Erster Weltkrieg
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Das Attentat von Sarajevo (1914)
Die durch das Attentat von Sarajevo ausgelöste Kette von Entscheidungen der politischen Elite in Europa löste jene "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" aus, als die der Erste Weltkrieg später bezeichnet wurde. Sie kostete rund zehn Millionen Soldaten das Leben. Im Wiener Stadt- und Landesarchiv werden zwei bedeutende Telegramme rund um dieses Ereignis aufbewahrt.
Die Anreise
Um beim Abschluss der Manöver des XV. und des XVI. Korps in Bosnien teilzunehmen, war der Thronfolger der Donaumonarchie, Erzherzog Franz Ferdinand, am 23. Juni 1914 von Wien nach Triest aufgebrochen, um von dort nach Bosnien weiterzureisen. Aus dem Badeort Ilidža bei Sarajevo richtete er an seine Frau, die Herzogin von Hohenberg, am 25. Juni ein Telegramm:
"Glücklich Mostar angekommen. Fahrt durch die Narenta war sehr schön und interessant. Empfänge der Landbevölkerung rührend und sehr patriotisch. In Metkovich ausgeschifft und in Bahn nach Mostar. Interessante Strecke. Freue mich so Wiedersehen. Alles Liebe Franzi."
Tödliche Schüsse
Von Ilidža fuhren der Thronfolger und seine Gattin am Sonntag, dem 28. Juni 1914, mit der Bahn nach Sarajevo und vom Bahnhof mit dem Auto ins Stadtzentrum. Schon auf dieser Fahrt entgingen sie nur knapp einem Attentat. Im Rathaus von Sarajevo angekommen, machte Franz Ferdinand seinem Ärger Luft, doch gelang es dem ehrgeizigen Armeeinspektor und Landeschef von Bosnien, Oskar Potiorek, den Thronfolger zu beruhigen. Auf dem Rückweg fielen jedoch in Sarajevo jene tragischen Schüsse, die sich letztlich als tödliches Fanal nicht nur der Donaumonarchie, sondern des "Alten Europa" erweisen sollten.
Der erzherzogliche Obersthofmeister, Oberst Rumerskirch, kritzelte um 1:12 Uhr Mittag ein paar hastige Zeilen als Telegrammkonzept an den Außenminister Graf Berchtold:
"Tief erschüttert und ganz gebrochen melde ich, dass bei der Rundfahrt durch Sarajevo ein mörderisches Attentat auf die Hoheiten verübt wurde welchen sie erlagen ohne das Bewusstsein wider erlangt zu haben. Ärztliche Hilfe die sofort zur Stelle war leider vergeblich, Rumerskirch, Obersthofmeister".
Die in Wien erscheinende deutschliberale "Österreichische Volkszeitung" titelte in ihrer Montagausgabe: "Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und Herzogin von Hohenberg erschossen. Der Mörder ein serbischer Gymnasiast." Das war nur bedingt richtig, denn der Attentäter, der serbische Nationalist Gavrilo Princip, stammte aus Bosnien-Herzegowina, hatte allerdings vor dem Attentat längere Zeit in Serbien verbracht.
Der Erste Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg war keineswegs eine zwangsläufige Folge des Attentats von Sarajevo, sondern wurde von den Großmächten (eingeschränkt von Großbritannien), bewusst in Kauf genommen. Er begann am 28. Juli 1914 mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien durch Kaiser Franz Joseph I., obwohl der Monarch annehmen musste, dass Russland mit großer Wahrscheinlichkeit das Vorgehen gegen Serbien nicht tatenlos hinnehmen würde. Wesentliche Kriegsbeteiligte waren Deutschland, Österreich-Ungarn, das Osmanische Reich und Bulgarien einerseits sowie Frankreich, Großbritannien und das Britische Weltreich, Russland, Serbien, Belgien, Italien, Rumänien, Japan und die USA andererseits. 40 Staaten beteiligten sich am bis dahin umfassendsten Krieg der Geschichte, insgesamt standen annähernd 70 Millionen Menschen unter Waffen.[1]
Der Erste Weltkrieg wurde von 1914 bis 1918 in Europa, dem Nahen Osten, in Afrika, Ostasien und auf den Weltmeeren geführt und forderte rund 17 Millionen Menschenleben. Er endete für Altösterreich am 3. November 1918 mit dem Waffenstillstand von Villa Giusti in Norditalien; generell endete er mit dem Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918, der einen Sieg der aus der Triple-Entente hervorgegangenen Kriegskoalition bedeutete.
