Karl Adler
Karl Adler, * 8. Juni 1885 Wien, † 7. Dezember 1942 Neuilly-sur-Marne (Frankreich), Journalist.
Biografie
Karl Adler wurde als jüngstes Kind von Emma Adler und ihrem Mann, dem sozialdemokratischen Politiker Viktor Adler geboren; sein älterer Bruder war Friedrich Adler, seine Schwester Marie Adler.
Zusammen mit Berthold Viertel besuchte Karl Adler das Realgymnasium in der Marchettigasse. Die beiden wurden um 1900 die besten Freunde und teilten eine Begeisterung für die literarische Moderne Europas wie auch für Peter Altenberg und Karl Kraus. Anders als Friedrich Adler ordnete sich Karl Adler nicht in die Welt der Sozialdemokratie ein, sondern übernahm in seiner Familie die Rolle eines ganz andersartigen Rebellen. Mit Viertel zusammen besuchte er Nachtcafés, verlor große Summen beim Pferderennen und fiel im Frühsommer 1903 bei der Matura durch. In derselben Nacht liefen Adler und Viertel zusammen davon und schlugen sich nach Paris durch, wo sie aber keine Arbeit fanden und knapp drei Wochen später "kapitulierten" – Karl Adler telegrafierte seinem Vater, der Geld für die Rückreise schickte und den beiden jungen Männern die Vorbereitung auf eine Externistenmatura in dem erst ein Jahr zuvor gegründeten Zürcher Reformgymnasium des aufklärerischen Pädagogen Rudolf Laemmel ermöglichte. Während Viertel im Dezember 1903 die kommissionelle Maturaprüfung in Wien bestand, fiel Karl Adler erneut durch und erlangte schließlich in Bern einen Gymnasialabschluss.
Adler galt als begabte, jedoch äußerst schwierige Persönlichkeit. Seine "Gemütsbeschaffenheit" wurde spätestens um 1918 "notorisch". Schon um die Zeit als Berthold Viertel ihn kennen lernte, litt Karl an Nervendepressionen und wurde von "Nervenärzten" wie Dr. Bernhard Schwarzwald und Dr. Alfred Adler behandelt und fuhr mit seinem Vater in die Schweiz, um sich auszukurieren. Er schloss zeitlebens kein Studium ab, hielt sich jeweils nur wenige Wochen in von seinem Vater vermittelten Stellen als Redakteur des Berliner Ullstein-Verlages und der "Arbeiter-Zeitung". Eine probeweise Anstellung in der "Arbeiterzeitung" wurde beispielsweise bald wieder aufgegeben, nachdem Adler, der als Letzter in der Redaktion tätig war, vergessen hatte, die Schlüssel abzugeben und auf diese Weise die Zeitung nur verzögert erscheinen konnte. Gegenüber dem deutschen Sozialdemokraten Philipp Scheidemann soll Viktor Adler geäußert haben: "Ich habe zwei Söhne, Scheidemann, davon ist der eine, Fritz, die Karikatur meiner Tugenden, der Karl ist die Karikatur meiner Laster."[1] Nach Lucian Meysels handelte es sich bei Karl Adler um das "schwarze Schaf" der Familie, der nur von seiner Mutter Emma Adler verteidigt wurde[2]. Adler war verheiratet; die Ehe mit Camilla (Mila) Adler, der eine Tochter entstammte (Hella, geb. 1919), wurde jedoch bald wieder geschieden.
Sein Leben bestritt Karl Adler als eine Art mittelloser Bohemien und scheiterte auch in seinen eigenen Projekten. So versuchte er 1914, 1920 und 1925 jeweils eine eigene Zeitung in der Art der Fackel zu gründen, die nie über eine erste Nummer hinauskam. Zu diesen gehörte die gemeinsam mit Albert Paris Gütersloh herausgegebene "antipolitische Zeitschrift" mit dem Titel "Der Querulant", die nur kurzzeitig und in geringer Auflage erschien. Zunächst war Karl Adler (wie oben erwähnt) ein großer Bewunderer von Karl Kraus, ehe er diesen im Winter 1910 in der "Schaubühne" offen angriff.
