Gsur-Verlag

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Daten zur Organisation
Art der OrganisationArt der Organisation Verlag
Datum vonDatum (oder Jahr) von 14. März 1930
Datum bisDatum (oder Jahr) bis 17. Oktober 1939
Benannt nach Gusti Gsur
Prominente Personen Ernst Karl Winter
Wien Geschichte WikiIdentifier/Persistenter URL zur Seite  71374
GNDGemeindsame Normdatei
WikidataIDID von Wikidata Q1552531
Siehe auchVerweist auf andere Objekte im Wiki  Verlagsgeschichte
RessourceUrsprüngliche Ressource  Murray G. Hall: Österr. Verlagsgeschichte
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Letzte Änderung am 13.04.2021 durch DYN.krabina
  • 1., Riemergasse 5

Frühere Adressierung
  • Gsur u. Co.
  • Gsur & Co

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48° 12' 27.53" N, 16° 22' 38.43" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Gsur-Verlag. In der österreichischen Verlagslandschaft der 1930er Jahre nahm der Gsur-Verlag in verschiedener Hinsicht eine Sonderstellung ein. Nicht nur wurde er zeitweise von einem aktiven österreichischen Politiker geführt, er stellte sich auch kompromisslos gegen den Nationalsozialismus und produzierte unter weitgehendem Verzicht auf den reichsdeutschen Markt. Zuletzt war er gezwungen, seine Geschäftstätigkeit auf Geheiß der österreichischen Behörde einzustellen.

Die Firma "Gsur u. Co." ging in Form einer Übernahme aus der "Vogelsang-Buchhandlungs- und Verlags Ges.m.b.H." hervor, als Betriebsgegenstand führte man eine Buchhandlung und einen Verlag an. Bei der ersten Anmeldung des Unternehmens bei der Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler im Jahr 1929 lautete der Name noch "Gsurr und Scherr", "Liga-Verlag" und "Liga-Buchhandlung", was in einem Schreiben des Verlegers Ernst Karl Winters vom 19. Mai 1930 an die Korporation berichtigt wurde. Die Buchhandlung sollte unter dem Namen "Österreichische Bücherei" zunächst fortgeführt werden, allerdings wurde die diesbezügliche Konzession nicht in Anspruch genommen. Der Verlag wiederum nannte sich zunächst "Gsur u. Co." und später "Gsur & Co".

Das Unternehmen bestand seit dem 29. Jänner 1930 als offene Handelsgesellschaft. Eine der beiden Gesellschafter war die Inhaberin einer Papierhandlung im 15. Bezirk, Gusti Gsur, nach der das Unternehmen benannt wurde. Als zweiter Gesellschafter fungierte der Schriftsteller und spätere Politiker Ernst Karl Winter. Die handelsgerichtliche Protokollierung des Verlags mit Sitz in 8., Piaristengasse 5, erfolgte am 14. März 1930. Kurz darauf schied Gsur einvernehmlich aus dem Unternehmen aus und überließ Ernst Karl Winter ab dem 13. April 1930 die alleinige Führung des Verlags.

Mit dem Tag seines Amtsantritts als 3. Wiener Vizebürgermeister am 6. April 1934 meldete Winter der Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler den Nichtbetrieb des Unternehmens. Die Gesamtauslieferung des Gsur-Verlags übergab er an den Reinhold-Verlag im 9. Bezirk. Im September 1934 wurde ihm außerdem die Genehmigung erteilt, die Konzession auf seine Privatwohnung in 18., Ladenburggasse 58, zu übertragen.

Wohl aus Sorge, dass ihm seine im "Nichtbetrieb" befindliche Konzession durch die Gewerbebehörde entzogen werden könnte, brachte Winter den Wiederbetrieb seines Unternehmens zum 1. April 1935 zur Anzeige. Im November des Jahres suchte er mit Erfolg um Verlegung der Konzession in das Haus der Vorwärts-Druckerei A.G an. Dort konnte er nicht nur Büroräume und Telefon kostenlos nutzen, sondern erhielt auch monatlich 2.000 Schillinge für seine Tätigkeit beim "Arbeiter-Sonntag". Dies diente ihm als finanzielle Basis für die Wiederaufnahme der Verlagsproduktion. Nachdem ihm von der Vorwärts-Druckerei A.G. die Räumlichkeiten gekündigt worden waren, suchte er am 1. Oktober 1936 um eine erneute Standortverlegung nach 1., Riemergasse 5 an.

Kurz darauf endete die Tätigkeit des Verlages. Ein Beiheft zur Zweimonatszeitschrift "Wiener Politische Blätter" – das Heft "Monarchie und Arbeiterschaft" war am 1. Oktober 1936 erschienen – wurde wenige Wochen später polizeilich beschlagnahmt. Mit der Begründung, dass die Zeitschrift sozialistische Ideen vertrete sowie eine Gefahr für die öffentliche Ruhe und Ordnung darstelle, entzog man Ernst Karl Winter am 31. Oktober 1936 die Bewilligung für die Herausgabe der "Wiener Politischen Blätter". Bereits am 24. Oktober 1936 hatte man ihn seines Vizebürgermeisterpostens enthoben.

