Mariahilfer Zentralpalast - Stafa Kino
48° 11' 47.72" N, 16° 20' 30.97" E zur Karte im Wien Kulturgut
Der Mariahilfer Zentralpalast (7., Mariahilferstraße 120) wurde 1920 gegründet und hatte einen runden Saal mit Souterrain für 600 Personen. 1922 wurde das Kino umgebaut. 1930 wurde das Kino in Stafa Kino umbenannt und der Tonfilm eingeführt. 1934 hatte das Kino einen Fassungsraum für 648 Personen. Es wurde im Juni 1956 geschlossen.
Gründung und frühe Jahre
Der Mariahilfer Zentralpalast wurde vom Architekten Jakob Wohlschläger (* 1869 Stockerau, † 1934 Wien), dem Gründer der der Firma „Wiener Warenmuster- und Kollektivkaufhaus Jakob Wohlschläger“ gegründet. Für die Konstruktion in Eisenbeton zeichnete der Bauingenieur Johann Walland verantwortlich.
Bereits 1918/1919 gab es erste Entwürfe zur Gründung eines Kinos an diesem Standort; am 1. Dezember 1919 wurde ein Exposé bezüglich der elektrischen Beleuchtung des Neubauer Kinoneubaus vorgelegt; im Jänner 1920 wurde der neue Betrieb für „kinematographische Schaustellungen“ genehmigt; am 23. Juli 1920 wurde der Eigentümer des neuen Kinobetriebs unter dem Namen „Zentralpalast Kino G.m.b.H.“ in das Wiener Handelsregister eingetragen.
Die Lizenz zur „gewerbemäßigen Ausübung“ der Kinokonzession lag zum Zeitpunkt der Kinogründung bei der „Staatsangestellten Fürsorgeanstalt ,Stafa‘“. Als Veranstaltungsort wurde das Tiefparterre (Souterrain) des Gebäudes mit 600 Sitzplätzen festgelegt.
Eigentumsverhältnisse bis 1934
Mehrheitseigentümer der „Zentralpalast Kino G.m.b.H.“ war zum Zeitpunkt der Gründung die „Sascha-Film“, die vermutlich bald darauf wieder aus dem Konsortium austrat. Zu den weiteren Firmenbeteiligten und Geschäftsführern der kommenden Jahre zählten Alfred Hanu (1921−1926/28) und Max Poschka (1920/1921), Theodor Bettelheim (1922/1923), Seszö Deksch (1921−1926), Viktor Schidl (1921−1931), Heinrich Schnek (1931), Emanuel Rosenstein (1931), Lothar Staub (1931) sowie Philipp Hamber (1931–1934; der von 1928 bis 1932 zudem als Präsident der Kiba fungierte).
Von 1924 bis 1928 leitete Hugo Wilhartitz den Betrieb als Geschäftsführer, ihm folgten Theodor Bettelheim und Johann Gottfried Lerner.
1927 erhielt zum ersten Mal der „Verband der Blindenvereine Österreich“ die Kinokonzession. 1934 wurde Adolf Wachsmann als Leiter (Geschäftsführer) des Kinos eingesetzt. 1937 ging das Kino in den Besitz von Benjamin Nemon und Joachim Hilsenrad über, wobei Nemon auch die Geschäftsführung übernahm. Zu diesem Zeitpunkt zeigte das Kino neben dem allgemeinen Programm auch Filme der „zionistischen Sektion“, zu der Nemon und Hilsebrand aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wohl näheren Kontakt pflegten.
Bereits aus dem zweiten Bestandsjahr des Kinos liegen Pläne für einen neuerlichen Umbau beziehungsweise eine Erweiterung des Fassungsraums vor, der auch in den kommenden Jahren mehrfach adaptiert wurde. Von 1926 an fasste der Kinosaal 638 Personen.
1928 wurde der Betrieb in „Stafa Kino“ umbenannt, da das Kino laut damaliger Einreichung zur Namensänderung vom Publikum zumeist kurz als „Stafa“ bezeichnet wurde und die doppelte Bezeichnung daher in den Augen der Lizenzinhaber vermehrt für Verwirrung zu sorgen begann. 1930 erhielt der Betrieb eine Tonfilmanalage der Firma „Klangfilm“.
NS-Zeit: „Arisierung“ des Betriebs
1939 wurde Heinrich Haas, Mitglied der Reichsfilmkammer, nach der Prüfung seiner „arischen Abstammung“ eine Spielbewilligung für das Stafa Kino ausgestellt; kurz darauf übernahm Haas auch die Geschäftsführung, nachdem der bisherige Geschäftsführer Otto Milowiz eingerückt war. Dabei wies die Reichsfilmkammer darauf hin, dass diese Ausstellung jederzeit und ohne Angabe von Gründe widerrufen werden könnte. 1940 lag die Geschäftsführer bei Ing. Alois Kolacny, im selben Jahr wurde das Kino in „Stafa - Lichtspiele Heinrich Haas“ umbenannt.
