Bildungs- und Kulturarbeit des "Roten Wien"
Historische Anfänge
Die historischen Anfänge der Bildungs- und Kulturarbeit in der Wiener Arbeiterbewegung datieren in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Der von Friedrich Sander während der Revolution von 1848 geführte Arbeiterverein widmete sich hauptsächlich politischen Vorträgen, betrieb daneben aber auch bereits eine Krankenunterstützung und eine Arbeitsvermittlung. Nach Erlassung des österreichischen Vereinsgesetzes 1867 gab es bald über 200 Arbeitervereine mit mehr als 80.000 Mitgliedern. Ihre zentrale Stellung in der Vermittlung von politischer Bildung und in der Kulturarbeit ging allerdings nach dem sozialdemokratischen Parteitag in Hainfeld 1888/89 zurück, da die neu konstituierte Partei eine Zentralisierung der Bildungs- und Kulturarbeit einleitete. In der Folge entstanden zentrale Vorfeldorganisationen der sozialdemokratischen Bewegung in Österreich, die die von den Arbeiterbildungsvereinen entwickelten bildungs- und kulturpolitischen Traditionen fortführten.
Organisationen
Wichtige Organisationen in der sozialdemokratischen Bildungs- und Kulturarbeit waren die „Freidenker“, der Verein „Freie Schule“ oder der „Verein jugendlicher Arbeiter“. Die 1887 gegründeten „Freidenker“ übernahmen auch die Patenschaft über die Arbeiter-Feuerbestattungsvereine und wirkten entscheidend bei der Gründung des pädagogischen Reformvereins „Freie Schule“ mit. Das von diesem 1898 verabschiedete "Schulprogramm der Jungen" bildete die Grundlage für die während der Ersten Republik in Angriff genommenen Schulreformen. Die Freie Schule wurde später mit dem 1908 von Anton Afritsch in der Steiermark gegründeten Arbeiterverein Kinderfreunde fusioniert.
Im Jahr 1894 wurde der „Verein jugendlicher Arbeiter“ als gemeinsamer Vorläufer der Roten Falken, der Sozialistischen Arbeiterjugend und der gewerkschaftlichen Jugendbewegung gegründet. Bereits seit 1890 gab es auch einen eigenen Arbeiterinnen-Bildungsverein mit eigenem Vereinsorgan (die „Arbeiterinnen-Zeitung“, später in „Die Frau“ umbenannt).
Als Sammelbecken zum Zweck einer vernünftigen Freizeitgestaltung konstituierten sich noch vor der Jahrhundertwende die „Naturfreunde“ (1895), zahlreiche Arbeiterturnvereine und der „Verband der Arbeiter-Radfahrer“. Aus den Gesangs- und Musiksektionen der Arbeiterbildungsvereine entwickelten sich die Arbeitersänger und die Arbeitermusiker. Nach der Jahrhundertwende folge die Gründung der Wiener „Freien Volksbühne“. Im Laufe der Zeit erfuhr das Spektrum an kulturellen Organisationen eine nachhaltige Erweiterung und reichte von den „Arbeiter-Fotographen“ über die „Arbeiter-Jäger“ bis hin zum „Arbeiter-Trachtenverein“.
Die 1908 gegründete Zentralstelle für das Bildungswesen wurde nicht zuletzt in dem Bestreben ins Leben gerufen, die mannigfaltigen sozialdemokratischen Bildungs- und Kulturorganisationen miteinander zu vernetzen und ihre Aktivitäten zu koordinieren.
Bildungs- und Kulturarbeit in der Ersten Republik
Auf dem Bildungs- und Kultursektor war es das dezidierte Anliegen der seit 1919 amtierenden sozialdemokratischen Stadtverwaltung, eine der Arbeiterschaft entstammende „Gegenkultur“ zu der als bürgerlich punzierten „Hochkultur“ zu etablieren. Dies wurde nicht als schlichte Antithese verstanden, sondern als Vorgriff auf die zu schaffende sozialistische Gesellschaft und den in ihr lebenden „neuen Menschen“. Mit Hilfe der oben benannten sozialdemokratischen Vorfeldorganisationen, jedoch auch durch Errichtung städtischer Kultureinrichtungen wie Volksbüchereien und Volksbildungsinstitutionen sollte dieses Ziel verwirklicht werden. In der Bildungs- und Kulturarbeit manifestierte sich daher das Bemühen der SDAP, möglichst alle Lebensbereiche alternativ zu besetzen.
Eine besondere Bedeutung wird in diesem Zusammenhang auch den regelmäßig wiederkehrenden Großveranstaltungen und Festen der Sozialdemokratie zugeschrieben. Neben den politischen „Hochfesten“ des Ersten Mai und dem Tag der Republik (12. November) waren dies etwa das Fest des Arbeitersports zu Ostern, Wiegenfeste oder Jugendweihen.
Das Verbot aller der Sozialdemokratie nahestehenden Organisationen im Februar 1934 (Februarkämpfe) bedeutete ein abruptes Ende der Bildungs- und Kultureinrichtungen der organisierten Arbeiterbewegung in Wien. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte aus verschiedenen Gründen nicht mehr im selben Ausmaß an die Blütezeit der Zwischenkriegszeit angeknüpft werden.
Literatur
- Alfred Georg Frei: Rotes Wien. Austromarxismus und Arbeiterkultur, sozialdemokratische Wohnungs- und Kommunalpolitik 1919-1934. Berlin: DVK-Verlag 1984
- Wolfgang Kos (Hg.): Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930. Wien: Czernin 2010
- Helene Maimann: Die ersten 100 Jahre. Österreichische Sozialdemokratie 1888-1988. Wien [u.a.] Brandstätter 1988
- Walter Öhlinger: Das Rote Wien 1918-1934. Wien: Historisches Museum der Stadt Wien 1993
- Nadja Vaskovich: Das Rote Wien - Modellversuch einer „Proletarischen Gegenwelt“. Eine Untersuchung über die Hervorbringung einer "Arbeiterkultur" am Beispiel einer milieuspezifischen Wohnkultur. Wien: Dipl.-Arbeit 1998