Frauenwahlrecht
Das allgemeine Wahlrecht für Frauen in Österreich trat 1918 in Kraft. Seine Durchsetzung geht auf die Forderungen der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung zurück. Bis dahin waren Frauen von politischen Aktivitäten und der Teilnahme am Vereinswesen weitgehend ausgeschlossen. Bei den ersten parlamentarischen Wahlen in Österreich, den Reichstagswahlen 1848, waren ausschließlich Männer wahlberechtigt. Im Verlauf des Revolutionsjahrs 1848 und im Zuge der demokratischen Bestrebungen wurde erstmals die Frage der Wahlberechtigung von Frauen diskutiert. Die Mehrheit der männlichen Abgeordneten befand allerdings, dass die Frauen ohnehin durch ihre Männer vertreten wären.
Mit Ausnahme einiger österreichischer Gemeinden, in denen im Zuge der Schaffung der Gemeindeautonomie 1849 beziehungsweise 1852 den selbständigen Steuerträgerinnen das aktive Wahlrecht (§ 30), nicht hingegen das passive Wahlrecht (§ 35) zuerkannt wurde (Wien zählte nicht zu diesen), blieb das Wahlrecht weiterhin das Vorrecht der Männer. „Wollte man" (wie es ein Zeitgenosse Ende der 1840er Jahre formulierte) „die Weiber (zum aktiven Wahlrecht) zulassen, (...) so müßte man aus gleichem Grund auch die Kinder und Narren zulassen." Die Jahre des Neoabsolutismus bedeuteten das Ende jeglicher konstitutioneller und demokratischer Bestrebungen. Erst mit der Reichsverfassung 1861 (Februarpatent, sub 2) wurde eine neue Wahlordnung für Länder und Gemeinden erlassen. Das Landtagswahlrecht war kein allgemeines Wahlrecht, sondern berücksichtigte nur die Steuerträger, weshalb es (unabhängig vom Geschlecht) von der Leistung einer Mindeststeuer abhängen sollte; der Niederösterreichische Landtag nahm den Regierungsentwurf, der das aktive Wahlrecht für eigenberechtigte steuerzahlende Frauen vorsah, mehrheitlich an, in den größeren Städten (darunter Wien und Prag) blieben die Frauen hingegen weiterhin vom Wahlrecht ausgeschlossen.
Die Wahlrechtsreform 1873, die die direkte Volkswahl zum Abgeordnetenhaus einführte, brachte denjenigen Frauen, die Grundbesitzerinnen waren und das 24. Lebensjahr vollendet hatten, das aktive Wahlrecht für das Abgeordnetenhaus in der Wählerklasse des Großgrundbesitzes. Im Zuge der Eingemeindung der Vororte kam es 1890 zur ersten politischen Frauenversammlung unter der Leitung von Auguste Fickert und Marie Schwarz, auf der die Frage des Frauenwahlrechts auf Gemeindeebene diskutiert wurde. Da die Frauen in Wien kein Gemeindewahlrecht besaßen, drohte den Frauen in den Vororten durch die Eingemeindung der Verlust ihres Wahlrechts. Eine Petition an den Niederösterreichischen Landtag auf Zuerkennung des Gemeindewahlrechts an die eigenberechtigten, steuerzahlenden Frauen Wiens blieb ohne Erfolg, doch wurde die Forderung in den folgenden Jahren in Petitionen an den Reichsrat und den Landtag wiederholt.
In der hochliberalen und christlichsozialen Ära verstärkte sich die Tendenz, den Frauen diese Rechte wieder zu entziehen. Am 9. Juli 1893 fand eine Wahlrechtsdemonstration der Wiener Arbeiterschaft für alle Bürger statt (im selben Jahr gewährte Neuseeland als erstes Land der Welt Frauen das Wahlrecht), am 9. Dezember 1893 fand im Alten Rathaus eine allgemeine freie Frauenversammlung statt, an der bürgerliche und sozialdemokratische Vertreterinnen der Frauenbewegung teilnahmen (Beschluss einer Petition an den Reichsrat mit der Forderung des allgemeinen, gleichen und direkten Frauenwahlrechts). Die Wahlrechtsreform 1896 führte eine allgemeine Wählerklasse ein (§ 9a), in der alle eigenberechtigten männlichen Staatsbürger zum Reichsrat wahlberechtigt waren; die gemeinsamen Forderungen der bürgerlichen und proletarischen Frauen nach dem Wahlrecht fand keine Berücksichtigung. Die Frauenwahlrechtsbewegung verlor in den Folgejahren an Aktivitäten; bei den Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung ist eine Erlahmung des Engagements festzustellen, die Aktivistinnen der proletarischen Frauenbewegung setzten sich hingegen vor allem für die Durchsetzung des Wahlrechts für Männer ein.
