Stammbuch
Hatte man dieser Buchgattung (die dem Austausch von Freundschaftsbekenntnissen diente und besonders in einer Epoche gefühlvollen Überschwangs eine Blüte erlebte) lange Zeit keine Beachtung geschenkt, trat sie durch den von Goethes Interesse für die volkstümliche Spruchdichtung veranlassten Ankauf von 275 Stammbüchern durch den Großherzog von Sachsen-Weimar 1805 (die den Grundstock der Stammbuchsammlung der Weimarer Landesbibliothek bildeten) ins Licht der Öffentlichkeit. 1893 begannen die Kulturhistoriker Robert und Richard Keil mit der Herausgabe der ersten grundlegenden Stammbuchgeschichte. Die Stammbücher gehen auf Stammbuchauszüge (mit kolorierten Wappenzeichnungen) oder Turnierbücher (mit Eintragung der Turniergegner) zurück. Als man begann, den eigenen Ahnennachweis durch die Eintragung von Kampfgenossen „legitimieren" zu lassen, kamen auch „geschlechtsfremde" Wappen in die Stammbücher, und von da an wurde es üblich, bedeutende Ereignisse (Turniere, Hoffeste, Kriegszüge oder auch Gelage) und den damit verbundenen Freundeskreis im Stammbüchern festzuhalten. Im Lauf der Zeit verschwand das ursprüngliche Kernstück, das Wappen (mit Spruchband), und ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts übernahm das Bürgertum die Stammbuchsitte (anfangs Gelehrte, Theologen, Ärzte und Juristen), worauf sich die eigentlichen Freundschaftsalben entwickelten, die in verschiedenen Abwandlungen bekannt sind (beispielsweise Miniaturenalben). Die klassische Form des Stammbuchverses entstand aus den Schüleralben und fand, nachdem sich im 18. Jahrhundert ein Wandel abgezeichnet hatte, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Die Stammbücher wurden oftmals nach einem festen Schema aufgebaut (zunächst Angehörige, dann der engste Freundeskreis, schließlich Bekannte) und sind oft wertvoll gebunden. An der Wende zum 19. Jahrhundert kam beispielsweise der Verlag Loeschenkohl den Stammbuchbesitzern entgegen, indem er in Almanachen und Kalendern neben weißen Bllättern für Eintragungen auch „Musterwidmungen" abdruckte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Stammbuch zur Frauendomäne; das „Poesie-Album" diente bis zum Ersten Weltkrieg der Erinnerung an die Jugendzeit. Bis in unsere Zeit erhielt sich der Stammbuchgedanke in den Formen des Autographenalbums (vor allem Autographen von Künstlern) und des Gästebuchs (das in den 20er Jahren wieder modern wurde). Auch die Wienbibliothek im Rathaus besitzt eine umfangreiche Stammbuchsammlung.
Literatur
- Karl Gladt: Stammbuchblätter aus Wien. 1967
- Hermann Böhm: Auf die Freundschaft windet Kränze. Wiener Stammbuchblätter aus fünf Jahrhunderten. Katalog der Wiener Stadt- und Landesbibliothek 209. Wechselausstellung 1987