Hella Pick
Hella Pick, * 24. April 1927 (abweichend: 1929) Wien, † 3. oder 4. April 2024, Journalistin, Autorin, Zeitzeugin.
Biografie
In ein bürgerliches, jüdisch-assimiliertes Umfeld geboren, wuchs Hella Pick nach der Scheidung ihrer Eltern bei der Mutter und deren Eltern Olga und Alfred Spitz in Döbling auf. Ihren Vater sah sie nach seiner Emigration in die USA 1938 nicht wieder. Im März 1939 gelangte Hella Pick mit einem sogenannten Kindertransport nach London und lebte dort zunächst bei Pflegeeltern. Ihre Mutter Johanna Marie Pick (1900–1971), genannt "Mizzi", konnte ihr wenige Monate später nachfolgen und gemeinsam ließen sie sich im Lake District nieder. Die Großmutter Olga Spitz, die bereits zuvor nach Prag gereist war, weil sie sich dort fälschlicherweise in Sicherheit wägte, überlebte den Holocaust nicht. Sie wurde 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert und von dort in das polnische "Transit-Ghetto" Izbica transferiert. Über die genaueren Umstände ihres Todes liegen keine Informationen vor. Alfred Spitz war bereits 1934 verstorben.
Im Exil arbeitete Hanna Pick, wie sich ihre Mutter nun nannte, als Köchin und später als Modistin. Dennoch lebte die Familie in Armut und wäre ohne die Unterstützung wohlgesonnener Bekannter sowie von Hilfsorganisationen wie dem Refugee Children's Movement nicht über die Runden gekommen. Hella Pick besuchte zunächst eine Schule im Lake District; ihr Studium der Politikwissenschaft an der London School of Economics (1944–1947) schloss sie mit einem BSc Econ. ab. Im Jahr darauf erhielt sie die britische Staatsbürgerschaft. Nach erfolglosen Bewerbungen bei der UNO und der OECD arbeitete sie schließlich als Marktforschungsassistentin bei der Colonial Development Corporation. 1953 wechselte Pick als Wirtschafts- und Handelsredakteurin zum Magazin "West Africa", bei dem sie bis 1959 blieb. Daneben war sie auch als freischaffende Journalistin tätig, unter anderem für die BBC.
Ab 1961 arbeitete Hella Pick als Korrespondentin der angesehenen britischen Tageszeitung "The Guardian" in New York und Washington, später kehrte sie nach Europa zurück. In ihrem bewegten beruflichen Leben lernte sie Prominente aus Politik, Diplomatie und Kunst kennen und war hautnah am politischen Weltgeschehen. Sie traf mit Persönlichkeiten wie John F. Kennedy, Michail Gorbatschow oder Lech Wałęsa zusammen oder berichtete über die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, die Kubakrise und den Zerfall Jugoslawiens, um nur einige Namen und Ereignisse zu nennen. Im deutschsprachigen Raum wurde Pick einem breiteren Publikum durch ihre Teilnahme an Fernsehsendungen wie "Presseclub" oder "Der Internationale Frühschoppen" bekannt.
Ende April 1996 nahm Pick als außenpolitische Redakteurin ihren Abschied von "The Guardian". Bereits ab 1993 hatte sie an einer Biografie über Simon Wiesenthal zu arbeiten begonnen, wodurch sie sich erstmals intensiver mit ihren jüdischen Wurzeln auseinandersetzte. Nach dem Ende ihrer Karriere als Journalistin schrieb sie Bücher und war rund 20 Jahre lang für das vom Verleger George Weidenfeld gegründete Institute for Strategic Dialogue tätig.
1949 suchte Hella Pick das erste Mal nach Kriegsende ihre Geburtsstadt Wien auf, um – auf Wunsch ihrer Mutter – zu sehen, ob vom Eigentum der Familie noch etwas vorhanden war. Später kehrte sie als Journalistin öfter zurück, insbesondere ab Mitte der 1970er Jahre, als sie für "The Guardian" zahlreiche Artikel mit Österreichbezug verfasste. Ende der 1960er Jahre erhielt sie die österreichische Staatsbürgerschaft zurück, die ihr Bruno Kreisky persönlich angetragen hatte. Für die Arbeit an der Wiesenthal-Biografie lebte sie in den 1990er Jahren erstmals wieder längere Phasen in Wien. Sie besuchte zudem regelmäßig die Salzburger Festspiele und das Ausseerland. Im November 2022 war sie Gast bei den Wiener Vorlesungen.
Ein Jahr nach dem englischen Original erschien 2022 die deutschsprachige Ausgabe ihrer Autobiografie "Unsichtbare Mauern. Die abenteuerliche Reise einer der größten politischen Journalistinnen zu den Gipfeln und Abgründen der Zeitgeschichte" (Czernin). Darin beschreibt die Kosmopolitin ihr bewegtes Leben und wie sie sich als Frau, Flüchtling und Jüdin in dem von Männern dominierten Bereich des außenpolitischen Journalismus behauptete.
Werke (Auswahl)
- Hella Pick: Unsichtbare Mauern. Die abenteuerliche Reise einer der größten politischen Journalistinnen zu den Gipfeln und Abgründen der Zeitgeschichte. Wien: Czernin 2022
- Hella Pick: Bertha von Suttner. Living for peace. An essay. Wien: Federal Ministry for Foreign Affairs 2005
- Hella Pick: Guilty Victim. Austria from the Holocaust to Haider. London u. a.: I.B.Tauris & Co Ltd. 2000
- Hella Pick: Und welche Rolle spielt Österreich? Vom besetzten Grenzland zum offenen EU-Staat. Die Alpenrepublik im internationalen Blickfeld. Wien: Kremayr & Scheriau 1999
- Hella Pick: Simon Wiesenthal. Eine Biographie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag 1997
Literatur
- Journalistin Hella Pick 94-jährig gestorben. In: orf.at, 04.04.2024
- Eric Frey: Journalistin Hella Pick: Flucht in die große Weltpolitik. In: Der Standard, 18.12.2022 [Stand: 11.05.2023]
- Hella Pick: Unsichtbare Mauern. Die abenteuerliche Reise einer der größten politischen Journalistinnen zu den Gipfeln und Abgründen der Zeitgeschichte. Wien: Czernin 2022
- "Haben Sie Österreich je verziehen?". Interview mit Hella Pick von Florian Gasser. In: Die Zeit online. 31.10.2022 [Stand: 21.05.2023]
- Kreisky-Forum: Tessa Szyszkowitz in conversation with Hella Pick, 10.06.2021 [Stand: 21.05.2023]
- Ilse Korotin (Hg.): biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 3. Wien: Böhlau 2016, S. 2532
- Wikipedia: Hella Pick [Stand: 02.11.2022]
- Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Personendatenbank, Abfrage: Olga Spitz (Geburtsort: Iglau) [Stand: 08.11.2022]
- GenTeam, Abfrage: Pick, Hella Henriette [Stand: 04.03.2024]
Hella Pick im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.