Wien im Ersten Weltkrieg
Die viereinhalb Jahre Krieg zwischen 1914 und 1918 verwandelten Wien. Der triste Hungeralltag seiner Einwohner machte die einst glanzvolle Metropole eines Großreiches, in der der Kaiser eines Imperiums von 53 Millionen Einwohnern residierte, zur "sterbenden Stadt". Der Zermürbungs- und Erschöpfungskrieg und die Mobilisierung aller Kräfte und Ressourcen für die Front setzten der Stadt Stück für Stück zu. Galoppierende Inflation, Unterernährung, die Abschneidung von Importen, die Priorisierung der Waffenindustrie und das dem Krieg untergeordnete Transportwesen schnürten das normale Leben immer mehr ein. Gegenüber der Mortalitätsrate vor dem Krieg war die Sterblichkeit in den Jahren um über 70.000 Tote gestiegen. Wien befand sich am Ende des Krieges in einer Art Ausnahmezustand. Streiks und Revolutionsbereitschaft resultierten aus der Verzweiflung über die Versorgungssituation. Nach dem Zerfall der Monarchie blieb das hungrige Wien zwar Hauptstadt, aber eines neuen Staates und unter gänzlich anderen Umständen. Bürgermeister und Gemeindeverwaltung versuchten 1914 die Bevölkerung auf Patriotismus und Mobilisierung einzuschwören, mussten kurze Zeit später aber Tod, Not, urbanen Niedergang und politische Polarisierung moderieren. Immerhin erreichten sie trotz revolutionärer Umbrüche Kontinuität in Politik und Verwaltung.
Die Anfänge
Richard Weiskirchner galt als ausgewiesener Kenner der österreichischen Politik und Verwaltung, als er im Jänner 1913 zum Wiener Bürgermeister gewählt wurde. Weiskirchner kam aus Karl Luegers kommunalpolitischer Schule, versuchte sich in der Rolle des Kriegsbürgermeisters als pragmatisch agierender Christlichsozialer mit stark deutschnationalem Einschlag zu profilieren. Das Amt des Bürgermeisters der Reichshaupt- und Residenzstadt behielt er bis zum Mai 1919. Mit der Etablierung der erstmals am 28. Juli 1914 zusammentretenden sogenannten "Obmännerkonferenz", in die er alle Parteien, auch die sozialdemokratische Opposition, einbezog, gelang Weiskirchner ein politischer Coup, der - trotz aller Konflikte in den Jahren 1916 bis 1918 - die ganze Kriegszeit (und über die Republikgründung hinaus) wirkte.
Es gehört zu den Paradoxien des Krieges, dass Wien in seiner gesamten Geschichte just zu einem Zeitpunkt einen Einwohnerhöchststand erreichte, als sich hunderttausend Wiener weit weg von ihrer Heimatstadt an der Front befanden. Wien wurde Kasernenstadt für Soldaten aus der ganzen Monarchie, in Wien war die zentrale Verwaltung aller Kriegsanstrengungen massiert. Wien verwandelte sich zur Lazarettstadt; allein bis März 1915 kamen mehr als 260.000 Verletzte in Wien an. Hierher strebten die meisten Flüchtlinge, weil ihnen die Hauptstadt mehr Überlebenschancen bot. Nachdem im Spätherbst 1914 250.000 Vertriebene in Wien gelandet waren, stoppte die Regierung den Zuzug. Wien wurde zum Zentrum der Kriegswirtschaft und zog Arbeitskräfte aus der ganzen Monarchie an. All die genannten Personenströme ließen die Bevölkerungszahl auf über 2,4 Millionen klettern. Die galoppierende Teuerung, die auch die Mieten betraf, löste eine Debatte über den Mietzins aus. Keineswegs nur von sozialdemokratischer Seite wurden ein Einfrieren des Mietzinses und eine Festsetzung des Mietzinses durch die Behörde verlangt, um der zunehmenden Verarmung zu begegnen.
