Zwangsarbeit
Von Zwangsarbeit im Nationalsozialismus wird gesprochen, wenn eine Person aus rassistischen, nationalen, ethnischen, religiösen und/oder politischen Gründen arbeiten musste, insbesondere dann, wenn diskriminierende arbeitsrechtliche Sonderbedingungen geschaffen wurden. Die Lebensverhältnisse der Menschen, die von NS-Behörden zur Arbeit gezwungen wurden, waren höchst unterschiedlich. Rassistische Hierarchisierungen, Schwere der Arbeit, materielle Versorgung, Ernährung und Unterkunft, Arbeitszeiten, Entlohnung und die Behandlung durch Vorgesetzte bestimmten die Lebensumstände. Dazu kamen erschwerende Umstände wie Strafen, Vergewaltigungen und Zwangsabtreibungen bei Frauen. Bei "Fehlverhalten" drohten oft drakonische Strafen, Einweisungen in Arbeitserziehungslager (wie dem Arbeitserziehungslager (AEL) Oberlanzendorf) oder Gefängnisstrafen. Kurzfristig wurden auch manchmal Zwangsarbeiter zu Strafmaßnahmen in der Jugenderziehungsanstalt Kaiserebersdorf untergebracht, zum Beispiel aus dem Zwangsarbeiterlager Obere Augartenstraße 56 und dem Zwangsarbeiterlager Holzweberstraße 133.
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Österreich
Bereits ab 1938 wurden Zwangsarbeiter auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich eingesetzt.
Nach Kriegsbeginn 1939 – die Wirtschaft im Deutschen Reich litt aufgrund der Aufrüstung und der Wehrpflicht für deutsche und österreichische Männer rasch unter einem Mangel an Arbeitskräften – brachte man Menschen aus den besetzten Gebieten (zunächst Polen, Frankreich, Gebiet des früheren Jugoslawien) als Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ins Deutsche Reich.
1944 wurden mehr als ein Drittel der Arbeitsplätze in Industrie und Gewerbe von zivilen Ausländerinnen und Ausländern besetzt. Besondere Bedeutung erlangte der Einsatz am Bau und bei der Reichsbahn. Bei den Kriegsgefangenen dominierte zunächst der Einsatz in Land- und Forstwirtschaft. Dem Einsatz in Handwerk und Industrie, vor allem in der Bauwirtschaft, kam zunehmend Bedeutung zu. Die über das ganze Land verteilten 40 Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen und 13 kleinere Außenlager des Konzentrationslagers Dachau in Westösterreich wurden zum Zweck der Zwangsarbeit eingerichtet.
Ab 1942 wurden KZ-Häftlinge als eine der letzten Arbeitskraftreserven für die deutsche Kriegswirtschaft gesehen.
Zwangsarbeit in der Landwirtschaft
Kennzeichnend für die Zwangsarbeit in der Landwirtschaft ist eine im Vergleich zum Einsatz in der Industrie größere Bandbreite zwischen "guter" und "schlechter" Behandlung. Bei aller Unterschiedlichkeit der individuellen Situationen kann davon ausgegangen werden, dass Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der Land- und Forstwirtschaft in der Regel besser verpflegt und nicht schlechter untergebracht waren als jene in der Rüstungsindustrie. Für Bauern als Produzenten ließen sich aufgrund von Lieferverpflichtungen mit Zwangsarbeitskräften kaum große Gewinne erwirtschaften. Jedoch sicherte die Zwangsarbeit auch in der Landwirtschaft den Fortbestand von Betrieben. Persönliche Dienstleistungen kamen den bäuerlichen Besitzerinnen und Besitzern unmittelbar zugute.
Zwangsarbeit in Industriebetrieben
Die Arbeitsproduktivität von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern war aufgrund der Arbeitsumstände wahrscheinlich niedriger als die der heimischen Arbeitskräfte. Aus dieser Sicht war der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte für die Industriebetriebe kein unmittelbarer Vorteil. Jedoch waren vor allem sowjetische Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge oft unter Arbeitsbedingungen tätig, die inländischen Arbeitskräften nicht zugemutet werden konnten. Ohne Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hätten die Industriebetriebe die Produktion zurücknehmen müssen oder wären zur Stilllegung gezwungen gewesen.
