Ariernachweis
Der „Ariernachweis“ (Kleiner Abstammungsnachweis) war ein amtliches Dokument, das dem Antragsteller bescheinigte, welcher Abstammung er oder sie hinsichtlich jüdisch oder „arisch“ war. Er wurde von den Nationalsozialisten 1935 in Deutschland und 1938 in Österreich verpflichtend eingeführt. Die Klassifizierung der Bevölkerung als „Jude“ oder „Arier“ basierte auf einer rassenantisemitischen Ideologie, die zur Ausgrenzung von Juden, gesellschaftlichen Ächtung, ihrer vollkommenen Enteignung, Vertreibung und schließlich Ermordung im Holocaust führte.
Gesetzliche Grundlagen - Die Nürnberger Rassengesetze
Die gesetzlichen Grundlagen waren in zwei Gesetzen verankert, dem Blutschutzgesetz (Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, RGBl. I, S. 1146) und dem Reichsbürgergesetz (RGBl. I, S. 1146). Beide Gesetze wurden gemeinsam mit dem Reichsflaggengesetz (RGBl. I, S. 1145) am 15. September 1935 vom Reichstag in Nürnberg angenommen und im Reichsgesetzblatt, Teil I, Nr. 100 am 16. September 1935 erlassen und am 20. September 1945 vom Allierten Kontrollrat aufgehoben. Mit der rückwirkenden "Verordnung über die Einführung der Nürnberger Rassengesetze im Lande Österreich" vom 20. Mai 1938 (RGBl.I, S. 594 f.)[1] und der "Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich, wodurch die Verordnung über die Einführung der Nürnberger Rassengesetze im Lande Österreich vom 20. Mai 1938 bekannt gemacht wurde" (GBlÖ Nr. 150/1938),[2] ist der Beginn der gesetzmäßigen, rassischen Einordnung und Aburteilung der österreichischen Bevölkerung als "Juden" und "Mischlinge" anzusehen. Die "Einstweilige Anordnung des Reichsstatthalters über die Durchführung des § 6 der Verordnung über die Nürnberger Rassengesetze im Lande Österreich" (GBl. Nr. 298/1938[3] regelte einen Aufschub der strafrechtlichen Konsequenzen für die Beschäftigung von jüdischen Hausangestellten. Die Nürnberger Rassengesetze wurden von der Österreichischen Provisorischen Staatsregierung in der "1. Kundmachung über die Aufhebung von Rechtsvorschriften des Deutschen Reiches" am 13. Mai 1945 für nichtig erklärt.[4] Das Blutschutzgesetz verbot die Ehe und den geschlechtlichen Verkehr zwischen Juden und Nichtjuden.[5] Die rechtliche Untermauerung für die Einordnung von Personen als "deutschblütig" ("arisch"), "deutschen und artverwandten Blutes", Jude, "Geltungsjude", "Mischling ersten Grades" und "Mischling zweiten Grades" waren in der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 (RGBl. I, S. 1333 f.) begründet. Die Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen richtete sich nach der nach NS-Definition rassischen und konfessionellen Einordnung der Großeltern. Großeltern waren dann als "volljüdisch" eingestuft, wenn sie der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hatten, auch wenn deren Eltern beispielsweise gar nicht jüdisch waren. Als "objektives Merkmal" für diese Zugehörigkeit dienten Mitgliedschaften in jüdischen Gemeinden, Zahlungsbestätigungen von Kultussteuern und die Neuaufnahme in die jüdische Religionsgemeinschaft. [6]
Die Einordnung als "Jude"
Außer der Tatsache, dass man bei drei jüdischen Großeltern automatisch als Jude galt, gab es hier vier Kriterien, um als "Geltungsjuden" eingestuft zu werden. Als Jude galten demnach Personen, die "zwei der Rasse nach volljüdischen Großeltern" hatten und wenn sie:
- mit Erlass des Reichsbürgergesetzes am 16. September 1935 der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten.
