Konsumgenossenschaft
Konsumvereine als neue Art des Detailhandels entwickelten sich am Beginn der Industrialisierung nach englischem Vorbild der berühmten "Pioniere von Rochdale". Mit dem 1856 gegründeten "Wechselseitigen Unterstützungsverein der Fabriksarbeiter zu Teesdorf" (Niederösterreich) entstand in Österreich die erste Konsumgenossenschaft. Allgemeine Grundsätze der Konsumgenossenschaften waren offene und freiwillige Mitgliedschaft, politische und religiöse Neutralität, Barzahlung, Rückvergütung (nach Maßgabe der Einkaufssumme), demokratische Verwaltung, Beschränkung der Kapitalverzinsung, genossenschaftliche Fortbildung. Die Mehrzahl der Konsumvereine wurde von und für Arbeiter gegründet, daneben gab es bürgerliche Beamten-Konsumvereine (z.B. gründete 1862 der Generalinspektor der Südbahn, Friedrich Schüler, den "Ersten Wiener Konsumverein" (3, Salesianergasse 8) und Lebensmittel-Magazine der Eisenbahner.
Wichtige Wiener Konsumgenossenschaften waren: "Arbeiter-Spar- und Konsumverein Fünfhaus" (gegründet 1864); „Erster Niederösterreichischer Arbeiter-Konsumverein“ (1864 in Fünfhaus gegründete Konsumgenossenschaft); „Konsumverein Vorwärts“ (gegründet 1902 als Zusammenschluss der wirtschaftlich schwachen Konsumvereine Favoriten, Floridsdorf, Landstraße, Simmering und Gleichheit in Ottakring); „Konsumverein des ersten katholischen Arbeitervereins für Niederösterreich in Wien" (erwähnt 1874); Konsumverein "Wiener Pioniere" (1868-1870). 1873 wurde das "Gesetz über Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften" erlassen, das für die bisher als Vereine organisierten Einrichtungen eine neue Basis schuf. 1883 wurde die Bäckerei des bürgerlichen "Ersten Wiener Konsumvereins" als maßgeblicher Eigenproduktionsbetrieb eröffnet (16, Hasnerstraße 123).
Der Konsumverband wurde am 14. Juli 1901 von Vertretern aus 20 Konsumgenossenschaften in Wien als „Verband der Arbeiter-, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“ gegründet. Anlass für die Gründung eines eigenen Verbandes der Konsumgenossenschaften waren unüberbrückbare Gegensätze in dem seit 1872 bestehenden „Allgemeinen Verband der auf Selbsthilfe beruhenden Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“ (dem heutigen Österreichischen Genossenschaftsverband - ÖGV). 1903 wurde das "Gesetz betreffend die Revision der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und anderer Vereine" erlassen. Das Revisionsrecht wurde dem Konsumverband von Anfang an zuerkannt. 1905 gründeten die Konsumgenossenschaften, nach dem Vorbild der Hamburger Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Consumvereine - GEG, die "Großeinkaufsgesellschaft österreichischer Consumvereine - GÖC". Der Konsumverband befasste sich neben seiner Hauptaufgabe als Revisionsverband unter anderem mit Verbraucheraufklärung und -erziehung, Mitgliederbetreuung, Pressearbeit sowie der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter und Führungskräfte. Nach einer aus wirtschaftlichen Gründen erfolgten Fusion von vier großen Wiener Arbeiterkonsumgenossenschaften zur Konsumgenossenschaft Wien (KGW) 1920, war die KGW vorübergehend die größte Konsumgenossenschaft der Welt. 1924 bestanden 128 österreichische Konsumgenossenschaften, die Mitglieder des Konsumverbandes waren (diese hatten 841 Abgabestellen).
