Simon Wiesenthal
Simon Wiesenthal, * 31. Dezember 1908 Buczacz (Galizien, Österreich-Ungarn; heute Ukraine), † 20. September 2005 Wien, Architekt, Publizist.
Biografie
Simon Wiesenthal wurde im österreichischen Galizien geboren. Als sein Vater im Ersten Weltkrieg fiel, floh die Familie nach Wien, kehrte aber bald wieder zurück. Nach der Matura 1928 studierte er Architektur an der Technischen Hochschule Prag (Diplom 1932) und war von 1933 bis 1941 in Polen als Bau-Architekt tätig.
Während des Zweiten Weltkriegs teilte Wiesenthal das Schicksal vieler anderer Juden: Er wurde verhaftet und in verschiedene Konzentrationslager deportiert; durch eine Reihe glücklicher Umstände, wie er selbst später angab, entging er der Vernichtung und wurde im Mai 1945 durch US-amerikanische Truppen aus dem KZ Mauthausen befreit. Von seiner Familie überlebte einzig seine Frau, die er in Polen wieder fand.
Suche nach Kriegsverbrechern
Nach der Befreiung arbeitete Wiesenthal beim Geheimdienst der USA auf der Suche nach Kriegsverbrechern in Österreich bzw. für die berufliche Fortbildung von KZ-Überlebenden. Zwei Jahre später baute er in Linz mit freiwilligen Helfern ein kleines Dokumentationszentrum auf, das sich die Zusammenführung auseinander gerissener jüdischer Familien zum Ziel setzte. Gleichzeitig begann er auf eigene Faust, nationalsozialistischen Verbrechern nachzugehen und die Täter aufzuspüren. Er wollte die Täter vor ordentliche Gerichte bringen und erwartete von den Prozessen, dass sie letzte Zweifel am industriellen Massenmord ausräumen mussten.
1954 schloss Wiesenthal dieses Dokumentationszentrum und widmete sich nur mehr der Vertriebenenhilfe, da sich die Entnazifizierung totgelaufen zu haben schien. Als die Öffentlichkeit 1961 durch die Gefangennahme Adolf Eichmanns und den daran anschließenden Prozess – nicht zuletzt ermöglicht durch die hartnäckige Suche Wiesenthals – erneut für den Holocaust sensibilisiert wurde, eröffnete er in Wien ein neues Dokumentationszentrum. Er selbst galt fortan als "der" Nazijäger schlechthin. Ziel des "Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes" – so hieß das Zentrum seit 1962 – war, den Aufenthalt von Kriegsverbrechern und Zeugen für deren Verbrechen zu finden. Trotz aller Gegenstimmen und vieler Anfeindungen, die im Juni 1982 in einem Bombenanschlag rechtsradikaler Kreise auf ihn ihren Höhepunkt fanden, gab es Wiesenthal nie auf, den Verbrechern des Dritten Reiches nachzuspüren und eine entsprechende Bestrafung zu verlangen. Seine Tätigkeit für die österreichische Justiz beendete er aber bereits 1975 nach einem spektakulären Freispruch von vermeintlichen Kriegsverbrechern.
Wiesenthal meldete sich auch zu Vorgängen in der österreichischen Innenpolitik zu Wort. So kritisierte er beispielsweise die Tatsache, dass im ersten Kabinett Bruno Kreiskys vier ehemalige NSDAP-Mitglieder saßen und geriet mit dem Bundeskanzler in Streit über die Rolle des damaligen FPÖ-Parteiobmanns und ehemaligen SS-Offiziers Friedrich Peter. Bundespräsident Kurt Waldheim hielt Wiesenthal zwar für einen "Lügner", wies aber Vorwürfe über dessen vermeintliche Kriegsverbrechen zurück.
