Andreas Rett
Andreas Rett, * 2. Jänner 1924 Fürth, Deutschland, † 25. April 1997 Wien, Kinderneurologe, Primarius, Gattin Dr. Jutta.
Nach Kriegsdienst bei der Marine (ab 1942) studierte er Medizin (Dr. med. 1949) und übersiedelte anschließend nach Wien, wo er bis 1950 eine Facharztausbildung absolvierte. 1950/1951 arbeitete er am Kinderspital in Zürich, 1951-1957 im Preyerschen Kinderspital in Wien (10). 1959 gründete er am Lainzer Krankenhaus eine Abteilung für hirngeschädigte Kinder, 1967 wurde er Leiter eines Ludwig-Boltzmann-Instituts. 1963 begründete Rett die erste "Geschützte Werkstätte" für nervenkranke Jugendliche; er war ein Vorkämpfer für Toleranz gegenüber Behinderten und 1966-1989 Vorstand der Abteilung für entwicklungsgestörte Kinder beziehungsweise ab 1970 Medizinischer Leiter des Instituts für Musiktherapie. 1973 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt, 1975 erfolgte bei gleichzeitiger Ernennung zum ärztlichen Direktor des Neurologischen Krankenhauses der Stadt Wien am Rosenhügel die Übersiedlung in den Klinikneubau.
Zu seinen größtenteils richtungweisenden Veröffentlichungen (insgesamt rund 300 Titel) gehört (neben über einem Dutzend anderer Buchveröffentlichungen) das Werk "Das hirngeschädigte Kind" (1971); als Mitarbeiter war er an der Publikation "Linkshänder. Analyse einer Minderheit" (1973) beteiligt. Er beschäftigte sich auch mit der nationalsozialistischen Rassenbiologie und publizierte (gemeinsam mit H. Seidler) das Werk "Das Reichssippenamt entscheidet. Rassenbiologie im Nationalsozialismus" (1982). Rett entdeckte das nach ihm benannte "Rett-Syndrom", eine fast ausschließlich bei Mädchen auftretende, genetisch bedingte Hirnstoffwechselerkrankung. Rett engagierte sich auch am Lainzer Krankenhaus, das zur zweiten Wirkungsstätte des bedeutenden Sozialmediziners und Heilpädagogen wurde.
Im Auftrag der Stadt Wien hat eine HistorikerInnen-Kommission die historische Bedeutung jener Persönlichkeiten, nach denen Wiener Straßen benannt sind, von 2011 bis 2013 untersucht sowie eine zeithistorische Kontextualisierung vorgenommen. Laut Abschlussbericht dieser Forschungsgruppe war Andreas Rett als Innsbrucker Student HJ-Führer, ab 1932 Mitglied der HJ sowie ab 1942 Mitglied der NSDAP. Auf Grund dessen konnte er nach Kriegsende erst nach einem Einspruch sein Studium aufnehmen. Rett thematisierte zwar früh die nationalsozialistische Vergangenheit seines Faches, unterließ jedoch eine Auseinandersetzung in Hinblick auf seine Einbindung innerhalb des Netzwerkes (ehemaliger) NS-Euthanasie-Ärzte. Gemeinsam mit Heinrich Gross hatte er einen wissenschaftlichen Aufsatz veröffentlicht. Dieser basierte auf Gehirnpräparaten von ehemaligen Spiegelgrundopfern, von deren Herkunft Rett, so die Kommission, vermutlich Kenntnis besaß. Was die Bewertung seiner medizinischen und sozialpolitischen Einstellung bis in die 1980er Jahre gegenüber geistig behinderten Menschen betrifft, sind noch weitere Forschungen vonnöten.
Literatur
- Who is Who in Österreich mit Südtirolteil (Hübners "Blaues Who is Who"). Zug: Who is who, Verlag für Personalenzyklopädien 121995
- Ernst Bruckmüller [Hg.]: Personen Lexikon Österreich. Wien: Verlagsgemeinschaft Österreich-Lexikon 2001
- Richard Bamberger [Hg.]: Österreich-Lexikon in zwei Bänden. Wien: Verlags-Gemeinschaft Österreich-Lexikon 1995
- Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 33 f.
- Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013
- Rathauskorrespondenz, 11.04.1994, 23.04.2002