Fußwaschungszeremonie
Die Gründonnerstags-Fußwaschung am Wiener Kaiserhof war eine höfische Zeremonie, die von den 1620er-Jahren bis zum Ende der Monarchie 1918 durchgängig belegt ist. Der Kaiser wusch dabei zwölf ausgewählten, alten und armen Bürgern die Füße, in der Folge wurde eine symbolische Speisung abgehalten und die Armen beschenkt. Analog zur Fußwaschung durch den Kaiser vollzogen auch die regierende sowie gegebenenfalls auch die verwitweten Kaiserinnen das Ritual an jeweils zwölf bedürftigen Greisinnen. Die ostentative Selbsterniedrigung des Herrscherpaares in der Nachfolge Jesu diente paradoxerweise der Unterstreichung von Würde und Sakralität der herrschenden Dynastie.
Seinen Ursprung hat das Ritual in der kirchlichen Osterliturgie, wo Fußwaschungen durch Bischöfe oder den Papst seit dem frühen Mittelalter nachgewiesen sind – im klösterlichen Bereich sogar seit der Spätantike. Das Martyrium Christi sollte durch das Ritual an den Aposteln, wie es im Johannesevangelium beschrieben ist, nachgeahmt werden. Der Übergang aus der Kirchenliturgie auf weltliche Fürstenhöfe dürfte sich zunächst in Flandern vollzogen haben und mit dem burgundischen Erbe an die Habsburger übergegangen sein. Unter Karl V. ist das Ritual zunächst in Spanien, seit 1521 auch auf Reichsboden belegt und wurde hier rasch imitiert - am wittelsbachischen Hof in München etwa ist es allerspätestens von 1594 bis 1918 durchgängig nachgewiesen. In der Frühen Neuzeit gehörte die Fußwaschung aber nicht nur im Heiligen Römischen Reich, sondern an praktisch allen Höfen Europas zum fixen Bestandteil herrschaftlicher Repräsentation.
Auch in Wien hatte die Fußwaschung ihren festen Platz innerhalb der höfischen Osterfeierlichkeiten und verlief über 300 Jahre hinweg nach strengem Zeremoniell nahezu gleichförmig, wie die im Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrten Akten des Hofzeremonialamts belegen. Bedürftige Bürgerinnen und Bürger im Greisenalter konnten sich um eine Annahme zur Fußwaschung bewerben. Die vom Hofzeremonialamt ausgewählten Personen wurden anschließend von einem Bader untersucht und (vor)gewaschen, es wurde der Schneider gerufen, der Maß nahm und schwarze Kleider für sie anfertigte. Sie hatten die Beichte abzulegen und dies mit Beichtzettel zu belegen, wodurch Protestanten a priori von der Hofzeremonie ausgeschlossen waren. Am Gründonnerstag selbst geleitete man die ausgewählten Armen nach der Messe in den Zeremonialsaal der Hofburg oder in das Antichambre der Kaiserin, wo das Fußwaschungsritual und die Speisung der Armen, die allerdings nur symbolischen Charakter hatte, durch Kaiser bzw. Kaiserin unter Beisein ausgewählten Publikums vorgenommen wurden. Wie feierlich sich die Stadt anlässlich der Gründonnerstagsfeierlichkeiten und der Fußwaschung, damals im Stephansdom, herausputzte, berichtet Karl Herloßsohn im Jahre 1827; eine ausführliche und durchaus gesellschaftskritische Beschreibung der Fußwaschungszeremonie hinterließ auch Bertha von Suttner in ihrem Roman "Die Waffen nieder!" (1889).
Schon seit dem 17. Jahrhundert wurden auch Listen der zwölf armen, alten Männer und Frauen in Druck gegeben, welche dann im Hofstaat, unter den Gästen sowie an die Beteiligten selbst verteilt wurden; ab 1703 fand das Ereignis auch in der Wiener Zeitung seinen beinahe jährlichen Niederschlag. Ähnlich wie das Ritual selbst, behielten auch diese Listen ihre äußere Form über die Jahrhunderte hinweg praktisch unverändert bei und führten neben den Namen der Greisinnen und Greise auch deren Alter an. Eine etwas skurril anmutende Besonderheit der Drucke ist, dass auch stets die Summe der Lebensjahre der zwölf Personen angegeben wurde. Eine größere Sammlung solcher Fußwaschungslisten – wie auch von Listen der Fußwaschungen durch den Erzbischof von Wien – befindet sich in der Wienbibliothek im Rathaus.
Quellen
- Fußwaschungslisten (Kaiserhof) im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus
- Fußwaschungslisten (Erzdiözese) im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus
- Wienbibliothek Digital, Schlagwort: Fußwaschung
Literatur
- Wolfgang Franz: Kaiserliches Wien. Bekannte Orte, kuriose Geschichten. Wien: Metroverlag 2008, S. 14 f.
- Martin Scheutz: "Der vermenschte Heiland". Armenspeisung und Gründonnerstags-Fußwaschung am Wiener Kaiserhof. In: Ein zweigeteilter Ort. Hof und Stadt in der Frühen Neuzeit. Hg. von Susanne Claudine Pils / Jan Paul Niederkorn. Innsbruck / Wien / Bozen: Studien-Verlag 2005 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 44), S. 189–253
- Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! Eine Lebensgeschichte. Band 1. Dresden / Leipzig: Pierson [1889], S. 129–135
- Karl Herloßsohn: Wien wie es ist. Fortsetzung der Sitten- und Charaktergemälde von London und Madrid. Aus dem Französischen übersetzt von Eduard Forstmann. Leipzig: Magazin für Industrie und Litteratur 1827, S. 86–88
- Die Welt der Habsburger: In Demut: Die Fußwaschungszeremonie [Stand: 05.04.2022]