Michael Thonet
Michael Thonet, * 2. Juli 1796 Boppard am Rhein, † 3. März 1871 Wien, Techniker, Industrieller.
Biografie
Michael Thonet erlernte das Kunsttischler-Handwerk im Reinland und übernahm 1819 die Tischlerwerkstatt seines Vaters Franz Anton. Ein Jahr später heiratete er Anna Maria Grass, das Paar hatte fünf Söhne: Franz, Michael, Jakob, August und Josef.
Ab 1830 begann Michael Thonet, mit dem Biegen von Holz zu experimentieren. Grundlagen hierfür lieferten ihm altägyptische Möbel und vor allem englische Sitzmöbeltypen des 18. Jahrhunderts.1891 ließ er sein neues Verfahren in Deutschland patentieren. Thonet arbeitete mit Schicht-, später mit Stabverleimung und ab den 1850er Jahren konnte auch Massivholz gebogen werden.
Auf Anraten des Staatskanzlers Fürst Metternich, der 1841 bei der Koblenzer Gewerbeausstellung auf ihn aufmerksam wurde, ließ sich Thonet in Wien, im Zentrum der Habsburgermonarchie, nieder. Der englische Chefarchitekt des Lichtenstein'schen Stadtpalais in Wien, Peter Hubert Desvignes, war begeistert von der neuen Technik und beauftragte Michael Thonet mit dem Bau von Stühlen für das Palais.
In der ersten Zeit trat Thonet als Subunternehmer des renommierten Möbeltischlers und Parketten-Fabrikanten Carl Leistler auf. Ab 1849 arbeitete Thonet in seiner eigenen Werkstatt in der Gumpendorfer Hauptstraße 396 (6., Gumpendorfer Straße 74) und gründete vier Jahre später, gemeinsam mit seinen Söhnen, die Firma Gebrüder Thonet, die sich in weiterer Folge zu einem Industriezweig mit Weltgeltung entwickeln sollte.
Die Besitzerin des Cafés Daum am Kohlmarkt bestellte die ersten Sessel, dann richtete Thonet das Hotel "Zur Königin von England" in Budapest ein. Die Möbel waren einerseits aus Bugholz gefertigt und bestanden andererseits aus Fertigteilen, die im Baukastenprinzip auch mit Teilen anderer Modelle kombiniert werden konnten. Insgesamt waren diese Bugholzmöbel leichter als herkömmliche Sessel, die Technik erlaubte und bewirkte auch eine ästhetische Veränderung und die Möbel konnten sehr günstig produziert und verkauft werden.
Michael Thonet erhielt 1856 die österreichische Staatsbürgerschaft und die Erteilung des Patents zum Biegen massiven Holzes. Damit hatte er sein großes Ziel erreicht, nämlich die Fertigung eines Möbels aus vollständig massiv gebogenen Bauteilen in nur einem Arbeitsgang. 1859 entstand der berühmte Sessel Nr. 14, der heute als "Wiener Kaffeehausstuhl" berühmt ist – bis 1930 wurde er 50 Millionen Mal verkauft und ist bis heute der meistverkaufte Stuhl weltweit. 1866 enthielt der Katalog der Firma Thonet insgesamt 70 verschiedene Möbel-Modelle und die Firma beschäftigte insgesamt rund 7.000 Arbeiter, die pro Jahr mehr als 225.000 Bugholzmöbeln erzeugten.
Mitte des 19. Jahrhunderts ging es in der Firma hauptsächlich darum, Typenmodelle zu entwickeln, die seriell produziert werden konnten. Um den Absatz auch international zu sichern, präsentierte sich Thonet in den diversen Weltausstellungen der Zeit und erhielt sehr viele Auszeichnungen. Dabei setzte man auf gezielte Arbeitstrennung, installierte Wohlfahrts- und Freizeiteinrichtungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und baute ein starkes internationales Vertriebssystem auf.
Unter Berücksichtigung der dortigen Holzvorkommen wurden die Produktionsstätten in Koritschan (1856), Bistritz (1861), Groß-Ugrocz (1866), Hallenkau (1868) und in Wsetin (1872) gegründet. Die Fabriken in Nowo Radomsk (1880) und Frankenberg (1889) entstanden aus handelspolitischen Gründen, da es in Russland und Deutschland Einfuhrzölle auf importierte Waren gab. Noch unter Michael Thonets Leitung entstanden ab 1860 Verkaufsfilialen im Palais Montenuovo in der Strauchgasse (Wien), Pest (1861), London (1862), Brünn, Berlin, Hamburg, Amsterdam und Paris.
Anna Maria Thonet starb 1862, Michael Thonet lebte als Witwer im gemeinsamen Wohnhaus in der Kaiser-Joseph-Straße 40 (heute Heinestraße) in der Leopoldsstadt und verstarb 1871 in Wien an den Folgen einer Erkältung nach einer Geschäftsreise nach Ungarn. Heute führt die fünfte Thonet-Generation das Unternehmen in Frankenberg (Deutschland).
Literatur
- Christoph Thun-Hohenstein [Hg.]: Bugholz vielschichtig. Thonet und das moderne Möbeldesign. Basel: Birkhäuser 2019
- Dietmar Grieser: Wien. Wahlheimat des Genies. Wien: Amalthea 2019
- Stefan Üner: Gebrüder Thonet. In: Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne. Künstler, Auftraggeber, Produzenten. Hg. v. Eva B. Ottillinger. Ausst. Kat. Hofmobiliendepot, Wien, 20. März – 7. Oktober 2018, S. 149–152
- Michael Martischnig [Hg.]: Gebrüder Thonet. Verkaufskatalog der gesamten Bugholzproduktion Thonet des Jahres 1911 [...]. Wien: Österreichischer Kunst- und Kulturverlag 1994
- Constantin von Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich. Enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche 1750 bis 1850 im Kaiserstaate und in seinen Kronländern gelebt haben. 60 Bände. Wien: Verlag der typografisch-literarisch-artistischen Anstalt 1856–1891, Register 1923