Nach dem Februar 1934 war das Wachstum über neue Filialen unmöglich geworden, weil die Konsumgenossenschaften nicht nur der Gewerbeordnung unterstellt, sondern auch unter das Untersagungsgesetz fielen. Sie konzentrierten sich daher auf die Konsolidierung im Inneren. Die Wertschöpfungskette wurde in dieser schwierigen Zeit durch Stärkung der Eigenproduktion verbreitert, gleichzeitig wurde auch die Verwaltung professionalisiert. Die Nationalsozialisten, die ab 1938 an der Macht waren, lösten die österreichischen Konsumgenossenschaften auf und gliederten sie schrittweise bis 1943 komplett in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) ein.
Am 21. Oktober 1945 wurde die Konsumgenossenschaft Wienerwald als erste Konsumgenossenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg wieder gegründet. Die weiteren Konsumgenossenschaften wurden im Lauf der Jahre 1945/46 nach den geografischen Grenzen der durch die DAF errichteten Versorgungsringe wieder errichtet. Bis in die 1970er Jahre waren die Konsumgenossenschaften Marktführer und Treiber der Modernisierung des österreichischen Einzelhandels. Am 1. Dezember 1950 errichteten die Konsumgenossenschaften in der Hütteldorfer Straße den ersten Wiener Selbstbedienungsladen. Im Dezember 1950 eröffnete Bundespräsident Dr. Karl Renner das Bildungsheim „Hohe Warte“ (19, Hohe Warte 50-54) zur Weiterbildung von Mitarbeitern und Führungskräften. Der erste Konsum-Großmarkt (KGM) in Wien-Vösendorf mit einer Verkaufsfläche von über 10.000 m2 war der erste österreichische Hypermarkt. 1973 folgte ein weiterer KGM in Floridsdorf. lm September 1978 wurde der Konsum-Fleischwarenbetrieb in Wien-St. Marx eröffnet.
Im April 1979 entstand durch Fusionen der GöC und 14 regionaler Genossenschaften Konsum Österreich als österreichweit tätige Konsumgenossenschaft, mehr als ein Drittel aller Mitglieder von Konsum Österreich waren Wiener. In diesem Jahr erreichte Konsum Österreich auch seinen höchsten Marktanteil mit 23,3 %. Im April 1981 nahm das Distributionszentrum von Konsum Österreich in Wien-Hirschstetten (DZH) seinen Betrieb auf. Dieses Zentrallager, durch das 15 kleinere Lager aufgelassen und die Distribution verbessert werden konnte, war eine der größten Anlagen Europas. lm Dezember 1981 wurde von Konsum Österreich die Gerngross-Warenhausgruppe erworben, die Warenhäuser in zentraler City-Lage umfasste. Darunter waren auch die drei legendären Kaufhäuser Herzmansky, Steffl und Gerngross in der Kärntner- und der Mariahilferstraße.
Am 2. Juli 1993 erfolgte die Vertragsunterzeichnung des Kooperationsvertrages zwischen Konsum Österreich und Migros Schweiz. Kernpunkt der Kooperation war die Gründung einer gemeinsamen Marketing-, Einkaufs- und Logistikgesellschaft mit Sitz in Wien (Konsum-Migros Warenhandels GmbH & Co.KG.), an welcher beide Partner mit je 50 Prozent beteiligt waren. Das Jahr 1994 entwickelte sich für Konsum Österreich aufgrund von verschiedenen Zielkonflikten, welche die Zusammenarbeit mit Migros mit sich brachte, zu einem Katastrophenjahr. Der Rohertrag in den Konsum-Großmärkten und in der Vertriebsschiene „Der frische Konsum“ sank dramatisch; ab Oktober 1994 kam es zu ernsthaften Zahlungsstockungen. Diese konnten nur durch Verkauf und Rückmietung wichtiger Liegenschaften kurzfristig überbrückt werden. Im Jahr 1994 – dem letzten vollen Geschäftsjahr – erzielte Konsum Österreich über 28 Mrd. ATS konsolidierten Konzernumsatz (über 2 Mrd. EUR), beschäftigte über 17.000 Mitarbeiter und betrieb mehr als 1.000 Standorte.