Das Kriegsgeschehen und die staatliche Versorgung
Die Planung, Ausgabe und Kontrolle der Brot-, Kartoffel- und diversen anderen Karten war eine der vielen neuen Aufgaben, die der Stadtverwaltung während des Krieges zuwuchs. Im März 1915 musste der niederösterreichische Statthalter zu größerer Sparsamkeit beim Verbrauch von Brot aufrufen. Im April wurden die ersten Lebensmittelkarten für Brot und Mehl ausgegeben.
Um die brennenden Probleme anzugehen und die akuten Anforderungen einigermaßen zu bewältigen, wurde eine Fülle neuer Behörden geschaffen: das Städtische Jugendamt, das Invalidenamt, das Wohnungsamt, das Städtische Gesundheitsamt, das Arbeiterfürsorgeamt, die Milchversorgungsstelle, die Abteilung für Ausspeiseaktionen, das Kriegsküchenkommissariat, das Hilfsbüro der Privatangelegenheiten der Einberufenen, die Zentralstelle der Fürsorge für Kriegsflüchtlinge, die Städtische Zentrale für Tuberkulosefürsorge und andere. Am 1. Dezember 1916 wurde ein Volksernährungsamt geschaffen.
Auch beim staatlichen Unterhaltsbeitrag war die Gemeinde im Rahmen des übertragenen Wirkungsbereiches gefordert. Waren es im Oktober etwa 60.000 Personen, so weitete sich nach und nach der Bezieherkreis um Internierte, Flüchtlinge und Invalide aus. Gegen Kriegsende waren 650.000 Personen registriert, die ihre Sozialhilfen abholten. 1918 wurden an 200.000 registrierte Familien mit 700.000 sogenannten "Mindestbemittelten" verbilligte Einkaufsscheine ausgegeben, in den sogenannten Kriegsküchen wurden im zweiten Halbjahr 1918 mehr als 45 Millionen Portionen gekocht, um den Bedürftigen zumindest einmal am Tag Nahrung zu geben. Neben der staatlichen und der kommunalen Fürsorge gab es noch unzählige selbständig agierende private Initiativen. Das neue Amtshaus in der Felderstraße vis-à-vis dem Rathaus war schon gefüllt, ehe auf den Gängen eine Glühbirne brannte.
Bereits zu Kriegsbeginn zeigten sich die Schwächen des Versorgungssystems, zeichneten sich Engpässe bei Mehl und Fleisch, Kartoffeln und Futtermehl, aber auch bei der Kohlenzufuhr ab. Einerseits wurde die Zulieferung der Güter reduziert. Vor allem Ungarn, woher vor dem Krieg mehr als fünfzig Prozent der Lebensmittel gekommen waren, nahm den Export auf ein Sechstel des Vorkriegsniveaus zurück. Als sich Anfang August 1914 mit Kriegsbeginn Gemüse und Kartoffeln verteuerten, verwüsteten Frauen auf dem Yppenplatz Marktstände. Ein Jahr später eskalierte die Situation vielerorts vor Geschäften und auf den Märkten. Täglich stellten sich Hunderttausende (in den Berichten der Polizei 300.000 bis 500.000) unter entsetzlichen Bedingungen an, um ihre Ration Brot zu bekommen, ein Stückchen Fleisch oder ein paar Eier zu erobern. Wer dies nicht tat, lief Gefahr, überhaupt nichts zu bekommen. Die Behörden versuchten das Anstellen zu verbieten, Bürgermeister und Gemeindepolitiker traten dagegen auf – allein es half nichts. Das Anstellen wurde zum Zeichen dieses Krieges. Im Spätherbst 1916 kam eine neue, eine politische Dimension ins Spiel. Jetzt griffen die Belegschaften einzelner Firmen ein, um die Belieferung mit Lebensmitteln zu erzwingen. Sie streikten, zogen mit Forderungen nach Brot und ausreichender Ernährung Richtung Innenstadt. Burschen zogen mit den Polizisten ein Katz- und Mausspiel auf. Schuhgeschäfte