Christine Nöstlinger
Christine Nöstlinger, * 13. Oktober 1936 Wien, † 28. Juni 2018 Wien, Schriftstellerin.
Biografie
Christine Nöstlinger wurde am 13. Oktober 1936 als Christine Draxler in Wien geboren und wuchs in Wien-Hernals in einfachen Verhältnissen auf. Ihr Vater, Walter Göth, war Uhrmacher, ihre Mutter, Michaela Draxler, war Kindergärtnerin. Politisch sozialisiert in einem sozialdemokratischen Elternhaus, erlebte sie während ihrer Kindheit im Nationalsozialismus Rassismus, Antisemitismus, Vertreibung und Verfolgung auch im engeren Herkunftsmilieu. Ihre schwerhörige Großmutter dagegen schimpfte ständig und laut gegen Hitler. Nach der Matura am Hernalser Gymnasium studierte Nöstlinger an der Akademie für Angewandte Kunst Gebrauchsgrafik. 1957 heiratete sie. Das Studium brach sie ab und fand eine Anstellung im Pressehaus am Fleischmarkt. Nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe, aus der die Tochter Barbara (geboren 1959) stammt, heiratete sie 1961 den Journalisten Ernst Nöstlinger. 1961 wurde die gemeinsame Tochter Christiane geboren.
Christine Nöstlingers Karriere als Schriftstellerin begann mit Illustrationen für "Die feuerrote Friederike" (1970). Als diese fertig gezeichnet waren, schrieb sie dazu den Text. "Die feuerrote Friederike" wurde sogleich zum großen Erfolg, entsprach im witzig-aufmüpfigen Ton ganz dem Zeitgeist der 1968er Jahre. Ihre Neuerscheinungen in den nächsten Jahren knüpften an den Erfolg des schriftstellerischen Debüts nahtlos an, für "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig" (1973) bekam sie den Deutschen Jugendbuch-Preis. "Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse" (1975) oder die Serie um "Gretchen Sackmeier" (ab 1983) wurden zu Publikumsrennern. Den Büchern folgten Verfilmungen und Adaptierungen für das Theater. Zu ihrer Bekanntheit trug sicherlich auch bei, dass Nöstlinger für Rundfunk- und Fernsehen arbeitete. Die "Dschi-Dschei-Wischer"-Reihe lief 1979 im österreichischen Rundfunk fast täglich ein ganzes Jahr lang. Für die Sendereihe "Rudi! Radio für Kinder" gestaltete sie von 2003 bis zu ihrem Tod 2018 jede Woche zwei Folgen. Für die Tageszeitungen "Kurier" und "Täglich Alles" und die Wochenzeitung "Die ganze Woche" schrieb sie Kolumnen und Glossen.
Dass Nöstlinger auch international reüssierte und zu einer der wichtigsten literarischen Botschafterinnen Österreichs wurde, zeigte sich an der Verleihung des hochdotierten Astrid-Lindgren-Preises im Jahr 2003. Christine Nöstlingers Werke stehen zudem für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Kinder- und Jugendbuchliteratur. Sie gehörte zu den ersten Schriftstellerinnen, die dieses Thema aufgriffen. "Maikäfer flieg" (1973), das auf autobiografischen Erfahrungen beruht, schildert aus der Perspektive eines achtjährigen Mädchen den Wahnsinn der NS-Zeit und des Krieges und verortet genau die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen. 2016 verarbeitete Mirjam Unger den Roman zu einem mehrfach ausgezeichneten Film. "Zwei Wochen im Mai" (1981) setzte die Erinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegszeit fort.
Ihren mehr als 150 Büchern gemeinsam sind die Zuneigung gegenüber Außenseitern, ihr Aufruf zu Freiheit und Widerständigkeit und ihr Misstrauen gegenüber Autoritäten, immer getragen vom nonchalanten Witz einer oft sehr wienerischen Sprachmelodie. Nöstlinger hielt stets am Prinzip fest, dass Kinder gerne lachen. Ihre Erzählungen verarbeiten Alltagsgeschehen und sprechen ganz ungeniert Sexualität und andere Tabuthemen an. Die Autorin produzierte nicht nur − selbst von Erwachsenen gern gelesene − Kinder- und Jugendbücher, sondern wandte sich auch direkt an ein älteres Publikum. In den Gedichtbänden "Iba de gaunz oaman Kinda" (1974) oder "Iba de ganz oaman Fraun" (1982) erwies sie der Ausdrucksstärke des Wiener Dialekts und den Abgründen und Humoresken des Wiener Alltags ihre Reverenz. Unter dem Titel "Glück ist was für Augenblicke" veröffentlichte sie 2013 ihre Erinnerungen.
Entsprechend ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement war sie von 1997 bis 1999 Vorsitzende von SOS Mitmensch. Als freie Schriftstellerin lebte sie zuletzt in Wien und im Waldviertel.
2019 wurden die Christine-Nöstlinger-Gasse im 21. Bezirk und der Christine-Nöstlinger-Park im 17. Bezirk nach der Schriftstellerin benannt.
Quelle
Literatur
- Floridsdorf erhält “Christine-Nöstlinger-Gasse”. In: Rathauskorrespondenz, 03.09.2019
- Michael Wurmitzer: Schriftstellerin Christine Nöstlinger gestorben. In: derstandard.at, 13.07.2018 [Stand: 23.09.2018]
- Thomas Kramar: Zum Tod von Christine Nöstlinger: Sie hat auf den Gurkenkönig gepfiffen. In: Die Presse, 13.07.2018 [Stand: 23.09.2018]
- Angelika Hager: Nöstlinger: "Ich halte den Tod für die größte Frechheit, die es überhaupt gibt." In: profil.at, 07.03.2016 [Stand: 23.09.2018]
- Christine Nöstlinger: Glück ist was für Augenblicke. Erinnerungen. St. Pölten / Salzburg / Wien: Residenz Verlag 2013.
- Ursula Pirker: Christine Nöstlinger. Die Buchstabenfabrikantin. Wien: Molden 2007.
- Sabine Fuchs [Hg.]: … weil Kinder nicht ernst genommen werden. Zum Werk von Christine Nöstlinger. Wien: Edition Praesens 2003.
- Sabine Fuchs: Christine Nöstlinger. Werkmonographie. Wien. Dachs-Verlag 2001.
- Christine Nöstlinger: Geplant habe ich gar nichts. Aufsätze. Reden. Interviews. Wien: Dachs Verlag 1996.
- Klaus Jürgen Dilewsky: Christine Nöstlinger als Kinder- und Jugendbuchautorin. Genres, Stoffe, Sozialcharaktere, Intentionen. Frankfurt am Main: Haag & Herchen 1993