Grundherrschaft (Josephinismus)
Neuordnung unter Joseph II.
Von der Modernisierungspolitik in Staat und Wirtschaft unter Kaiser Joseph II. war auch die Grundherrschaft in Wien betroffen gewesen. Das absolutistische Reformdenken, das die Steigerung der Effizienz in der Verwaltung ebenso wie die Förderung der Marktwirtschaft anstrebte, nahm Anstoß an der territorialen und rechtlichen Zersplitterung der Grundherrschaften, die sowohl einer administrativen Vereinheitlichung als auch der Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes entgegenstand. Somit zeichneten sich bald Konflikte zwischen den ‚mittleren Mächte‘, das heißt dem Adel und den übrigen Grundherren, und der staatlichen Gewalt ab. Äußerte sich der Wille zur Vereinheitlichung einerseits in der massiven Förderung der Interessen des Magistrats im Sinne großer Besitz-Arrondierung, so versuchte Joseph II. zugleich, die Rolle der Grundherrschaft neu zu definieren.
Steuer- und Urbarialregelungen
Zum einen kam es im Zuge der sogenannten "Bauernschutzpolitik" zu einer rechtlichen Besserstellung der grundherrlichen Untertanen. Dies betraf unter anderem Abgabenhöhen, Eheangelegenheiten und die Freizügigkeit der Untertanen. Zudem wurde seit 1783 eine Steuerreform ausgearbeitet, die unter anderem die Beseitigung der Steuerprivilegien der oberen Stände, eine Verringerung der Lasten auf Seiten der Untertanen sowie eine Stärkung der geld- und marktwirtschaftlichen Komponente in der Agrarwirtschaft zum Ziel hatte. Davon waren die (Wiener) Grundherren insofern betroffen, als dies bedeuten musste, dass der Unterschied zwischen Dominikal- und Rustikalland verschwand sowie die Steuereintreibung ausschließlich dem Staat zufiel. Zudem ergab sich eine zunehmende Ablöse der untertänigen Arbeitsleistungen ("Robot") durch Geldzahlungen. Diese Steuer- und Urbarialregelungen mussten nach kurzfristiger Geltung 1788 jedoch kurz vor dem Tod des Kaisers auf Druck der Grundherren wieder zurückgenommen werden.
Folgen der Justizreform
Größere Wirkung hatte die josephische Justizreform, die sich stark auf die ebenso starke Zersplitterung grundherrlicher Gerichtsbarkeit auswirkte, welche nicht nur zu starker Rechtsunsicherheit geführt hatte, sondern auch dem staatlichen Interesse nach Penetration und Zugriff auf die entsprechenden Gebiete im Wege stand. Differierten die Interessen von Grund- und Ortsobrigkeit, konnte dies besonders im Bereich der Großstadt ein polizeiliches Risiko bergen. Effiziente Überwachung und Sanktionierung war in weiten Teilen nur schwer möglich, auch wenn es dem Stadtrat im Bereich des Burgfrieds gelungen war, sich ein direktes polizeiliches Zugriffsrecht auf Häuser fremder Herrschaften zu sichern. Der staatliche Wille zur Schaffung einer von der Verwaltung getrennten Justiz, in der der Instanzenzug vereinfacht, zugleich unter stärkerer staatlicher Aufsicht erfolgen sowie die Rechtsprechung vereinheitlicht sein sollte, setze voraus, territorial geschlossene und leistungsfähige Verwaltungsgebiete bei gleichzeitiger Einschränkung der privilegierten Gerichtsstände herzustellen. Dies stellte die grundherrschaftlichen Rechte in vielen Bereichen in Frage. Mit dem "Jurisdiktionsnormale für Österreich unter der Enns" vom 27. September 1783 wurde eine neue Gerichtsverfassung verkündet. Für die Gerichtsbarkeit waren demnach nur noch das niederösterreichische Landrecht für den Adel, die Ortsgerichte sowie einige (z.B. militärische) Sondergerichte vorgesehen. Damit wurden eine Reihe von Personalgerichsinstanzen aufgehoben. Zugleich bedeutete dies einen massiven Einschnitt in die Praxis grundherrlicher Gerichtsbarkeit, da die Zuständigkeit in erster Instanz nun nicht mehr der Grundobrigkeit, sondern der Ortsobrigkeit oblag. Die sogenannte Personalgerichtsbarkeit, das heißt das adelige Richteramt, sollte der Grundherrschaft allerdings erhalten bleiben.
Konzentration auf den Linienbereich
Letzteres stand einem einheitlichen territorialen Gerichtssprengel jedoch neuerlich im Wege, da es etwa innerhalb der Linien noch immer 46 Grundobrigkeiten gab. Man versuchte nun 1784 von landesfürstlicher Seite, nachdem Aufforderungen an die Grundherren, ihre stark zersplitterten Gerichtssprengel zusammenzufassen, nur mäßig erfolgreich waren, die Wiener Personalgerichte gänzlich aufzuheben. Dies scheiterte jedoch am Widerstand der Grundherren. 1786 kam es zu einem weiträumigen Ankauf von Gerichtsrechten durch den Magistrat. Damit war weitestgehend eine einheitliche Kompetenzsituation innerhalb der Linien hergestellt. Die Grundherrschaften waren nun auf die "Grundgerechtigkeit", das heißt den Rentenbezug, beschränkt. Ausnahmen bestanden allerdings in den drei schottischen Vorstädten, Mariahilf, Hundsthurm und Lichtental. "Durch die Zentralisierung der verschiedensten herrschaftlichen Rechte wurde also eine hoheitliche Arrondierung des Stadtgebiets versucht und dadurch die Entstehung der modernen Territorialkompetenzen des Staates oder von Gebietskörperschafen vorbereitet."[1] Die Abschaffung grundherrlicher Strukturen gelang dennoch nicht vollständig. Sie sollte bis zum Vormärz im Gegenteil einen zweiten Aufstieg erfahren.
Literatur
Walter Sauer: Grund-Herrschaft in Wien 1700-1848. Wien: Jugend und Volk 1993 (Kommentare zum Historischen Atlas von Wien, 5)
Einzelnachweise
- ↑ Walter Sauer: Grund-Herrschaft in Wien 1700-1848. Wien: Jugend und Volk 1993 (Kommentare zum Historischen Atlas von Wien, 5), S. 86.