Winters Konzession für den Verlagsbuchhandel blieb – trotz der erzwungenen Einstellung seiner Geschäftstätigkeit – zunächst aufrecht. Erst im Oktober 1937 legte er die Konzession unter der Bedingung zurück, dass sie an den Verein "Österreichische Katholische Liga" übergehen würde. Wenige Monate später, am 24. Mai 1938, setzte er sich nach Zürich und schließlich über Umwege in die USA ab. Im März 1939 wurde Ernst Karl Winter aufgefordert, die Löschung seines Unternehmens aus dem Handelsregister zu beantragen. Die endgültige Löschung der Firma "Gsur & Co" erfolgte amtswegig am 17. Oktober 1939.

Produktion

Ernst Karl Winters Antritt als Vizebürgermeister und die sich daraus ergebende Ruhendstellung des Unternehmens führte dazu, dass sich die Produktion des Gsur-Verlags in zwei Phasen teilte. In der Zeit von 1930 bis 1933 orientierte sich der Verleger weitgehend an einer katholisch-konservativen Linie, während er sich von 1935 bis 1936 vornehmlich gegen den Nationalsozialismus wendete.

Die erste nachweisbare Publikation des Gsur-Verlags war "Platon. Das Soziologische in der Ideenlehre" (1930) und stammte von Ernst Karl Winter selbst. Es folgten verschiedene Schriftenreihen. In der Reihe "Wiener soziologische Studien" wurden drei Hefte veröffentlicht, darunter 1933 Hans Eibls "Von Augustinus zu Kant". Seit 1930 erschien zudem die von Winter herausgegebene Reihe "Österreich, Religion und Kultur", die zunächst als zwanglose Folge selbstständiger Publikationen mit religiös-vaterländischer Ausrichtung geplant war. Zu erwähnen ist hier die von August Maria Knoll, Ernst Karl Winter und Hans Karl Zeßner-Spitzenberg herausgegebene Festschrift zum 300. Todestag von "Dominicus a Jesu Maria O. Carm. Disc" (1930). Mit "Antonius von Padua" (1931), "Marco D’Aviano O.M. Cap." (1933) und dem von Alfred Missong herausgegebenen Buch "Heiliges Wien. Ein Führer durch Wiens Kirchen und Kapellen" (1933) folgten drei weitere Titel.

Im Frühjahr 1932 erschienen zudem zwei Werke, die sich schon früh gegen den Nationalsozialismus stellten und damit die ab 1935 verfolgte Programmlinie des Gsur-Verlags vorwegnahmen. Die vom Franziskanerpater Zyrill Fischer verfassten Titel "Die Hakenkreuzler" und "Die Nazisozis" waren von katholischer Seite der erste Versuch in Österreich, dem Nationalsozialismus entgegenzutreten, und erregten dementsprechend Aufsehen. Allein im ersten halben Jahr nach ihrem Erscheinen wurden fast 15.000 Exemplare verkauft.

Die im November 1932 von Thomas Murner (Pseudonym von Alfred Missong) veröffentlichte Schrift "Der Nazispiegel" bezog erneut Stellung gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. Plagiatsvorwürfe wegen angeblicher Ähnlichkeiten zu Zyrill Fischers Buch "Die Hakenkreuzler" zogen einige Prozesse nach sich. Ein weiterer Titel von Thomas Murner – "Das Tagebuch der nationalen Revolution" – kam 1933 heraus.

Am 16. April 1933 erschien erstmals die von Ernst Karl Winter herausgegebene Zeitschrift "Wiener Politische Blätter". Bereits das erste Heft wurde in Deutschland verboten und das Münchner Postscheckkonto des Gsur-Verlags von der Bayerischen Politischen Polizei für Abhebungen gesperrt. Das letzte Heft der "Wiener Politischen Blätter", die im Laufe ihres Bestehens mehrmals konfisziert wurden, war das Juli-August-Heft vom 5. Juli 1936.

Nach Wiederaufnahme seiner Verlagstätigkeit im Jahr 1935 kündigte Winter eine Reihe von Neuerscheinungen an. Publiziert werden sollten literarische, politische und wissenschaftliche Titel aus drei verschiedenen Gebieten. Einerseits plante Ernst Karl Winter die Fortsetzung der sozialen Linie, die mit seinem Werk "Arbeiterschaft und Staat" (1934) oder den Zeitschriften der von ihm initiierten "Österreichischen Arbeiter-Aktion" angelegt worden war. Andererseits sollten die beiden auf Österreich und den Antinationalsozialismus gelegten Schwerpunkte fortgesetzt werden.

Bis Ende Oktober 1936 folgten insgesamt acht Titel, darunter Romane, Lyrik und Bühnenstücke, die sich alle gegen den Nationalsozialismus wendeten. 1935 erschienen die Romane "Müller. Chronik einer deutschen Sippe" von Walter Mehring und "Unsere Töchter, die Nazinen" von Hermynia Zur Mühlen, beide Bücher wurden von der Wiener Polizei beschlagnahmt. Weitere Titel kamen 1936 von Andreas Hemberger, Peter Drucker, Walter Berger, Albert Ganzert (Pseudonym von Avrum Halpert) und Ernst Karl Winter heraus. Von Theodor Kramer wurde außerdem der Gedichtband "Mit der Ziehharmonika" publiziert.


Literatur