Städtische Versicherung
48° 13' 1.23" N, 16° 22' 11.75" E zur Karte im Wien Kulturgut
Die „Wiener Städtische Versicherung AG Vienna Insurance Group“ ist durch ihre Vorgängerinstitute der älteste in Wien gegründete Versicherer. Als älteste auf österreichischem Boden gegründete Versicherung gilt die Salzburger Feuerversicherungsanstalt, die in der Napoleonischen Zeit nach bayrischem Recht 1811 gegründet wurde.
Die drei Vorgänger-Anstalten der Wiener Städtischen Versicherung
Die in Kurzform „Wiener Städtische“ genannte Versicherung entstand aus drei Vorgängerinstituten. Das älteste wurde am 24.Dezember 1824 als „k.k.private (wechselseitige) Brandschaden-Versicherung-Anstalt“ gegründet. 1839 folgte die „Allgemeine wechselseitige Capitalien- und Rentenversicherungsanstalt“, die 1865 in „Janus wechselseitige Lebensversicherungs-Anstalt“ umbenannt wurde. Als dritte Vorgängeranstalt folgte die „Städtische Kaiser Franz Joseph- Jubiläums-Lebens- und Renten-Versicherungs-Anstalt“, die vom Wiener Gemeinderat unter Bürgermeister Dr. Karl Lueger am 11. Februar 1898 anlässlich des 50-jährigen Regierungsjubiläums von Kaiser Franz Joseph I. gegründet wurde. Die Lebensversicherungsgesellschaft bot der Wiener Bevölkerung preiswerten und vor allem leistbaren Versicherungsschutz, insbesondere auch den sozial schwachen Bevölkerungsschichten. Mit der Gründung dieser Lebensversicherung wurde der jeweilige Wiener Bürgermeister per Gesetz zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Wiener Städtischen gewählt. Diese Organverbindung wurde auf Initiative des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk und – unter seinem Nachfolger als Bürgermeister Michael Häupl im Jahr 2001 – beendet.
Der Zusammenschluss der Vorgänger-Gesellschaften 1939
Die beiden erstgenannten Anstalten schlossen sich 1924 zur „Wechselseitigen Brandschaden und Janus allgemeine Versicherungs-Anstalt auf Gegenseitigkeit“ zusammen. 1938 kam es zur Fusionierung der „Gemeinde Wien-Städtischen Versicherungsanstalt“ mit der „Wechselseitigen Brandschaden und Janus allgemeinen Versicherungs-Anstalt auf Gegenseitigkeit“ zur „Wiener Städtischen und Wechselseitigen-Janus allgemeine Versicherungsanstalt auf Gegenseitigkeit“. Die Nationalsozialisten lösten zahlreiche kirchliche Vorsorgevereine auf und forderten von privaten Versicherungsunternehmen, dem österreichischen Klerus keinen Krankenversicherungsschutz mehr zu gewähren. Die „Wiener Städtische und Wechselseitige Janus allgemeine Versicherungsanstalt auf Gegenseitigkeit“ kam dieser Forderung jedoch nicht nach – unter anderem deshalb, weil im Unternehmen selbst politisch Verfolgte tätig waren. Erster Generaldirektor nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1947 Norbert Liebermann, der schon von 1922 bis 1934 die Vorgängergesellschaft erfolgreich geleitet hatte. Er war Initiator des Baus des Ringturms und leitete das Unternehmen bis zu seinem Tod 1959.
Die Wiener Städtische nahm neben ihren Vorgängergesellschaften zwischen 1939 und 1942 auch folgende Gesellschaften auf: Wiener Verein (ehemals Die Flamme)
1. Union Allgemeine Versicherungs-AG, deren Hauptaktionäre sie nach wechselnden Eigentumsverhältnissen 2007 wieder wurde
2. Wiener Wechselseitige Krankenversicherungs-Anstalt . Diese Anstalt wurde 1911 durch Zusammenschluss von acht Krankenversicherungsvereinen als „Allgemeine Krankenversicherungsanstalt“ gegründet. Die „Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt“ erwarb 1934 die von der „Wechselseitigen Krankenversicherungsanstalt“ begebenen Anteilsscheine und übernimmt im darauffolgenden Jahr die Verwaltung dieser Gesellschaft. Sie wurde 1939 in „Wiener Wechselseitige Krankenversicherungsanstalt auf Gegenseitigkeit“ umbenannt.[1]
3. Anglo-Danubian Lloyd: Die Lloyd Allgemeinen Versicherungs-Aktiengesellschaft wurde noch vor dem Zusammenbrechen der Monarchie im März 1918 in Wien gegründet und bekam bis 1935 schrittweise die Genehmigung, alle Sparten der Versicherungen anzubieten. Der Anlass ihrer Gründung als neutral erscheinende Gesellschaft sollte die Übernahme der nach 1918 in den Nachfolgestaaten liegenden Repräsentanzen der Wiener Versicherungen sein. Sie entwickelte sich aber eher zu einer Rückversicherungsgesellschaft der österreichischen Versicherungen. Seit 1952 war die Wiener Städtische 100% Eigentümer und fusionierte sie 1977 mit der Donau.[2]
