Walter Kohn
Walter Kohn, * 9. März 1923 Wien, † 19. April 2016, Physiker
Biographie
Walter Kohn wurde in eine jüdische Mittelklasse-Familie geboren. Seine Eltern waren aus den Kronländern der Habsburger-Monarchie zugewandert (der Vater Salomon aus Mähren, die Mutter Gittel aus Galizien). Walter Kohns Vater führte den “Postkartenverlag Brueder Kohn” nach dem Tod seines Bruders, der im Ersten Weltkrieg ums Leben gekommen war, alleine weiter. Bis zur Machtergreifung Hitlers in Deutschland 1933 verbrachte die Familie die Ferien in ihrem Sommerhaus an der Ostsee. Walter Kohn besuchte das Akademische Gymnasium. Nach dem “Anschluss“ wurde er der Schule verwiesen und kam im Herbst 1938 an das jüdische Chajes-Gymnasium, wo zwei engagierte Lehrer sein Interesse für Mathematik und Physik weckten.
Walter Kohns Schwester Minna konnte bereits 1938 auswandern. Er folgte ihr mit einem Kindertransport kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach England. Den Eltern war es nicht mehr möglich zu emigrieren. Sie wurden ins Konzentrationslager gebracht und ermordet. Seine Pflegefamilie in England ermöglichte Kohn eine Ausbildung an der East Grinstead County School in Sussex, bevor er nach Aufenthalten in verschiedenen Flüchtlingslagern bei einer kanadischen Familie Aufnahme fand, die ihn dabei unterstützte, seine Studien als außerordentlicher Hörer der Mathematik und der angewandten Mathematik an der University of Toronto fortzusetzen. Nach seinem Militärdienst in der kanadischen Armee ging er mit einem Stipendium nach Harvard, wo er 1948 bei Julian Seymour Schwinger mit einer Arbeit zur Streutheorie aus dem Bereich der Quantenmechanik in Physik promovierte. 1950 bekam er einen Lehrauftrag an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, den er aber aufschob, um in Frankreich und Dänemark zu arbeiten. 1952 kehrte Kohn in die USA zurück und nahm seine Tätigkeit in Pittsburgh auf. 1957 legte Kohn die kanadische Staatsbürgerschaft zurück und nahm jene der USA an. 1960 kam der Wissenschaftler an die University of California in San Diego, wo er von 1979 bis 1984 der erste Direktor des National Science Foundation's Institute for Theoretical Physics war. Seit der Mitte der 1980er Jahre arbeitete er verstärkt mit theoretischen Chemikern zusammen. In Fachkreisen wird Walter Kohn mit drei wichtigen Entdeckungen assoziiert: die Effektive-Masse-Theorie, die zur Grundlage der Halbleiterphysik wurde, die Kohn-Anomalie, mit der er einen unkonventionellen Supraleitertyp vorhersagte und das Hohenberg-Kohn-Sham-Theorem (oder die Lokale-Dichtefunktional-Methode), das als seine wohl wichtigste Leistung präzise computerunterstützte Strukturberechnungen in Festkörpern und großen Molekülen erlaubt. Gemeinsam mit dem Mathematiker und Chemiker John Antony Pople wurde Walter Kohn 1998 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Durch die von ihnen entwickelten Berechnungsmethoden haben sie die Quantenchemie revolutioniert. Seine Forschungs- und Vortragstätigkeit führte Kohn immer wieder in seine Geburtsstadt. So nahm er unter anderem 2006 am Ersten Wiener Nobelpreisträgerseminar teil. Dem Akademischen Gymnasium und der Zwi-Perez-Chajes-Schule stiftete er den Walter Kohn Preis für hervorragende Schülerarbeiten. Seit 2011 wurde Kohn Ehrenmitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Unter den zahlreichen Ehrendoktoraten, die Walter Kohn erhalten hat, sind auch die der Technischen Universität Wien und der Universität Wien.
Literatur
- Chemie-Nobelpreisträger Walter Kohn gestorben. In: Die Presse, 22.04.2016
- Wienbibliothek im Rathaus, Tagblattarchiv: Personenmappe Walter Kohn [TP 026174]
- Nobelpreis.org: Walter Kohn – Biographical
- Jewish Virtual Library: Walter Kohn
- Ehrendoktorat an Alfred Bader, Walter Kohn und Peter Pulzer. In: uni:view Magazin
- University of Santa Barbara. Department of Physics: Walter Kohn
- Volkstheater: Erinnerung und Gegenwart der Wissensstadt Wien. In: Rathauskorrespondenz, 29.09.2005
- Erstes Wiener Nobelpreisträgerseminar. In: Rathauskorrespondenz, 26.06.2006