Arbeitslosigkeit
Arbeitslosigkeit (in Wien). Beschäftigungslose wurden im Mittelalter und in der frühen Neuzeit karitativ betreut oder der Bettelei überlassen. 1673 errichtet die Stadt Wien in der Leopoldstadt ein Zucht- und Arbeitshaus, in dem arbeits- und teilweise unterstandslose Männer und Frauen zu Arbeiten eingesetzt wurden (besondere Krampen von Wolle und Spinnen); später wurden auch Häftlinge aufgenommen. Die liberal orientierte Gründerzeit war infolge ihrer Wirtschaftspolitik und Unternehmerprinzipien für Arbeitslosigkeit besonders anfällig. So verloren beispielsweise nach dem Börsenkrach von 1873 in Wien rund 35.000 Arbeiter ihren Arbeitsplatz, weitere 15.000 verließen die Stadt.
1900 zählte man 37.024 Arbeitslose (3,9 Prozent der Berufstätigen). Als die Arbeitslosigkeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1919 mit 111.796 einen ersten Höhepunkt erreichte, wurde sie in den 1920er Jahren durch arbeitsintensive Investitionen der Gemeinde Wien (Wohnbauprogramm) bekämpft (erstes und zweites Wohnbauprogramm 1923 [25.000 Wohnungen] beziehungsweise 1927 [30.000 Wohnungen]). 1926 wurde ein "Zwischenwohnbauprogramm" (5.000 Wohnungen) ausdrücklich in einen Zusammenhang mit produktiver Arbeitslosenfürsorge gestellt. 1923 zählte man 76.479 Arbeitslose, 1926 100.336 und 1928 82.644. Die Weltwirtschaftskrise und die Verschlechterungen bei den Abgabenteilungen sowie gesetzliche Eingriffe der Regierung in das Steuersystem führten zu starken Einnahmeverlusten der Gemeinde Wien; bei gleichzeitiger Verminderung der personalintensiven Investitionen kam es zu einer Erhöhung der Fürsorgeleistungen.
Nach einem ersten Höhepunkt der Arbeitslosigkeit 1929 (Beginn der Weltwirtschaftskrise) gab es Ende 1930 105.955 (77.139 Männer, 28.816 Frauen), Ende 1931 125.580 (davon 28.852 Ausgesteuerte, das heißt Arbeitslose, die keine Arbeitslosenunterstützung mehr erhielten), 1932 161.933 (46.403) und 1933 184.742 (53.925) Arbeitslose. 1933/1934 verschärfte sich die Krise, die seitens des Bundes durch Notstandsmaßnahmen (Kurzarbeit, Verbot der Doppelarbeit bei Ehepaaren [Doppelverdienergesetz] und anderes), seitens der Gemeinde Wien nach dem Februar 1934 durch Notstandsprogramme (vor allem Straßen- und Brückenbau [ Höhenstraße, Reichsbrücke ] als Ersatz für den sozialdemokratischen kommunalen Wohnhausbau, durch dessen Einstellung die Bauwirtschaft in Bedrängnis geraten war) ohne erkennbaren Erfolg bekämpft wurde. 1934 gab es 261.650 Arbeitslose (22,1 Prozent der Berufstätigen; Österreich am 31. Dezember 1931 396.474), denen noch die Ausgesteuerten zuzurechnen sind; bei den Arbeitern war die Arbeitslosigkeit mit 37,7 Prozent der Berufstätigen am höchsten.
Die Arbeitslosigkeit darf als einer der Gründe für die politische Radikalisierung weiter Bevölkerungsteile gelten. 1937 waren in Wien 101.375 unterstützte Arbeitslose registriert; die (zweifellos sehr hohe) Zahl der "Ausgesteuerten" ist nicht bekannt. Im Jänner 1938 waren in Wien 183.271 Arbeitslose vorgemerkt. Nach dem "Anschluss" Österreichs (März 1938) kam es zu einer Verminderung der Zahl der Arbeitslosen, weil der Reichsarbeitsdienst (RAD) und ein (militärisch orientiertes) Straßenbauprogramm sowie der Aufbau von Rüstungsindustrien in der "Ostmark" Arbeitslose aufsogen. Im Jahresdurchschnitt waren 1938 91.030 (Dezember: 87.992), 1939 28.294 Personen arbeitslos; mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs (1. September 1939) stellte sich die Frage der Arbeitslosigkeit nicht mehr (Wehrdienstleistung, Zwangsarbeitsverpflichtung).
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es in Wien 1950 42.399 Arbeitslose (6,5 Prozent der 646.232 Beschäftigten), 1951 4,9 Prozent, 1953 jedoch 9,5 Prozent Arbeitslose; bis 1963 sank die Arbeitslosenrate auf 1,8 Prozent, bis 1970 auf 1,1 Prozent ("Vollbeschäftigung"). Im Gefolge der ersten Erdölkrise (1973) kam es zu einer Steigerung der Arbeitslosigkeit. 1980 zählte man in Wien 1,5 Prozent vorgemerkte Arbeitssuchende, doch war die tatsächliche Zahl (weil nichtregistrierte Schulabsolventen hinzuzählen sind) höher. In den 1980er Jahren stieg die Zahl der Arbeitslosen an, wobei sich erstmals auch Ausländerarbeitslosigkeit bemerkbar machte (1985: 34.097).
Für Beschäftigtenzahlen in Wien siehe: Berufstätige.
Literatur
- Wolfgang Maderthaner: Der finanzielle Marsch auf Wien. In: Bernhard Hachleitner / Alfred Pfoser / Katharina Prager / Werner Michael Schwarz [Hg.]: Die Zerstörung der Demokratie. Österreich, März 1933 bis Februar 1934. Salzburg / Wien: Residenz Verlag 2023, S. 46–51
- Irina Vana: Austrofaschistische Arbeitslosenpolitik. In: Bernhard Hachleitner / Alfred Pfoser / Katharina Prager / Werner Michael Schwarz [Hg.]: Die Zerstörung der Demokratie. Österreich, März 1933 bis Februar 1934. Salzburg / Wien: Residenz Verlag 2023, S. 110–113
- Alfred Georg Frei: Die Arbeiterbewegung und die "Graswurzeln" am Beispiel der Wiener Wohnungspolitik 1919 - 1934. Wien: Braumüller 1991 (Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit, 7), S. 96
- Gerhard Bote: Beseitigung der Arbeitslosigkeit in Wien 1938/1939. In: Wien 1938. [Hg. und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 190 ff.
- Nadine Hauer: Politischer Stadtführer durch Wien. In: Wiener Geschichtsblätter. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 45 (1990), S. 121 ff.
- Statistisches Taschenbuch der Stadt Wien. Wien: Magistrat der Stadt 1926-lfd.