Im Dezember 1905 wurde auf Anregung von Ernestine Fürth das Frauenstimmrechtskomitee gegründet, das wieder das allgemeine Wahlrecht für beide Geschlechter forderte. Am 26. Jänner 1907 wurde das allgemeine gleiche Wahlrecht für Männer eingeführt; mit der Begründung, das Wahlrecht stelle ein Äquivalent für Wehrpflicht und andere öffentliche Pflichten dar, blieben Frauen wieder unberücksichtigt (selbst das Wahlrecht der Großgrundbesitzerinnen war durch eine Regierungsnovelle gefallen). Das Frauenstimmrechtskomitee suchte sich daraufhin als Verein zu konstituieren, doch scheiterte dies an der Ablehnung der Satzungen seitens der Niederösterreichischen Statthalterei, gegen die auch Berufungen erfolglos blieben.
Im März 1911 fand in Wien eine Konferenz der inzwischen in verschiedenen Städten gegründeten Komitees statt; Fürth gab ab Jänner 1911 die „Zeitschrift für Frauenstimmrecht" heraus. Am 19. März 1911 zieht die größte Frauendemonstration der österreichischen Geschichte über die Wiener Ringstraße. Rund 20.000 Frauen und Männer fordern vorerst erfolglos das Frauenwahlrecht. Im Juni 1914 wurde in Wien die VIII. Generalkonferenz der Frauenstimmrechtsallianz abgehalten, am 28. April 1917 stand der sozialdemokratische Frauentag unter der Devise „Frauen und Frieden". In der ersten Sitzung des Abgeordnetenhauses seit Kriegsausbruch (am 30. Mai 1917) forderte der Sozialdemokrat Karl Seitz die volle staatsbürgerliche Gleichberchtigung der Frauen; im Wiener Gemeinderat hatte bereits im April 1917 der sozialdemokratische Gemeinderat Jakob Reumann das aktive und passive Frauenwahlrecht beantragt. Der im September 1918 veröffentlichte Entwurf einer neuen Gemeindewahlordnung für Wien sah die Bildung einer Frauenkurie vor. Im Oktober 1918 richteten bürgerliche und sozialdemokratische Frauenvereine eine gemeinsame Petition an die Nationalversammlung. Der am 3. Jänner 1918 einberufenen Frauenwahlrechtsversammlung schlossen sich erstmals auch katholische und nationale Frauenorganisationen an.
Im November 1918 wurden aufgrund eines Parteienkompromisses provisorisch zwölf Frauen in den Gemeinderat berufen (fünf Sozialdemokratinnen, fünf Christlichsoziale, zwei Liberale); am 12. November 1918 beschloss die Provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich die Zuerkennung des aktiven und passiven Wahlrechts an alle volljährigen Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts. Bei den Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 und bei den Gemeinderatswahlen am 4. Mai 1919 konnten Frauen erstmals kandidieren beziehungsweise wählen.
Literatur
- Elisabeth Freismuth: Die Frau im öffentlichen Recht. In: Die Frau im Korsett. Wiener Frauenalltag zwischen Klischee und Wirklichkeit 1848 - 1920. Hermesvilla, Lainzer Tiergarten, 14. April 1984 - 10. Februar 1985. Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1984 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 88), S. 30 ff.
- Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1896 - 1934. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 2), S. 974, S. 1125
- Karl Ucakar: Demokratie und Wahlrecht in Österreich. Zur Entwicklung von politischer Partizipation und staatlicher Legitimationspolitik. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1985 (Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik, 24)
- Erika Weinzierl: Emanzipation? Österreichische Frauen im 20. Jahrhundert. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1975
- Brigitte Zaar: Dem Mann die Politik, der Frau die Familie- die Gegner des politischen Frauenstimmrechts in Österreich (1848-1918). In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 4 (1987), S. 351 ff.