Hierarchisierung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern gemäß der NS-Ideologie
Der Rassenwahn der Nationalsozialisten schlug sich auch in einer „Rangordnung“ der Zwangsarbeiter nieder: An der Spitze standen neben deutschen Nazi-Gegnern „Westarbeiter germanischer Abstammung“ wie Flamen, Niederländer, Dänen und Norweger. Dann folgten Zwangsarbeiter wie Spanier, Franzosen und Italiener sowie Esten, Letten, Litauer, Ungarn, Slowaken, Moldawier, Slowenen, Kroaten, Tschechen, Bulgaren und Mazedonier.
Als „Untermenschen“ eingestuft wurden Polen (sie mussten Aufnäher mit „P“ tragen) und Staatsangehörige der Sowjetunion („Ost“-Aufnäher), die noch schlechtere Lebens- und Arbeitsbedingungen vorfanden. Am untersten Ende dieser Entwürdigungsskala rangierten Juden sowie Roma und Sinti, die von den Nazis als „Asoziale“ bezeichnet wurden.
Herkunft und zahlenmäßige Stärke der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Österreich
Im Herbst 1944 waren 580.000 Menschen aus der damaligen Sowjetunion, der Slowakei und Tschechien, aus Ungarn, dem damaligen Polen, aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Italien und anderen Ländern als „zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter“ in Österreich.
Ende 1944 wurden insgesamt 182.000 Kriegsgefangene in Österreich festgehalten und zu einem großen Teil zu Zwangsarbeit verpflichtet.
Die drittgrößte Zwangsarbeitergruppe bildeten Ende 1944 mindestens 55.000 ungarische Juden (Bau des „Südostwalls“). Tausende starben bei Todesmärschen in die Konzentrationslager.
Rund 64.000 Insassen (Stand Ende 1944) von Konzentrationslagern auf österreichischem Gebiet wurden zur Zwangsarbeit herangezogen.
Österreichische Juden, die zuerst Straßen säubern mussten, wurden schon ab Spätsommer 1938 in „geschlossenen Arbeitskolonnen“ systematisch zur Zwangsarbeit herangezogen (insgesamt 20.000 Personen; im Herbst 1944 waren davon noch 4.000 am Leben).
Tausende von österreichischen Roma und Sinti mussten Zwangsarbeit leisten. Im Herbst 1944 lebten noch etwa 1.500 von ihnen.
Zwangsarbeit leisten mussten unter anderem auch Regimegegner, religiöse und ethnische Minderheiten, Homosexuelle, der „Rassenschande“ bezichtigte Personen, Wehrmachtsdeserteure und Behinderte, die häufig auch zu Opfern barbarischer medizinischer Experimente wurden.
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Ostösterreich und Wien
Bereits ab Kriegsbeginn wurden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Wien in Lagern und lagerartigen Unterkünften untergebracht. Diese stammen unter anderem aus den Albanien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Italien, Jugoslawien (Kroatien, unter ihnen auch kroatische Roma, und Serbien), den Niederlanden, Polen, Spanien, Russland (darunter unter anderem auch Urkrainerinnen und Ukrainer), Tschechien, Türkei und Ungarn.
Im Sommer 1944 erhob der Wiener Bürgermeister Hanns Blaschke bei Ernst Kaltenbrunner, dem Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, Anspruch auf Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, um dem akuten Arbeitskräftemangel in Wien beizukommen.
Für die Abwicklung und Administration des Zwangsarbeitsdienstes richtete das Budapester Sondereinsatzkommando Eichmann mit Juli 1944 eine Wiener Dienststelle (SEK) ein, die sich in Wien 2, Castellezgasse 35 befand.
Im Frühsommer und Herbst 1944 wurden zudem mindestens 55.000 ungarische Jüdinnen und Juden zur Zwangsarbeit nach Ostösterreich deportiert.