Am 10. Jänner kam es zu dem Beschluss des, aufgrund der Liquiditätsprobleme errichteten Bankenkonsortiums, Konsum Österreich einen Kreditrahmen von 2 Mrd. ATS (ca. 145 Mio. EUR) einzuräumen. Dieser Kreditrahmen war durch neue, sehr weitgehende Pfandrechte besichert. Ab Februar 1995 setzte eine akute Krise ein, in welcher sich langjährige Lieferanten von Konsum Österreich weigerten, ihre Waren wie gewohnt gegen Wechsel zu liefern. Aufgrund des gestiegenen Drucks der Banken, der Lieferanten und des gleichzeitig bestehenden Liquiditätsengpasses mussten Konsum Österreich und fast alle seine Tochtergesellschaften am 6. und 13. April 1995 beim Handelsgericht Wien den Ausgleich anmelden.
Die Verbindlichkeiten gegenüber Drittgläubigern von Konsum Österreich betrugen im Juni 1995 ca. 13,6 Mrd. ATS (ca. 1 Mrd. EUR). In der häufig kolportierten Zahl von 25 Mrd. ATS sind die intern zu saldierenden Forderungen und Verbindlichkeiten der Konsum Gruppe, die keine externen Gläubiger betrafen, nicht berücksichtigt. Bis Juni 1998 bezahlte Konsum Österreich ca. 9,2 Mrd. ATS aus der Verwertung des Vermögens an seine Gläubiger aus. Die bevorrechteten Schulden (5,5 Mrd. ATS) wurden zu 100 % erfüllt. Für die Quotenschulden (8,15 Mrd. ATS) konnte eine Ausgleichsquote von 45,4264 % erreicht werden. Im Durchschnitt wurden 67,4 % aller offenen Forderungen abgedeckt.
Die große österreichweite Bedeutung der Konsumgenossenschaften ist auf absehbare Zeit beendet. Im Konsumverband sind heute 11 Genossenschaften organisiert. Im Jahr 2013 erfolgte die Umbenennung von Konsum Österreich in OKAY Team eG. Im Rahmen der OKAY Team eG als Muttergesellschaft sind heute drei Gesellschaften aktiv. Die OKAY Management-GmbH stellt, als schuldenfreier Mittelbetrieb, den Kern der operativen Tätigkeiten dar. Im Rahmen der KOVI Warenhandels-GmbH werden sechs Reiseproviantgeschäfte betrieben. In der DZH Logistikpark-Lagerbetriebs-GmbH wird das ehemalige Konsumzentrallager Hirschstetten (DZH) als Lager- und Verteilungszentrum für eine Reihe von Großunternehmen verwaltet.
Literatur
- Johann Brazda, Siegfried Rom (Hg.): 150 Jahre Konsumgenossenschaften in Österreich. Wien: Forschungsverein Entwicklung und Geschichte der Konsumgenossenschaften 2006.
- Peter Höfferer, Florian Jagschitz, Siegfried Rom: 160 Jahre Konsumgenossenschaften in Österreich. Wien: Forschungsverein Entwicklung und Geschichte der Konsumgenossenschaften 2016.
- Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich. 1992, S. 539 ff.
- Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Ein Führer. Band 3/1: Wien. 1.-12. Bezirk. Salzburg: Residenz-Verlag 1990, S. 309
- Kurt Stimmer (Hg.): Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1988, S. 256, 277, 283
- Harry Kühnel (Red.): Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs [Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung in Grafenegg]. Band 2: 1880-1916, Glanz und Elend. Wien: Amt der Niederösterreichischen Landesregierung 1984, S. 79
- Ottakring. Ein Heimatbuch des 16. Wiener Gemeindebezirkes. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft für Heimatkunde in Ottakring. Wien: Schulbücherverlag 1924, S. 390 f.
- Presseaussendung KGM vom 1. April 1994