Die Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsanstalt nach dem „Anschluss“ und in der Nachkriegszeit
Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich brachte für die Wiener Städtische Versicherung überwiegend Nachteile. Die Konkurrenz der deutschen Versicherungen wurde erheblich größer, das Personal war mit arbeitsrechtlichen Verschlechterungen konfrontiert, die Männer mussten nach 1939 den Kriegsdienst leisten. Das Abwicklung des Geschäftes mit der jüdischen Bevölkerung wird zwar in einer Studie des Versicherungsverbandes als korrekt bezeichnet, die Umstände der Rückkäufe und Entschädigungen der Lebensversicherungen waren aber selbst für die überlebenden Opfer des Holocaust wenig zufriedenstellend. [3]
Der Zweite Weltkrieg endete für die Wiener Städtische Versicherung mit einer Katastrophe. Beide Bürogebäude am Kärntner Ring waren gemeinsam mit dem Inventar, dem Aktenmaterial und dem Archiv zerstört, an eine Bilanzierung war viele Jahre nicht zu denken. Sie wurde unter öffentliche Verwaltung gestellt, wobei wieder die Zusammenarbeit mit der Stadt Wien erfolgte, was nach 1938 fast verloren gegangen war. 1947 nahm das Unternehmen den Namen „Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsanstalt“ an und übersiedelte 1955 von ihrem zwischenzeitlichen Sitz auf den Tuchlauben 8 in den Ringturm. Der Ringturm wurde am 14. Juni 1955, knapp einen Monat nach Unterzeichnung des Staatsvertrags, feierlich eröffnet. Er gilt als ein Symbol für Modernität sowie für den Wiederaufbau und wirtschaftlichen Aufschwung Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg. Die folgenden Jahrzehnte waren auch für die Versicherungswirtschaft eine „goldene Epoche“. Die gesamten Versicherungsprämien stiegen – nach Angaben des Österreichischen Versicherungsverbandes – von umgerechnet 202 Mio. Euro (1958) auf 1 Milliarde Euro (1972) und 18,6 Milliarden Euro (2021).
Bei den Versicherungssparten gab es eine nachhaltige Veränderung. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Feuerversicherung der wichtigste Geschäftszweig, ab 1965 gewannen die neu eingeführte Haushalts- und Eigenheimversicherung, die bereits 1929 eingeführte Kfz-Versicherung und die private Krankenzusatz-Versicherung immer mehr an Bedeutung. Die Lebensversicherung erhielt erst wieder Bedeutung. als sie in den 80er Jahren steuerliche Begünstigungen erhielt. 1964 schloss die „Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsanstalt“ einen Kooperationsvertrag mit dem Lebensversicherer „Jupiter“, 1966 wurden 40 Prozent der Aktien der „Österreichischen Volksfürsorge AG“ erworben. 1971 gelang es, die Aktienmehrheit an der Donau-Versicherung zu erwerben. Im November 1990, rund ein Jahr nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, beteiligte sich die „Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsanstalt“ an der Gründung der tschechoslowakischen Genossenschaftsversicherung Kooperativa in Bratislava. Damit war der Startschuss für die Expansion in die Länder des ehemaligen Ostblocks gefallen.
Die Wiener Städtische Versicherung ab 1992
Mitte des Jahres 1992 wurde der gesamte Versicherungsbetrieb der „Wiener Städtischen Wechselseitigen Versicherungsanstalt“ ausgegliedert und in eine Aktiengesellschaft – in die „Wiener Städtische Allgemeine Versicherung Aktiengesellschaft“ eingebracht. Die „Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsanstalt“ besteht als „Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsanstalt – Vermögensverwaltung“ weiter und beschränkt sich in ihren Aufgaben auf die Vermögensverwaltung als Hauptaktionär der „Wiener Städtischen Allgemeinen Versicherung AG“. 1994 wagte die „Wiener Städtische Allgemeine Versicherung AG“ den Sprung an die Wiener Börse. Es gibt keine Stamm-, sondern nur Vorzugsaktien, der Streubesitz liegt bei 11 Prozent.