Bei Herannahen der Front wurden die Jüdinnen und Juden in Todesmärschen Richtung Mauthausen und das Auffanglager Gunskirchen (Oberösterreich) getrieben, wobei es in vielen Orten zu regelrechten Massakern kam.
Katastrophale Arbeits- und Lebensbedingungen (insbesondere beim Südostwallbau) forderten das Leben Tausender Menschen. Auch im Stadtgebiet von Groß-Wien starben zahlreiche Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, da sie unter anderen beim Bombenräumen eingesetzt wurden und auch bei Bombenangriffen auf die großen Industriebetriebe in den Flächenbezirken (wo sich zahlreiche Zwangsarbeiterlager befanden]]. Etliche Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter kamen zudem bei Fluchtversuchen um, beispielsweise durch Ertrinken beim Versuch die Donau zu durchschwimmen oder indem sie vom Wachpersonal erschossen wurden.
Unterbringung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in Groß-Wien
Die Unterbringung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erfolgte in eigenen Lagern, in Baracken auf Firmengeländen oder in bei Firmen angeschlossenen lagerartigen Unterkünften und Schlafstellen.
Ein Teil der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiten war über das Konzentrationslager Mauthausen, das auch in Wien zahlreiche Außenstellen hatte, in das SS-Lagersystem integriert.
Die jüdisch-ungarischen ZwangsarbeiterInnen waren nicht in Konzentrationslager interniert, sondern wurden auf Wohnlager oder auf forst- und landwirtschaftliche Güter verteilt. Eine weitere Gruppe gelangte im Rahmen des Planes von SS-Reichsführer Heinrich Himmler mit den Westmächten einen Separatfrieden zu schließen nach Wien und Umgebung.
Die „Löhne“ der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden von den Betrieben, die aus der Zwangsarbeit ihren Nutzen zogen, nach Abzug der Kosten für die Familienangehörigen, auf ein Konto der Wiener Dienststelle des SEK, einer Sondereinheit der SS überwiesen.
In Wien waren die verschleppten Ungarn in überbelegten, sanitär zumindest akzeptablen Wohnlager der Gemeinde Wien, aber auch in Arbeitsstätten beziehungsweise Fabriken untergebracht, von wo sie sowohl zu Fuß, als auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln an ihre Einsatzplätze gebracht wurden.
Erinnerung
An zu Zwangsarbeit gezwungene Personen erinnern im Stadtraum etliche Erinnerungszeichen, so zum Beispiel die Erläuterungstafel Rosa-Fischer-Gasse, der Gedenkstein KZ Mauthausen Nebenlager Simmering und der Gedenkstein für Opfer 1938-1945 aus Favoriten, das Mahnmal für ZwangsarbeiterInnen im Hafen Lobau, die Parkbenennungstafel Arenbergpark, Zwangsarbeit im Flakturm und andere mehr. Siehe dazu die Abfrage Erinnern.
Siehe auch
Lager in Wien, Zwangsarbeiterlager
Weblinks
- Stadt Wien: Restitution
- Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien: Ungarische Zwangsarbeit in Wien
Video
Literatur
- Robert Bugl / Andreas Grabenschweiger: NS-Zwangsarbeit in "Groß-Wien" 1939-1945. Zivile ausländische ZwangsarbeiterInnen in der Rüstungsindustrie. Diplomarbeit Wien 2007. Gedruckt erschienen: Saarbrücken: VDM Verlag 2009.
- Eleonore Lappin-Eppel: Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz – Todesmärsche – Folgen. Wien 2011
- Stefan August Lütgenau / Maria Mesner / Alexander Schröck: Der Einsatz von Zwangsarbeit während der NS-Zeit bei der Stadt Wien. Studie verfasst im Auftrag des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 8, Wiener Stadt- und Landesarchiv. Wien 2000
- Hermann Rafetseder: NS-Zwangsarbeits-Schicksale: Erkenntnisse zu Erscheinungsformen der Oppression und zum NS-Lagersystem aus der Arbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds. Eine Dokumentation im Auftrag des Zukunftsfonds der Republik Österreich. Linz 2014