Mary Dobrženský
Maria ("Mary") Gräfin von Dobrženský, * 26. Jänner 1889 Meran, † 24. Oktober 1970 Ascona, Schriftstellerin.
Biographie
Mary Dobrženský wurde als Mária Krisztina von Wenckheim im Jänner 1889 in Meran geboren. Sie war die Tochter des Grafen Franz Rudolf Karl Anton Maria Spiridion von Wenckheim (1855-1939) und der Freiin Klára Radák von Magyarbénye (1866-1889). Die Wenckheims gehörten zu den wichtigen aristokratischen Familien Österreich-Ungarns. Marys Mutter starb etwa ein halbes Jahr nach der Geburt ihrer ersten Tochter am 9. September 1889 in Reichenthal, Oberösterreich. Franz von Wenckheim heiratete 1893 die Gräfin Ilona Forgách de Ghymes et Gács, die nach nur fünf Ehejahren kinderlos und mit nur 27 Jahren in Bad Gleichenberg, Steiermark verstarb. 1905 ging Wenckheim eine dritte Ehe ein und heiratete in London Ellen Frances Gladden Burton, mit der er 1910 eine weitere Tochter - Marys Halbschwester Antoinette Franziska Sarolta Ida Mary Gladden von Wenckheim - hatte.
Am 2. Juli 1913 heiratete Mária von Wenckheim in der Basilika zu Budapest den Grafen Anton von Dobrženský von Dobrženicz (1889–1915), k. und k. Leutnant in der Reserve des Ulanenregiments Nr. 2. Das Paar lebte auf Schloss Pottenstein (heute Potštejn, Tschechien), dem Familiensitz der Dobrženskýs. Hier kam am 11. April 1915 Franz oder Frantisek Dobrženský von Dobrženicz (1915-1978) zur Welt. Wie seine Mutter wurde das Kind mit knapp einem Jahr zum Halbwaisen, denn sein Vater fiel im September 1915 als Oberleutnant bei Luck (Luzk in Wolhynien, damals Russisch-Polen, heute Ukraine). Diese traumatische Erfahrung machte Mary Dobrženský zur dezidierten Kriegsgegnerin und erweckte in ihr auch ein soziales Bewusstsein, das sie die Werte ihrer Gesellschaftsschicht hinterfragen ließ. Sie wurde eine begeisterte Leserin von Karl Kraus' "Fackel".
Mary Dobrženský war eng befreundet mit Sidonie von Nádherný, die 1913 mit Kraus eine heimliche Liebschaft begann, die (mit Unterbrechungen) lebenslang anhielt. Nádherný stellte ihrer Freundin Kraus und auch Rainer Maria Rilke vor und wie Nádherný korrespondierte auch Dobrženský mit beiden. Der Briefwechsel mit Kraus - bis dato nicht publiziert - ist eine besondere Quelle. Kraus sandte Dobrženský regelmäßig seine Publikationen, sie antwortete mit eigenen Erfahrungen. Ab Herbst 1920 wurden die Briefe vertraulicher und Kraus-Forscher Edward Timms geht von einer intimen Beziehung der beiden aus, die parallel zu den ebenso heimlichen Affären mit Sidonie von Nádherný und Mechthilde von Lichnowsky lief.
Karl Kraus war im Juli 1918 erstmals aus Schloss Pottenstein eingeladen, das Mary Dobrženský mit Musikabenden und anderen Unterhaltungen zu einer Art kulturellem Zentrum machte. Nach dem Krieg unterstütze Dobrženský intensiv die Bemühungen des Amerikanischen Jugendrotkreuzes, das sich für sozial benachteiligte Kinder einsetzte. Ihre Großzügigkeit veranlasste Kraus ihr ein Gedicht mit dem Titel "Einer Geberin" zu widmen. Dobrženský wiederum erlaubte Kraus einen Brief ihres Ehemannes, den er wenige Monate vor seinem Tod geschrieben hatte und der ergreifend seine Abscheu vor den Grausamkeiten des Krieges schilderte, als Rede in sein Drama "Die letzten Tage der Menschheit" einzubauen. Die Korrespondenz zwischen Dobrženský und Kraus belegt auch, wie ähnlich die beiden politisch dachten und dass Dobrženský eine wichtige Unterstützung für Kraus in seinem Kampf gegen den Zeitungsmogul Imre Békessy war.
Dobrženský war eine geistreiche Frau mit Haltung, die auch die Konfrontation mit Kraus nicht scheute - wenn es etwa um seine mathematische Formel um die Frauenseele in der "Fackel" (Heft 288) ging. Sie hatte ein intellektuelles Netzwerk und abseits von Kraus waren auch Rudolf Kassner, Annette Kolb, Mechthilde von Lichnowsky oder Sigismund von Radecki gern bei ihr zu Gast. Früh schon legte Dobrženský ihr Vermögen in der Schweiz an, wo sie viele Jahre lang lebte. Auch hier, in Nyon am Genfer See, waren häufig Karl Kraus und andere eingeladen. Dobrženskýs literarischer Nachlass lässt darauf schließen, dass führende deutsche und tschechische Schriftsteller und Schriftstellerinnen ihr Schreiben schätzten, auch wenn sie kaum etwas veröffenlichte.
Das Schloss Pottenstein wurde nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet. Mary Dobrženský starb 1970 in der Schweiz. Die Wienbibliothek im Rathaus bewahrt eine Sammlung Mary Dobržensky (ZPH 1637), die Korrespondenzen und Lebensdokumente enthält.
Quellen
Literatur
- Katharina Prager / Simon Ganahl [Hg.]: Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Berlin: J.B. Metzler 2022
- Edward Timms: Karl Kraus. Apokalyptic Satirist. The Post-War Crisis and the Rise of the Swastika. London: Yale University Press 2005