Publizistische Tätigkeit
Als Journalist und Schriftsteller verfasste Wiesenthal mehrere Bücher, die über seine Tätigkeit und seine Erlebnisse berichten: "KZ Mauthausen" (1946), "Großmufti, Großagent der Achse" (1947), "Ich jagte Eichmann" (1961), "Verjährung?" (1964), "Doch die Mörder leben" (1967). 1972 erschien das Buch "Segel der Hoffnung. Die geheime Mission des Christoph Columbus", in dem Wiesenthal die Theorie der jüdischen Abstammung Columbus' vertritt und dessen Suche nach einem unbekannten Land mit der Ausweisung der spanischen Juden in Zusammenhang bringt. 1986 veröffentlichte er "Krystyna", eine in Romanform erzählte Geschichte des polnischen Widerstandes, unterbrochen von dokumentierenden historischen Berichten. Der Roman "Flucht vor dem Schicksal" (1988) verbindet die Lebensgeschichte eines Wiener Juden in der NS-Zeit mit der Geschichte seiner Familie in Spanien zur Zeit der Inquisition. Wiesenthals Erinnerungen "Recht, nicht Rache" erschienen im Jahr 1988 (englisch 1989); im gleichen Jahr publizierte er die Chronik jüdischen Lebens "Jeder Tag ein Gedenktag". 1992 erschien ein Band mit Gesprächen zwischen Maria Sporrer, Herbert Steiner und Simon Wiesenthal, in dem er detailliert seine Lebensgeschichte und seine Gedankenwelt darstellt.
In seinen letzten Lebensjahren setzte sich großer Vehemenz für die Errichtung eines Mahnmals für die Opfer des Holocaust am Judenplatz (Schoa-Mahnmal) im ersten Wiener Gemeindebezirk ein. Nach kontroversieller öffentlicher Diskussion wurde dieses im September 2000 im Beisein von Simon Wiesenthal der Öffentlichkeit übergeben.
Tod und Würdigungen
2005 starb Simon Wiesenthal hochbetagt in Wien. Auf eigenem Wunsch wurden seine sterblichen Überreste in Herzliya (Israel) begraben. Unter den zahllose Ehrungen und Würdigungen, die er erfuhr, sind mehrere Ehrendoktorate, die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien (1995) und die höchste Auszeichnung der USA, die "Presidental Medal of Freedom" (2000) hervorzuheben.
Im Oktober 2006 wurde die Simon-Wiesenthal-Gasse in der Leopoldstadt nach ihm benannt, in der der neue IKG-Campus mit dem Zwi-Peres-Chajes-Schulzentrum, dem Sport- und Freizeitzentrum Hakoah sowie dem Maimonides-Zentrum entstand. Das Wiener Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien (VWI - Vienna Wiesenthal Institute) beschäftigt sich mit der Forschung, Dokumentation und Vermittlung von allen Fragen, die Antisemitismus, Rassismus und Holocaust, einschließlich dessen Vorgeschichte und Folgen, betreffen. Das Institut ist seit 2017 an der Adresse Rabensteig 3 untergebracht. Im Juli 2020 wurde der Simon-Wiesenthal-Preis ins Leben gerufen.
Literatur
- Simon Wiesenthal-Archiv: Biographie [Stand: 21.06.2016]
- HaGalil: Die Wiesenthal-Chronologie [Stand: 21.06.2016]
- Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien: Lebenslauf Simon Wiesenthal [Stand: 21.04.2016]
- Alan Levy: Die Akte Wiesenthal. Wien: Ueberreuter 1995
- Jüdisches Museum Wien [Hg.]: Wiesenthal in Wien. Wien: Metroverlag 2015
- Hella Pick: Simon Wiesenthal. Eine Biographie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1997
- Tom Segev: Simon Wiesenthal. Die Biographie. Aus dem Hebräischen übersetzt von Markus Lemke. München: W. J. Siedler Verlag 2010
- Wienbibliothek im Rathaus/Tagblattarchiv: Wiesenthal, Simon. 4 Bände [Sign.: TP-056291]
- Rathauskorrespondenz, 11.12.2006
- Rathauskorrespondenz, 18.09.2008
- ORF Science: "Die Zukunft des Erinnerns" [Stand: 01.03.2017]
- Österreichisches Parlament: Mit Simon-Wiesenthal-Preis soll zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus ausgezeichnet werden, Parlamentskorrespondenz Nr. 775 vom 08.07.2020