Erwin Jekelius
Erwin Jekelius, * 5. Juni 1905 Hermannstadt (Sibiu, Rumänien), † 8. Juli 1952 Wladimir (Sowjetunion), Psychiater, Euthanasie-Täter
Biografie
Der aus Siebenbürgen stammende Erwin Jekelius war Sohn des gebürtigen Wieners Ernst Peter Jekelius, der zeitweise das Amt des Vizebürgermeisters von Hermannstadt bekleidete. Erwin besuchte das Evangelisch-Deutsche Gymnasium seiner Geburtsstadt und begann 1924 ein Studium der Medizin an der Universität Wien, das er 1931 mit dem Doktortitel abschloss. Während des Studiums wirkte er als Hospitant im Allgemeinen Krankenhaus und schloss sich der "Wiener Gesellschaft für Rassenpflege" an. Von 1933 bis 1936 war er an der Heilpädagogischen Station der Universitäts-Kinderklinik in Wien unter Franz Hamburger tätig, danach in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" . Nach dem "Anschluss" Österreichs im März 1938 trat der illegale Nationalsozialist Jekelius auch offiziell der NSDAP und der SA bei.
Im gleichen Jahr beendete er seine Fachausbildung für Nervenheilkunde. 1939 avancierte er zum Primarius der Trinkerheilanstalt "Am Steinhof". Als im Juli 1940 die Städtische Jugendfürsorgeanstalt "Am Spiegelgrund" eröffnet wurde, übernahm er deren ärztliche Leitung der Anstalt. Von Juni 1940 bis August 1941 fungierte er auch als Referatsleiter für "Geisteskranken-, Psychopathen- und Süchtigenfürsorge" im Gesundheitsamt der Stadt Wien. Im Rahmen der Euthanasie-Aktion "T4" trat er als Gutachter auf und koordinierte die Durchführung von Euthanasie-Maßnahmen in Wien. Außerdem arbeitete er am Entwurf eines Euthanasie-Gesetzes, das die Tötung "lebensunwerten" Menschen legalisieren sollte. Unter seiner Leitung wurden Hunderte Kinder durch Luminol oder eine Giftspritze getötet. In einem späteren Verfahren belastete er sich und Heinrich Gross schwer. Selbst im Ausland war seine Tätigkeit bekannt, wie über Wien abgeworfene britischze Flugblätter belegen, die Jekelius als "Der Herr mit der Spritze" bezeichneten und ihn in Zusammenhang mit der systematischen Ermordung von Patientinnen und Patienten brachte.
Im Jänner 1942 wurde Jekelius von der Leitung der Anstalt entbunden und zur Wehrmacht einberufen. Hintergrund dieser Entwicklung war vermutlich eine zunächst freundschaftliche, dann intime Beziehung, die der Arzt mit Hitlers Schwester Paula führte. Diese hatte er im dienstlichen Kontext kennengelernt. Hitler lehnte den Heiratswunsch der beiden ab, weswegen der Psychiater 1941 in Berlin verhaftet und verhört wurde und das Verhältnis abbrechen musste. Darüber hinaus war ein Disziplinarverfahren wegen Überschreitung des Züchtigungsrechts gegen den Psychiater anhängig. Bis Kriegsende war er wechselnd als Feldarzt an der Front oder als Lazarettarzt in Wien tätig.
Im Mai 1945 wurde Erwin Jekelius zunächst von der österreichischen Polizei verhaftet, konnte aber aus Wien fliehen. Wenig später nahmen ihn Soldaten der Roten Armee fest und er wurde auf Anordnung des sowjetischen Militärstaatsanwalts in die Sowjetunion überstellt. In einem Prozess wurde er 1948 zu 25 Jahren Haft verurteilt. Er starb 1952 im Zentralgefängnis Wladimir des Innenministeriums der UdSSR an Krebs.
Literatur
- Rudolf Leo: Die NS-Vergangenheit des Personals am Pavillon 15 "Am Steinhof" und an der "Rett-Klinik“. In: Emma Mayerhofer u. a. (Hg.): Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in der Wiener Psychiatrie von 1945 bis 1989. Stationäre Unterbringung am Steinhof und Rosenhügel. Wien: LIT 2017 (Schriften zur Rechts- und Kriminalsoziologie, 8) [Stand: 12.02.2025]
- Daniela Pscheiden: Handlungsräume und Täterschaft von Medizinerinnen während der NS-Herrschaft am Beispiel der 'Spiegelgrund'-Ärztin Marianne Türk. Master-Arb. Univ. Wien. Wien 2015 [Stand: 12.02.2025]
- Karin Anna Ertl: NS-Euthanasie in Wien. Dipl.-Arb. Univ. Wien. Wien 2012 [Stand: 12.02.2025]
- Lukas Vörös: Kinder- und Jugendlicheneuthanasie zur Zeit des Nationalsozialismus am Wiener Spiegelgrund. Dipl.-Arb. Univ. Wien. Wien 2004 [Stand: 12.02.2025]
- Edzard Ernst: Erwin Jekelius - Euthanasiearzt am Spiegelgrund und Verlobter von Hitlers Schwester. In: Der Standard online, 30.06.2024 [Stand: 12.02.2025]
- Karin Anna Ertl: NS-Euthanasie in Wien unter Mitwirkung von Erwin Jekelius : der Direktor vom "Spiegelgrund" und seine Beteiligung am NS-"Vernichtungsprogramm". Saarbrücken: Akademikerverlag 2016
- Erwin Czech: Der Spiegelgrund-Komplex. Kinderheilkunde, Heilpädagogik, Psychiatrie und Jugendfürsorge im Nationalsozialismus. In: Archiv - Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 25 (2014), Nr. 1-2 [Stand: 12.02.2025]