Verlagsbuchhandlung Moritz Perles

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Daten zur Organisation
Art der OrganisationArt der Organisation Verlag
Datum vonDatum (oder Jahr) von 1869
Datum bisDatum (oder Jahr) bis 1938
Benannt nach
Prominente Personen
Wien Geschichte WikiIdentifier/Persistenter URL zur Seite  71631
GNDGemeindsame Normdatei 1072981769
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Letzte Änderung am 20.07.2021 durch WIEN1.lanm09lue
  • 1., Seilergasse 4

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48° 12' 27.61" N, 16° 22' 15.34" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Schon als Gehilfe gründete Moritz Perles im Jahre 1865 das Adreßbuch für den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel der österreichisch-ungarischen Monarchie. Es erschien jährlich bis Band 52, 1918 und wurde von ihm persönlich bis einschließlich 1917 herausgegeben. Am 15. März 1869 erhielt er seine Konzession.

Aus der kleinen Buchhandlung in der Steindlgasse im 1. Bezirk wuchs ein nicht nur für österreichisch-ungarische Verhältnisse riesiges Buchhandels- und Verlagsunternehmen. Die Firma Moritz Perles vereinigte nämlich Verlag, Sortiment und Kommissionsgeschäft. Bereits im Gründungsjahr wurde ein Kalenderverlag errichtet (erster Kalender: Juristen-Kalender für 1870) und eine Zeitschrift übernommen.

Im folgenden Jahr erfolgte die Errichtung eines Kriegskartenverlags und einer Zweigniederlassung in Leipzig. Nach der Jahrhundertwende bezeichnete sich die Firma auf Geschäftspapier gar als "Größten österreichischen Kalender-Verlag". Der Verlag von Moritz Perles basierte nämlich auf der Grundidee der stabilen, immerwiederkehrenden Jahreserscheinungen, der Zeitschriften und der Kalender, und diesem Grundsatz blieb er auch bis 1938 treu. Zu diesem Zweck schuf die Firma zum allergrößten Teil ganz neu begründete, hochangesehene Wochenblätter, Monatsschriften und Jahrbücher. So wurden etwa 1878 der Jagdkalender und ein einschlägiger Verlag gegründet. Die Spezialitäten des Buchverlags waren – Jurisprudenz, Medizin, Veterinärkunde, Land- und Forstwirtschaft sowie künstlerische und geographische Prachtwerke. Ab 1881 erschienen z. B. die Österreichischen Justizgesetze, ab 1883 das Österreichische Centralblatt für juristische Praxis, Centralblatt für die gesammte Theorie usw.

1888 erwarb Perles die in Fachkreisen sehr bedeutende Wiener Medizinische Wochenschrift, die bis 1938, als sie dem Raub der heimischen Arisierungsgeier zum Opfer fiel, bei ihm erscheinen konnte.

Im Jahre 1918 erschienen im Verlag Moritz Perles nicht weniger als 19 Zeitschriften. Dazu kommt noch die große Zahl von Zeitschriften, für die Perles die Alleinvertretung in Österreich-Ungarn hatte. Im Buchverlag erschienen auch noch die mehrbändige Encyclopädie für Forst- und Jagdwissenschaften und die Encyclopädie für Thierheilkunde.

Ein gleichermaßen wichtiger Zweig der Firma Moritz Perles war das Kommissionsgeschäft. Sie hielt ein großes Auslieferungslager reichsdeutscher und ausländischer Verleger für die österreichisch-ungarische Monarchie und vertrat immerhin 20 Verlage (1918) bzw. über 40 Verlage und Firmen (1934).

Das Sortimentsgeschäft, d.h. die Buchhandlung, die 1889 in ein eigenes Geschäftshaus in der Seilergasse 4 im 1. Bezirk übersiedelte, gehörte zu den vielseitigsten, größten und zugleich angesehensten am Wiener Platz. Obwohl Perles keine schöngeistigen Werke herausbrachte – höchstens als Kommissionsverlag – bedeutet dies nicht, dass die Firma kein Förderer der Literatur war. Das Geschäft in der Seilergasse spielte eine nicht unbedeutende Rolle in literarischen und wissenschaftlichen Kreisen Wiens. Besonders beliebt waren Perles‘ Weihnachtskataloge, die für Kunden aufgelegt wurden. So erschien in dieser Form 1907 die erste Folge der Köpfe aus dem literarischen Wien, gezeichnet vom Maler Heinrich Rauchinger. Nach dem Kriege begann der Literarische Almanach zu erscheinen, der etwa 1924 von der Publikation Wiener literarische Signale (bis 1937) abgelöst wurde. Der Hauptinhalt neben Bücherverzeichnissen: Selbstanzeigen von Neuerscheinungen österreichischer und deutscher Schriftsteller.