wurden gestürmt, Bäckerautos überfallen, Fleischergeschäfte ausgeraubt. Jahr für Jahr wurden die zugeteilten Rationen kleiner und der Hunger größer. Meldungen von der Februarrevolution in Russland wirkten elektrisierend; die Parole "Brot und Frieden" verfing auch in Wien. Erst recht versetzten die Massenstreiks des Jänner 1918 Kaiser und Regierung in Panik, weckten die Versuchung nach Verhängung des Ausnahmezustandes. Die Front wuchs nun endgültig ins Hinterland hinein. Stadt und Regierung versuchten, der Not und Revolutionsdrohung mit der Ankurbelung von Sozialpolitik (Mieterschutz, Kriegsküchen, Kriegsgärten) und der Organisation der Versorgung (Karten für Brot, Kohle, Petroleum, Kartoffeln etc.) entgegenzutreten. 1918 betrug die landwirtschaftliche Produktion in der österreichischen Reichshälfte nur noch 50 Prozent der Menge von 1913. Festgesetzte Höchstpreise und Bekanntgabe von Ersatzlebensmitteln konnten die Versorgungslage ebenso nicht verbessern. Im März 1918 musste die wöchentliche Fettquote auf 40 Gramm reduziert werden. Die Rationierung von Lebensmitteln, auch "Lebensmittelbewirtschaftung" genannt, konnte erst im November 1922 zur Gänze beendet werden.
Siehe auch
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv-Akten Persönlichkeiten, A1: F4: Dokumente zum Attentat von Sarajevo
- Zeitungsausschnittsammlung zum Ersten Weltkrieg [Stand: 24.08.2016]
Literatur
- Andreas Weigl: Mangel - Hunger - Tod. Die Wiener Bevölkerung und die Folgen des Ersten Weltkrieges. Wien 2014 (Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs. Reihe B: Ausstellungskataloge, 90)
- Marcel Atze / Kyra Waldner [Hg.]: "Es ist Frühling, und ich lebe noch". Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs in Infinitiven. Von Aufzeichnen bis Zensieren. St. Pölten: Residenz 2014
- Alfred Pfoser / Andreas Weigl [Hg.]: Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg. Wien: Metro 2013
- Christian Mertens: Richard Weiskirchner (1861-1926). Der unbekannte Wiener Bürgermeister. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 2006
- Maureen Healy: Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I. Cambridge: Cambridge University Press 2004 (Studies in the social and cultural history of modern warfare, 17)
- Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1740-1934. Entwicklung und Bestimmungskräfte grossstädtischer Politik. Teil 2: 1896-1934. Wien: Jugend & Volk 1985
- Felix Czeike: Wien und seine Bürgermeister. Sieben Jahrhunderte Wiener Stadtgeschichte. Wien: Jugend & Volk 1974
- Felix Czeike: Liberale, christlichsoziale und sozialdemokratische Kommunalpolitik (1861-1934). Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1962
- Hans Loewenfeld-Russ: Die Regelung der Volksernährung im Kriege. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky 1926 (Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges)
- Die Gemeinde-Verwaltung der Stadt Wien vom 1. Jänner 1914 bis 30. Juni 1919 unter den Bürgermeistern Dr. Richard Weiskirchner und Jakob Reumann. Hg. vom Wiener Magistrat. Wien 1923
- Ein Jahr Kriegsfürsorge der Gemeinde Wien. Hg. von der Stadt Wien. Wien 1915
- Wiener Kommunal-Kalender und Städtisches Jahrbuch für 1915-1919. Wien 1915-1919
Einzelnachweise
- ↑ Wikipedia: Erster Weltkrieg [Stand: 24.08.2016]