- mit Erlass des Reichsbürgergesetzes am 16. September 1935 mit einem Juden / einer Jüdin verheiratet waren oder nach dem 16. September heirateten.
- aus einer Ehe mit einem Juden / einer Jüdin stammten, die mit Erlass des Blutschutzgesetz nach dem 17. September 1935 geschlossen wurde.
- aufgrund einer außerehelichen Verbindung mit einem Juden / einer Jüdin nach dem 31. Juli 1936 geboren wurden.
Die Einordnung als "Mischling ersten Grades"
Es waren dies Personen mit zwei jüdischen Großeltern, die laut einem Runderlass des Reichsministers des Inneren vom 26. November 1935 und den Nürnberger Rassengesetzen nicht als Juden galten.
Die Einordnung als "Mischling zweiten Grades"
Es waren dies laut einem Runderlass des Reichsministers des Inneren vom 26. November 1935 Personen mit einem jüdischen Großelternteil. Die Herkunft der Urgroßeltern und ob die Großeltern des sogenannten "Prüflings" selbst "Mischlinge" waren, wurden bei dieser Gesetzgebung nicht berücksichtigt, daher ist diese Judikatur auch nicht nur nach rassischen Gesichtspunkten angewendet worden, sondern war in pseudowissenschaftlichen Annahmen begründet, die beispielsweise eine Person durch ihre bloße Mitgliedschaft bei einem Synagogenverein als Juden klassifizierten.
Durchführende Behörden
In Deutschland war die in Berlin angesiedelte Reichsstelle für Sippenforschung bei dem Reichs- und Preußischen Ministerium des Inneren und später das Reichssippenamt, in Österreich das in Wien befindliche Gauamt für Sippenforschung der NSDAP zuständig.
Nachweise der Abstammung
Kleiner Abstammungsnachweis und Unbedenklichkeitsbescheinigung
Im Zusammenhang damit, dass jede Person, auch Kinder, einen Nachweis über ihre Abstammung bis zu den vier Großeltern erbringen mussten, den sogenannten Kleinen Abstammungsnachweis, hatte das Gauamt für Sippenforschung als Haupttätigkeit die Überprüfung und Archivierung aller damit zusammenhängender Geschäftsvorgänge. Die Beschaffung aller Dokumente, die für den kleinen Abstammungsnachweis notwendig waren, erforderten umfangreiche Recherchen: Vorzulegen waren folgende Unterlagen:
- Passierscheine, um das Amt überhaupt betreten zu dürfen
- "Dringlichkeitsbescheide" von Seiten der Behörden, die einen Nachweis verlangten
- Zwei ausgefüllte Formblätter ohne Korrekturen oder Radierungen
- Urkunden des "Prüflings" und von dessen Eltern und Großeltern: Geburtsurkunden, Taufscheine, Trauscheine, Scheidungsurkunden, Beglaubigungen von nichtdeutschsprachigen Urkunden, Vormundschaftsakten bei unehelichen Kindern.
Archivbestand „Ariernachweise“
Kleine Abstammungsnachweise befinden sich im Wiener Stadt- und Landesarchiv, Bestand Gauamt für Sippenforschung, A5: Kleine Abstammungsnachweise, siehe Wiener Stadt- und Landesarchiv, A5: Kleine Abstammungsnachweise.