Als der Seniorchef der Firma, Moritz Perles, am 25. Februar 1917 starb, ging das Unternehmen an die zwei Söhne, Dr. Ernst Perles (* 17. Juli 1876, Wien) und Oskar Perles (* 16. April 1875, Wien), sowie an den langjährigen Gesellschafter Friedrich Schiller (* 1854, Prag) über. Nach dem Ausscheiden des Letztem in der ersten Hälfte der 1930er Jahre führten die Brüder Perles, die nun je einen 50%igen Anteil hatten, das Geschäft allein weiter.

Mit dem März 1938 kam es zu einer sukzessiven Demontage der einstigen Großfirma, denn Perles war eine ansehnliche "Beute". Da waren zum einen die wertvollen Liegenschaften (wie 1., Seilergasse 4), die im Familienbesitz waren, zum anderen die Verlagsrechte, das beträchtliche Warenlager und die vielen Zeitschriften.

So mussten die zwei Brüder als Firmeninhaber auf Grund eines Beschlusses der Reichsschrifttumskammer (RSK) in Berlin ihre buchhändlerische Tätigkeit mit 30. September 1938 einstellen. Obwohl sie de jure weiterhin Inhaber waren, dürften sie nicht mehr viel Einfluss auf die Gebarung der Firma gehabt haben. So teilte die Vermögensverkehrsstelle der Prüfstelle für kommissarische Verwaltung am 25. August 1938 mit, dass laut Mitteilung der RSK, Wiener Büro, Dr. Karl Zartmann, "derart verworrene Verhältnisse" im Verlag die Bestellung eines kommissarischen Verwalters "unerlässlich" machten. Ab 15. September bekleidete der Buchhändler Arthur Pribyslavsky, der zu den Arisierungskandidaten im Rennen um die Firma Perles zählte, diese Funktion. Am 10. Februar 1939 kam es zur Bestellung von Dr. Gottfried Linsmayer als Abwickler.

Das Rennen machten jedoch andere Leute und Firmen, deren Leiter entweder seit Anfang der 1930er Jahre (illegale) NSDAP-Mitglieder, SA- oder SS-Mitglieder waren, solche im allerengsten Familienkreis hatten und sich damit brüsten konnten oder die nachweislich die Bewegung in der illegalen Zeit unterstützt hatten. So auch im Fall Perles. Einige Fachkalender wanderten z. B. an die Firma Carl Fromme, deren Inhaber seit 1. März 1932 Mitglied der NSDAP war (No. 897.231). Den größten Anteil bekam der am 31. Mai 1900 in Wien geborene Johannes Katzler, der wenige Tage nach dem "Anschluß“ aus dem "Altreich" in seine Heimatstadt zurückkehrte und innerhalb kürzester Zeit zum größten Ariseur im österreichischen Buchhandel wurde. Allein auf sein Konto gehen sieben (7) Arisierungen. Von Moritz Perles übernahm er "lediglich" das Warenlager – mit der Auflage, es in den 4. Bezirk zur transportieren – und die Verlagsrechte, alles in allen, also kein geringer Wert. Bezahlt wurde nichts.

Ein weiterer Gewinner der Firmendemontage war die Gesellschaftsbuchdruckerei Brüder Hollinek. Das Objekt: die bedeutende Wiener Medizinische Wochenschrift, die seit 1888 bei Perles erschienen war. Bezahlt wurde hiefür aber nichts. Das heißt, Hollinek konnte über einen Rechtsanwalt glaubhaft machen, die Übernahme decke die Perles-Schulden.

An die Firma Moritz Perles erinnert in Wien eine Gedenktafel. Längst verschwunden sind die Geschäftsauslagen, die im Jahre 1926 vom Architekten Ernst Lichtblau entworfen wurden, und das Geschäfts-Markenzeichen in der Seilergasse – der überdimensionierte Bücherwurm, der von dem Graphiker Julius Klinger, der auch mehrere Verlagssignets entwarf, konzipiert wurde.

Literatur