Blick auf Wien vom Leopoldsberg, Rudolf von Alt (1833)
Auf der Aussichtsterrasse bei der Kirche am Leopoldsberg herrscht scheinbar heitere und vergnügte Ausflugsstimmung. Im Schutz des zentralen sakralen Erinnerungsbaus an die Türkenbelagerung macht sich das Bürgertum gleichsam den Blick auf das ihm zu Füßen liegende Wien zu eigen. Rudolf Alt (1812–1905) lässt durch diese Inszenierung die eminent politische Bedeutung, die dieser Wien-Blick im 19. Jahrhundert hatte, intuitiv erahnen. Der Blick vom Leopoldsberg veranschaulichte die erfolgreiche Wiedergewinnung eines in der Vergangenheit umkämpften Territoriums, hatte doch von hier aus die siegreiche Abwehr der Zweiten Türkenbelagerung ihren Ausgang genommen. Der pittoresk bröckelnde Verputz der Kirchenfassade lässt nicht nur Alts Meisterschaft in der Schilderung von Architektur erkennen, sondern gibt den Betrachtern auch das beruhigende Gefühl, sich hier an ein schon lange zurückliegendes Ereignis erinnern zu dürfen. Das Aquarell verdeutlicht somit geradezu exemplarisch die identitätsstiftende Bedeutung und Funktion von Landschaftsmalerei.
Rudolf Alt, der damals erst 21 Jahre alt war, schuf hier eines seiner ersten künstlerisch ausgereiften Werke. Erst wenige Jahre zuvor war der Künstler, der früher schon an einigen Projekten seines Vaters Jakob Alt mitgearbeitet hatte, erstmals mit selbstständigen Wien-Ansichten aufgetreten. Im Frühjahr 1833 machte er seine erste Italienreise bis nach Venedig, und das vorliegende Aquarell entstand vermutlich unmittelbar danach, wahrscheinlich noch im Herbst dieses Jahres. Es verdeutlicht den großen Eindruck, den das Licht und die Architektur der Lagunenstadt auf ihn gemacht haben müssen.
Quellen
Literatur
- Elke Doppler: Stadtlandschaft und Identität. In: Sándor Békési / Elke Doppler [Hg.]: Wien von oben. Die Stadt auf einen Blick (Katalog zur 414. Sonderausstellung des Wien Museums). Wien: Metro-Verlag 2017, S. 85
- Walter Koschatzky: Rudolf von Alt 1812–1905. Salzburg 1976, S. 51
- Werner Telesko: Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts. Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2008, hier S. 418 f.