Zum grünen Tor (8., Lerchenfelder Straße 14), ehemalige Gaststätte. Das „Grüne Tor" gehörte 1660 dem Johann Paul Petrari, „Waxkörzler" in St. Ulrich. 1752 kaufte der Samtfabrikant Louis Henry das Haus und das angrenzende Altschafferhaus. Das Gasthaus (mit gleichem Schild) ist das älteste in der Josefstadt; seine Glanzperiode fällt in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als Anfang der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts das Vergnügungslokal „Zum großen Zeisig" demoliert wurde, ließen die Besitzer des damals bereits renommierten Gasthauses „Zum grünen Tor", die Familie Schäfter, ihre Säle umbauen und prachtvoll ausstatten. Viele Geselligkeitsvereine, unter ihnen „Die Naßwalder", hielten hier ihre Produktions- und Tanzabende ab. Schon früher hatte das Unternehmen wegen des Auftretens der Volkssängerin Antonie Mansfeld (die hier ihre ersten Triumphe feierte) und durch seine Wäschermädel-, Masken-, Fiaker- und Bauernbälle einen guten Ruf erlangt, nun entwickelte es sich zu einer Hochburg der Volkssänger. Drexler brachte hier den „Roten Seidl" auf die Bretter und trat später jeden Donnerstag mit seiner Gesellschaft auf (der die Zeidler, Kittel und Ulrich angehörten). Auch Fanny Hornischer war zu hören. In den 90er Jahren produzierte sich die Gesellschaft Seidl und Wiesberg mit dem Terzett Schäfer-Endres-Gruber. Der Kapellmeister Sioly spielte hier häufig. Am 1. März 1870 fand im Grünen Tor der „Panslawistische Kommers" statt, bei dem Palacky und Rieger ihre heftigen Reden gegen die „Unterdrücker der Slawen" hielten. 1904 wurde das Haus Eigentum des Brauereibesitzers Anton Dreher. - Dieses Restaurant Zum Grünen Tor wurde laut Zeitzeugenbericht von Lucie Benedikt, geboren 1926, vor 1938 als Ausweichsynagoge für Jüdische Gottesdienste der Hohen Feiertage genutzt. Betende, die sich die teuren Sitze in der Vereinssynagoge des Israelitischen Tempelvereins des 8. Bezirkes der Stadt Wien 8, Neudeggergasse 12 nicht leisten konnten, verbrachten Gottesdienste an den Feiertagen in dieser geräumigen für den Zweck geeigneten Gaststätte: "Dort war ein großer Raum mit einem Saal, viele Sessel, ein kleiner Tisch, wo man sein Gebetbuch hingeben konnte. Da war so eine Stufe, dort sind die Frauen und Kinder gesessen, und die Männer vorne (...). Da waren wir alle Feiertage, die großen Feiertage, Yom Kippur... Ich weiß nicht, wie viele Leute da waren, es müssen ein paar Hundert gewesen sein".[1] Heute befindet sich an dem Standort ein Supermarkt.
Literatur
- Hans Rotter: Die Josefstadt. Geschichte des 8. Wiener Gemeindebezirkes. Wien: Selbstverlag 1918, S. 331 ff.
- Wilhelm Kisch: Die alten Straßen und Plätze von Wiens Vorstädten und ihre historisch interessanten Häuser. (Photomechan. Wiedergabe [d. Ausg. v. 1883]). Cosenza: Brenner 1967, Band 1, S. 535
- Hans Pemmer: Gaststätten in der Josefstadt. In: Das Josefstädter Heimatmuseum. Band 2: Wien: Neuer Wiener Pressedienst 1959-1969, S. 34
- Wien in alten Ansichtskarten 8/9, S. 7
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 4: Profane Topographie nach den 21 Bezirken (2.-21. Bezirk). Wien: Jugend & Volk 1958, S. 263
- Verlorene Nachbarschaft. Die Wiener Synagoge in der Neudeggergasse. Ein Mikrokosmus und seine Geschichte. Hg. Von Käthe Kratz / Karin Schön Hubert Gaisbauer / Hans Litsauer. Wien: Mandelbaum Verlag 1999
Einzelnachweise
- ↑ “…als ob man zwei Personen ist – Lucie Benedikt. In: Verlorene Nachbarschaft. Die Wiener Synagoge in der Neudeggergasse. Ein Mikrokosmus und seine Geschichte. Hg. Von Käthe Kratz / Karin Schön Hubert Gaisbauer / Hans Litsauer. Wien: Mandelbaum Verlag 1999, S. 103