Fremdenblatt
Fremdenblatt, anfangs regierungsfreundliche Zeitung, die am 1. Juli 1847 erstmals herauskam. Nach den turbulenten Ereignissen des Revolutionsjahrs konnte sie bereits am 14. November 1848 wieder erscheinen; 1849 rückte die Rubrik "Tagesneuigkeiten" an die Spitze des Blatts, zugleich wurden Leserzuschriften und im Anzeigenteil ein Roman veröffentlicht. In der Zeit des Neoabsolutismus gehörten zu den Mitarbeitern Friedrich Uhl (später Chefredakteur der Wiener Zeitung) sowie die Feuilletonisten Isidor Heller und Wilhelm Wiener (Neues Fremdenblatt); 1852 begann die Offiziosität der Zeitung ("freiwillig gouvernmental"; die Verbindung wurde durch Gustav Heine hergestellt). Trotz dieser Regierungsfreundlichkeit hielt das Fremdenblatt die Mitte zwischen konservativer und liberaler Schreibweise; unter der Leitung von Bernhard Friedmann bezog das Fremdenblatt eine föderalistisch-liberale Linie und stand in Opposition zu Schmerling und Belcredi. Ab 7. Oktober 1865 erschien das Fremdenblatt mit einem Abendblatt. Am 24. Februar 1874 übernahm die Elbemühl das Blatt. 1886 wurde Marcell Frydmann Leiter des Blatts, in dessen Redaktion er 1878 eingetreten war. Zeitweise war das Fremdenblatt Organ des Außenministeriums, ab 1898 besaß es in der Führung der traditionellen Fremdenlisten eine Art Monopol. Anfang der 1880er Jahre wurde eine "Sportrevue" begonnen (Pferdesportberichte), ab 1906 in der Abendausgabe täglich eine "Sportzeitung" gebracht und um die Jahrhundertwende der Wirtschaftsteil ausgebaut; als 1905 die Reichswehr eingestellt wurde, wurden zwei militärische Beilagen eingeführt ("Vedette" und "Reichswehr"). Außenpolitisch vertrat das Fremdenblatt entschieden einen großösterreichischen Standpunkt (insbesondere 1866) und forderte 1870/1871 ein Eingreifen Österreichs an der Seite Frankreichs; innenpolitisch stand das Fremdenblatt in entschiedener Opposition zu Taaffe und seiner Wahlreform, in der Nationalitätenfrage unterstützte es den Zentralismus Franz Josephs I. gegen den Föderalismus des Thronfolgers Franz Ferdinand. Nach 1915 (in diesem Jahr gab es eine Formatänderung) kam es zur Teilung des redaktionellen Inhalts, zum Wegfall aller bisherigen Beilagen und zur Einführung eines Feuilletons "unter dem Strich" der ersten Seite; eine 1915 begonnene Kriegsbeilage wurde 1916 in eine Modebeilage umgestaltet. Der in der Gründerzeit bereits starke Inseratenteil wuchs so stark an, dass er fast die Hälfte des Blattumfangs beanspruchte. Im Lauf der Zeit stand das Fremdenblatt in immer schärferem Gegensatz zur Reichspost (dem von Franz Ferdinand bevorzugten Blatt), erfreute sich jedoch weiterhin der Wertschätzung des greisen Monarchen. Anfang 1918 geriet das Blatt stärker unter den Einfluss der Großindustrie, vertrat in der Folge radikal deutschnationale Tendenzen und forderte die Schaffung eines deutsch-österreichischen Staats. Am 22. März 1919 wurde mit der letzten Nummer das Erscheinen eingestellt. Aus dem Fremdenblatt entwickelte sich "Der Neue Tag" (1919-1920).
Literatur
- Gabriele Melischek / Josef Seethaler [Hg.]: Die Wiener Tageszeitungen. Eine Dokumentation. Band 3: 1918-1938. Frankfurt am Main / Wien [u.a.]: Lang 1992, S. 115
- Kurt Paupié: Handbuch der Österreichischen Pressegeschichte 1848-1959. Band 1. Wien: Wilhelm Braumüller 1960 (Erscheinungsbeginn irrig 01.03.1846)