Gemeinsamer Landtag
Die Bundesverfassung von 1920 regelte auch das Verhältnis der in der Übergangszeit bis zur vollständigen Trennung Wiens von Niederösterreich (1. Jänner 1922) als Landesteile Niederösterreichs eingerichteten Länder Wien und Niederösterreich-Land zueinander. Sie sah für jene Angelegenheiten der bisherigen (gesamt)niederösterreichischen Landesverwaltung, die für gemeinsam erklärt wurden einen gemeinsame Landtag von Niederösterreich vor. Dieses Gremium trat zunächst noch in seiner bisherigen Zusammensetzung und weiterhin mit Albert Sever als niederösterreichischen Landeshauptmann, zusammen und beschloss am 28. Dezember 1920 eine neue Landesverfassung. Sie trat am 1. Jänner 1921 in Kraft. Ihre Geltung sollte lediglich ein Jahr betragen, als Wien und Niederösterreich mit Wirkung vom 1. Jänner 1922 vollständig getrennt wurden.
Der gemeinsamer Landtag gliederte sich in zwei Kurien, die Kurie Land und die Kurie Stadt. Während die Kurie Land mit dem Landtag für Niederösterreich (ohne Wien) identisch war, sollten die Abgeordneten der Kurie Stadt vom Wiener Gemeinderat gewählt werden. Die Zahl der Abgeordneten beider Kurien sollte zur Zahl der jeweiligen Bundesbürger proportional sein. In den getrennten Angelegenheiten hatte nicht die Kurie Stadt, sondern der Wiener Gemeinderat selbst die Stellung eines Landtages.
Der Wirkungskreis des gemeinsamen Landtages umfasste vor allem die Landesanstalten, Landeseisenbahnen und andere noch gemeinsame Vermögenswerte. Die Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten erfolgte durch eine vom gemeinsamen Landtag zu wählende "Verwaltungskommisison". Ein gemeinsamer Landeshauptmann war nicht vorgesehen, vielmehr führten der Landeshauptmann von Niederösterreich-Land und der Bürgermeister von Wien abwechselnd den Vorsitz bei den wenigen 1921 stattfindenden Sitzungen.
Literatur
- Thomas Olechowski: Das Ringen um die Stellung Wiens in der Diskussion um die Bundesverfassung. In: Bernard Hachleitner/Christian Mertens [Hg.]: Wien wird Bundesland. Die Wiener Stadtverfassung und die Trennung von Niederösterreich. Salzburg/Wien: Residenz 2020, S. 47-57