Erwin Chargaff
Erwin Chargaff, * 11. August 1905 Czernowitz, Bukowina, Österreich-Ungarn, † 20. Juni 2002 New York City, Biochemiker.
Biografie
Chargaff wurde in Czernowitz geboren. Seine Eltern waren Hermann Chargaff, der Inhaber eines kleinen Bankinstituts, und Rosa Silberstein Chargaff. Chargaff besuchte in Wien das Gymnasium in der Wasagasse. Zunächst nahm er ein Philologie-Studium auf, wechselte dann aber an die Technische Hochschule, wo er Chemie studierte und 1928 promovierte. Zwischen 1920 und 1928 besuchte er jede Vorlesung von Karl Kraus und bezeichnete ihn als seinen Lehrer. Bereits als Elfjähriger war er mit der "Fackel" von Karl Kraus durch seinen Onkel in Berührung gekommen und blieb Kraus' Sprachhaltung und Moralität lebenslang verbunden. Auch in seiner Biografie bezeichnete er sich als großer Bewunderer Kraus', der darin einen dementsprechend großen Platz findet.
Exil und Forschung
Nach seinem Studium verbrachte Chargaff die nächsten Jahre in Amerika als Fellow-Stipendiat an der Yale University, wo er zu Tuberkulosebakterien forschte, und in Berlin an der Friedrich-Wilhelms-Universität, wo er bis 1933 an seiner Habilitationsschrift arbeitete. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft floh er 1933 nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus Deutschland zunächst nach Paris, wo er am Institut Pasteur tätig war, bis er 1935 schließlich endgültig nach New York emigrierte. Dort wirkte er an der Columbia University ab 1938 als Assistenzprofessor und ab 1952 als Professor für Chemie bis zu seiner Emeritierung 1974. Er hat bedeutende Beiträge zur biochemischen Forschung geliefert, vor allem zu Strukturaufklärung von Nucleinsäuren. Er stellte die nach ihm benannten "Chargaff'schen Regeln" zur Basenkomplementarität auf und leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Entschlüsselung der DNA-Struktur. Seine Forschung stellte die Vorarbeit für die Entdeckung der Doppelhelix-Struktur durch James Watson, Francis Crick und Maurice Wilkins dar, die 1962 dafür den Nobelpreis für Medizin erhielten. Chargaff selbst wurde nicht bedacht. Gleichermaßen wurde auch Rosalind Franklin übergangen, deren entscheidende Forschungsergebnisse ohne ihr Wissen und ihre Erlaubnis verwendet worden waren. Zum Zeitpunkt der Verleihung des Nobelpreises war sie zwar bereits verstorben, ist aber ebenfalls vom Nobelkomitee nicht erwähnt worden.
Chargaff verfasste während seiner Karriere 300 Arbeiten wissenschaftlichen Inhalts, mehrere Bücher und diverse kritische Essays. Zudem wurden ihm zahlreiche Ehrendoktorate verliehen, etwa das Ehrendoktorat der Columbia University 1975, der Heineken Prize 1964 und die National Medal of Science 1974. Außerdem erhielt er die Wiener Ehrenmedaille in Gold und den Goldenen Rathausmann. Nach seiner Emeritierung verfasste er zahlreiche gesellschafts-, politik-, und kulturkritische Essays und machte sich vor allem als Wissenschaftskritiker einen Namen, besonders in seinem Fachgebiet, der Genforschung. Dabei knüpfte er mit seiner gewählten Gattungsform des Essays an Karl Kraus und die Vorlesungen an, die er während seiner Studienzeit besucht hatte, an. Zudem bediente er sich in seinen Texten nicht einer stringenten Argumentationslinie, sondern agierte als Polemiker, indem es ihm mehr um Rhetorik als um wissenschaftliche Beweisführung ging, und lehnte sich damit ebenfalls an Kraus' Stil an. Seine Essays konnten dadurch nicht als Belege für wissenschaftliche Thesen herangezogen werden.
Quellen
- Meldezettel von Erwin Chargaff (WStLA, BPD Wien: Historische Meldeunterlagen, K11)
- ANNO: Erwin Chargaff. In: Österreichische Apothekerzeitung, 28.11.1981, S. 19
Literatur
- Friedrich Pfäfflin (Hg.): Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten von Weggefährten und Widersachern. Göttingen: Wallstein Verlag 2008
- Pearce Wright: Erwin Chargaff: Disillusioned biochemist who pioneered our understanding of DNA. In: The Guardian, 02.07.2002
- Nicholas Wade: Erwin Chargaff, 96, Pioneer In DNA Chemical Research. In: NY Times, 30.06.2002
- Uwe Justus Wenzel: Ein Doppelleben. Zum Tod des Moralisten Erwin Chargaff. In: Neue Zürcher Zeitung, 24.06.2002
- Erwin Chargaff: Ein zweites Leben. Autobiografische und andere Texte. Stuttgart: Klett-Cotta, 1995
Erwin Chargaff im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.
Weblinks
- Wikipedia: Erwin Chargaff [Stand: 28.03.2024]
- Erwin Chargaff: Zauberlehrling der Doppelhelix. In: Der Standard, 13.02.2015 [Stand: 28.03.2024]