Einen öffentlichen Disput lieferte er sich auch mit den führenden Männern der österreichischen Sozialdemokratischen Partei, die er als durchgängig korrupt erachtete und bei jeder Gelegenheit zu diffamieren trachtete. Unter anderem plante er eine eigene "Victor-Adler-Partei". Nachdem ihm in sozialdemokratischen Organen kein Raum für diese Angriffe gegeben wurde, wandte sich Adler in Form von Leserbriefen an Zeitungen wie die konservative "Reichspost", die diese auch abdruckten. Milan Dubrovic folgend, hat sich Karl Adler bereits früh von der sozialistischen Idee gelöst und dem Gedankengut der katholischen Soziallehre angenähert[3].
Bis zu Victor Adlers Tod 1918 wurde Karl vorwiegend von seinem Vater erhalten. Sein Bruder Fritz und andere Verwandte übernahmen danach die Finanzierung von Karls Projekten, die immer nach demselben Schema abliefen und oft in Obdachlosigkeit und Verwahrlosung endeten. Bereits seit 1924 – und verstärkt nach 1932, als Karl Adler sich in der christlichsozialen Reichspost gegen die sozialdemokratische Führung gewandt hatte – versuchte Fritz Adler seinen Bruder zu entmündigen. Dazu kam es nicht mehr: Karl Adler musste 1939 vor den NationalsozialistInnen nach Frankreich fliehen und starb im Dezember 1942 in Neuilly sur Marne, wo er die letzten dreieinhalb Jahre in einer psychiatrischen Klinik, dem Hôpital de Ville-Évrard, verbracht hatte. Die näheren Umstände seines Todes blieben unbekannt.
In der von Friedrich Adler und seiner Ehefrau Kathia in New York im Jahr 1945 veröffentlichten Todesanzeige ist zu lesen: "Er [Karl Adler] mußte die letzten vierzig Monate seines Lebens im Hospital verbringen. So traurig dieses Schicksal war, so hat es ihn, wie wir aus den kurzen Nachrichten, die wir bisher erhalten konnten, schließen dürfen, vor noch Schlimmerem, vor den Gefahren, die nach der Besetzung Frankreichs drohten, bewahrt."[4] Vereinzelt in der Literatur anzutreffende Bemerkungen, Karl Adler wäre mutmaßlich von der Gestapo liquidiert worden[5], konnten nicht verifiziert und müssen gegenwärtig als haltlos angesehen werden. Camilla Adler gelang 1938 mit ihrer Tochter die Flucht nach England, wo beide auch nach 1945 lebten.
Literatur
- Katharina Prager: Berthold Viertel. Eine Biographie der Wiener Moderne. Wien [u.a.]: Böhlau 2018
- Martina Bilke: Zeitgenossen der Fackel. Wien: Löcker-Verlag 1981
- Milan Dubrovic: Joseph Roth und der "Querulant". Mit Victor Adlers anderem Sohn im Wiener Literatencafé. In: Die Presse spectrum, 3./4.3.1984
- Lucian O. Meysels: Victor Adler. Die Biographie. Wien: Amalthea 1997
- Franz Schuh / Juliane Vogel [Hg.]: Die Belagerung der Urteilsmauer. Karl Kraus im Zerrspiegel seiner Feinde. Wien: Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei 1986
Einzelnachweise
- ↑ Philipp Scheidemann: Der Zusammenbruch des Kaiserreiches. Berlin: Verlag für Sozialwissenschaft 1921, S. 123
- ↑ Lucian O. Meysels: Victor Adler. Die Biographie. Wien: Amalthea 1997, S. 269
- ↑ Milan Dubrovic: Joseph Roth und der „Querulant“. Mit Victor Adlers anderem Sohn im Wiener Literatencafé. In: Die Presse spectrum, 3./4.3.1984
- ↑ Zit. nach Milan Dubrovic: Joseph Roth und der „Querulant“. Mit Victor Adlers anderem Sohn im Wiener Literatencafé. In: Die Presse spectrum, 3./4.3.1984
- ↑ So etwa Lucian O. Meysels: Victor Adler. Die Biographie. Wien: Amalthea 1997, S. 272