wohlfahrtswesen 282 (1930), S. 315-318
- Die Verwaltung der Stadt Wien 1994. Hrsg. vom Magistrat der Stadt Wien, Geschäftsgruppe Stadtentwicklung, Stadtplanung und Außenbeziehungen der Stadt Wien. Wien 1995, S. 216.
- Ferdinand Lettmayer [Hg.]: Wien um die Mitte des XX. Jahrhunderts - ein Querschnitt durch Landschaft, Geschichte, soziale und technische Einrichtungen, wirtschaftliche und politische Stellung und durch das kulturelle Leben. Wien: 1958, S. 527