Der Große Abstammungsnachweis
Die Hauptstelle für Ahnennachweise war für die Ausstellung und Überprüfung von Ahnennachweisen der höheren NS-Funktionäre, sowie deren Ehepartnerinnen und Ehepartnern, der Gauleitung, der Kreisleitungen und Ortsgruppenleitungen zuständig. Die Ahnennachweise mussten vor der Vorlage beim "Hauptpersonalamt" von der Hauptstelle Ahnennachweis bearbeitet werden. Die Antragsteller mussten alle erforderlichen Urkunden bis zum 1. Jänner 1800 zurück beschaffen, Personen, denen das nicht möglich war, mussten auf einen Bescheid des Reichssippenamt es Berlin warten, das in solchen Fällen entschied. Personen in höheren Parteifunktionen benötigten, wenn sie nicht alle Urkunden bereitstellen konnten oder unehelich geboren wurden, ebenfalls eine "Unbedenklichkeitserklärung seitens des Amtes für Sippenforschung beim.[7] Die Hauptstelle für Ahnennachweise bestand 1941 aus zwei Stellen, der Stelle Forschung und der Stelle Abstammungsprüfung.[8]
Verfolgung von Juden und "Mischlingen"
Menschen, die als Juden im Sinn der Nürnberger Rassegesetze eingestuft waren, waren zunehmend Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, zunächst erfolgte ihre Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben, „Arisierung" des Vermögens, Tragen eines „ Judensterns", Wohnungsverlust, Verhaftung, Deportation, und Einlieferung in ein Konzentrations- oder Vernichtungslager. "Mischlinge" waren gesellschaftlicher Ausgrenzung, Berufs- und Studienverboten, Zwangsarbeit und in vielen Fällen auch Deportationen ausgesetzt.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, NSDAP Wien, Rassenpolitisches Amt
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, NSDAP Wien, Gauamt für Sippenforschung
Literatur
- Katharine Kniefacz / Herbert Posch: "… unter Vorbehalt des Widerrufs" – Jüdische ˈˈMischlingeˈˈ an der Universität Wien 1938-1945. In: Zeitgeschichte 43 (2016), Heft 5, S. 275-291
- Michaela Raggam-Blesch: Alltag unter prekärem Schutz. „Mischlinge“ und „Geltungsjuden“ im NS-Regime in Wien. In: Zeitgeschichte 43 (2016), Heft 5, S. 292-307
- Horst Seidler / Andreas Rett: Das Reichssippenamt entscheidet. Rassenbiologie im Nationalsozialismus. Wien / München: Jugend und Volk 1982
- John M. Steiner / Jobst F. von Cornberg: Willkür in der Willkür. Befreiung von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen. München: Oldenbourg 1998 (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 46), S. 143-187
- James F. Tent: Im Schatten des Holocaust. Schicksale deutsch-jüdischer "Mischlinge" im Dritten Reich. Aus dem Englischen übersetzt von Karl Heinz Silber. Köln / Weimar / Wien: Böhlau Verlag 2007
Weblinks
- NS-Quellen [Stand: 08.08.2019]
- NS-Quellen [Stand: 08.08.2019]
- NS-Quellen [Stand: 08.08.2019]
- Wienbibliothek Digital: Handbuch Reichsgau Wien. Band 63/64. Wien: Deutscher Verlag für Jugend und Volk 1941
- Wienbibliothek Digital: Handbuch Reichsgau Wien. Band 65/66. Wien: Deutscher Verlag für Jugend und Volk 1944
- Wikipedia: Nürnberger Gesetze [Stand: 07.08.2019]
- Wikipedia: Ariernachweis [Stand: 12.08.2019]
Einzelnachweise
- ↑ NS-Quellen [Stand: 08.08.2019].
- ↑ NS-Quellen [Stand: 08.08.2019].
- ↑ NS-Quellen [Stand: 08.08.2019].
- ↑ NS-Quellen [Stand: 08.08.2019]
- ↑ Wikipedia: Nürnberger Gesetze [Stand: 07.08.2019].
- ↑ Die Historikerin Michaela Raggam-Blesch schrieb in ihrer Studie zu "Mischlingen": "Die Tatsache, dass letztendlich auf konfessionelle Kriterien zurückgegriffen musste, um rassenideologische Prämissen festmachen zu können, unterstreicht die immanenten Widersprüchlichkeiten nationalsozialistischer Ideologie."Michaela Raggam-Blesch: Alltag unter prekärem Schutz. „Mischlinge“ und „Geltungsjuden“ im NS-Regime in Wien. In: Zeitgeschichte 43 (2016), Heft 5, S. 292.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A2/3: Mappe AMT 1.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A 2/1.