Ab 1996 setzte die „Wiener Städtische Allgemeine Versicherung AG“ ihren Expansionskurs nach Zentral- und Osteuropa sukzessive fort. In den Jahren 1996 bis 1999 stieg sie in den ungarischen, polnischen und kroatischen Versicherungsmarkt ein, gründete eine Zweigniederlassung in Italien und erwarb eine Gesellschaft in Liechtenstein. Im Laufe der anschließenden sieben Jahre folgten erfolgreiche Markteintritte in Rumänien, Belarus, Bulgarien, Serbien, Slowenien, der Ukraine und Georgien. 2004 war das Jahr der Börsenoffensive: Der damalige Generaldirektor der „Wiener Städtischen Allgemeinen Versicherung AG“ Dr. Günter Geyer startete eine große Kapitalerhöhung. Die „Wiener Städtische Allgemeine Versicherung AG“ öffnete sich dem internationalen Kapitalmarkt, um die notwendigen Mittel für das weitere Wachstum zu sichern. Die Vorzugsaktien wurden – zur Vorbereitung auf die Kapitalerhöhung – in Stammaktien umgewandelt. Die Aktie wurde gesplittet und rückte im September 2005 in den ATX, den Leitindex der Wiener Börse, auf. 2008 erwarb die „Wiener Städtische Allgemeine Versicherung AG“ die gesamten Versicherungsaktivitäten der Erste Group. Im Zuge der Übernahme wurde eine langjährige Vertriebsvereinbarung getroffen. 2009 wurde der Firmenname der „Wiener Städtischen Allgemeinen Versicherung AG“ in „Vienna Insurance Group Wiener Städtische Versicherung AG“ geändert.
Mit 3. August 2010 erfolgte die Abspaltung des operativen Versicherungsgeschäftes in Österreich von der internationalen Tätigkeit. Seitdem betreibt die Wiener Städtische Versicherung AG Vienna Insurance Group das Versicherungsgeschäft in Österreich, während die börsennotierte Vienna Insurance Group AG Wiener Versicherung Gruppe (VIG) als Holding unter anderem die Tätigkeiten der international tätigen Versicherungsgruppe steuert und koordiniert. Die „Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsanstalt – Vermögensverwaltung“ wurde in den „Wiener Städtischen Wechselseitigen Versicherungsverein – Vermögensverwaltung – Vienna Insurance Group“ umbenannt und hält aktuell rund 72 Prozent der Anteile der VIG. Die VIG-Gruppe ist heute in 30 Ländern Europas mit rund 50 Versicherungsgesellschaften vertreten und beschäftigt mehr als 25.0000 Mitarbeiter. In seiner Funktion als Hauptaktionär unterstützt der „Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsverein – Vermögensverwaltung – Vienna Insurance Group“ die VIG-Gruppe in allen kulturellen sowie sozialen Belangen.
In den Jahren 2017 und 2018 fusionierte die VIG in Österreich, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Kroatien ihre lokalen Allspartenversicherer mit ihren auf den Bankvertrieb spezialisierten Lebensversicherungen. Die Fusionen wurden sukzessive umgesetzt. In Österreich fusionierte die Wiener Städtische Versicherung AG Vienna Insurance Group 2018 erfolgreich mit der s Versicherung. Als Marke bleibt die s Versicherung weiterhin bestehen, seit dem Zusammenschluss ist die Wiener Städtische Versicherung AG Vienna Insurance Group der größte Lebensversicherer Österreichs.
Ihren Sitz haben der „Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsverein – Vermögensverwaltung – Vienna Insurance Group“, die VIG-Holding und die „Wiener Städtische Versicherung AG Vienna Insurance Group“ im Ringturm.
Literatur
- 50 Jahre Ringturm. Wiener Städtische Versicherung. Wien 2005
- Grenzenlos – Kunst-, Kultur- und Sozialprojekte. Tätigkeitsbericht 2021. Redaktion: Romy Schrammel
- 190 Jahre Wiener Städtische. Jubiläumsfestschrift. Wien 2014
- Peter Ulrich Lehner; Der Konzern der Wiener Städtischen – ein Wegbereiter des österreichischen Versicherungswesens. In: Wolfgang Rohrbach: Versicherungsgeschichte Österreichs. Band III: Das Zeitalter des modernen Versicherungswesens, Wien: A.Holzhausens Nfg. 1988, S. 1007-1098
- Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich. Grundlagen - Entwicklungen - Dimensionen. Das Handbuch. Hg. vom Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs 1992, S. 330 ff.
- Dieter Stiefel: Die österreichischen Lebensversicherungen und die NS-Zeit. Wien-Köln-Weimar: Böhlau 2011
- Vienna Insurance Group Wiener Versicherung Gruppe (Hrsg.): Eine Erfolgsgeschichte im Herzen Europas. Von der Wiener Städtischen zur Vienna Insurance Group. Wien: Christian Brandstätter Verlag 2011
Einzelnachweise:
- ↑ Peter Ulrich Lehner; Der Konzern der Wiener Städtischen – ein Wegbereiter des österreichischen Versicherungswesens. In: Wolfgang Rohrbach: Versicherungsgeschichte Österreichs. Band III: Das Zeitalter des modernen Versicherungswesens, Wien: A.Holzhausens Nfg. 1988, S. 1070-1071.
- ↑ Peter Ulrich Lehner; Der Konzern der Wiener Städtischen – ein Wegbereiter des österreichischen Versicherungswesens. In: Wolfgang Rohrbach: Versicherungsgeschichte Österreichs. Band III: Das Zeitalter des modernen Versicherungswesens, Wien: A. Holzhausens Nfg. 1988, S. 1067-1068, 1083.
- ↑ Dieter Stiefel: Die österreichischen Lebensversicherungen und die NS-Zeit. Wien-Köln-Weimar: Böhlau 2011