Aufgrund einsetzender Lieferprobleme deutscher Filme, von denen auch das Stafa Kino betroffen war, wurden hier in den ersten Kriegsjahren noch amerikanische Filme gezeigt, was zu einer Reihe von Ausschreitung beziehungsweise zum Ausbleiben des Publikums führte, sodass es zu massiven finanziellen Problemen kam. Um die Programmierung mit „inländischen Filmen“ zu gewährleisten, wurde von der Reichsfilmkammer eine Zusammenarbeit mehrerer „Filmtheater“ angewiesen: Die Stafa Lichtspiele sollten von nun an ihre Filme mit den Haydn Lichtspielen, den Flotten Lichtspielen und dem „Ostmark Filmtheater“ (Maria Theresien Kino) teilen, wobei die Stafa Lichtspiele in der Reihung an letzter Stelle standen.
Ab 1942 kam es zu einem regen Schriftverkehr zwischen der Wiener Außenstelle und der Reichsfilmkammer Berlin, in dem diskutiert wurde, ob Haas das Kino weiterbetreiben sollte, da er zugleich Inhaber der Filmproduktionsfirma Styria Film GmbH war. Im März 1943 wurde schließlich festgestellt, dass die beiden Aufgaben nicht miteinander kollidierten, sodass Haas den Kinobetrieb weiterhin behalten konnte. Gegen Kriegsende erkrankte Haas schwer, sodass er die Leitung des Tagesbetriebs an seine Mitarbeiter übertrug; der Filmvorführer des Kinos musste noch in den letzten Kriegsmonaten in den Kriegsdienst einrücken, sodass dessen bisher bei den Haydn Lichtspielen beschäftigter Kollege Jagschich zum „Kriegsnotdienst“ in den Stafa Lichtspielen verpflichtet wurde.
Nachkriegszeit
Im September 1945 übernahm Dr. Alfred Migsch die kommissarische Leitung des ohne längere Unterbrechungen wiederaufgenommenen „arisierten“ Betriebs.
1947 wurde die Kinokonzession innerhalb von fünf Monaten an drei unterschiedliche Personen verliehen. Im Mai des Jahres an Max Lustig, im August an Josefine Peterik und im Oktober schließlich an Friedrich Becherer.
1948 legte die US Property Control Rudolf Neumann als öffentlichen Verwalter des Kinos fest. Zudem erfolgte die Umbenennung des Kinos zurück auf Stafa Kino.
Aus den Abschriften eines Protokolls im Zuge des einsetzenden Restitutionsverfahrens geht hervor, dass Heinrich Haas, der laut Eigenangabe nur als „Treuhänder“ der einstigen jüdischen Eigentümer Hilsenrad und Nemon agiert hatte, die Eigentümerschaft des Stafa Kinos an die vorherigen Besitzer rückübertragen hatte. Haas standen laut Vertrag jedoch noch Ansprüche beziehungsweise eine Auszahlung zu, um dessen Durchführung sich Neumann „schnellstmöglich“ kümmern sollte.
Im März 1951 ersuchten James (Joachim) Hilsenrad sowie Frieda, John und Norbert Nemon, die einstigen Kinobesitzer selbst und deren Nachkommen, die zu diesem Zeitpunkt in New York lebten, durch ihre Wiener rechtliche Vertretung auch um die Restitution der Kinokonzession. Daraufhin wurden die Antragsstellenden gebeten, vier Wochen abzuwarten und mit den bisherigen Konzessionsinhabern, dem „Blindenverband“, eine Einigung zu finden.
Aus den Unterlagen des Jahres 1955 kann geschlossen werden, dass der Verband der Blindenvereine Österreichs die Konzession für das Stafa Kino bis zuletzt behalten durfte und bei der Stadt Wien im November 1955 um die Bestellung eines neuen Geschäftsführers, Oskar Barth, ansuchte. Im selben Jahr wurde das gesamte Gebäude umgebaut und modernisiert.
Nur ein Jahr später wurde die Fachgruppe der Lichtspieltheater über die Schließung des Stafa Kinos sowie die Liquidation der Zentralpalastkinogesellschaft informiert. Das Kino wurde bereits einen Monat zuvor, im Juni 1956, geschlossen, da die Stafa Kaufhaus AG den Mietvertrag mit dem Kino vorzeitig gekündigt hatte. Dem Auflassungsschreiben sind Pläne für einen Umbau beziehungsweise Ausbau des Kaufhauses beigefügt, die bereits sechs Wochen vor der öffentlichen Schließung des Kinos beginnen sollten.
Im August 1960 wurde eine Löschung des Verbands der Blindenvereine Österreichs, dem eine Abfindung von 250 Schilling zustand, sowie die Rücklegung der Kinokonzession übermittelt.
Fassungsraum
Siehe auch: Kino
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A11: 7. Stafa-Kino
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A27 - ÖV Kino: K92 Stafa-Lichtspiele
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 471, A3/1: 7. Mariahilfer Straße 120 Stafa-Kino
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten: 120 Stafa-Kino
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Fachverband der Lichtspieltheater, A1 - Kinoakten: 202 Stafa-Kino
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, B78: C 43/87 (Zentralpalast Kinogesellschaft m. b. H.)
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, B76: A 20/10 (Mariahilfer Zentralpalast I., Wiener Warenmusterei-Kollektiv-Kaufhaus K. Wohlschläger)
Literatur
- Anton Holzer: Mariahilfer Zentralpalast. In: Wiener Zeitung extra [2010], S. 11
- Jenny Legenstein: Wiener Lichtspiele einst und heute. In: Augustin, 26.03.2019
- Andreas Lehne: Jugendstil in Wien. Wien: J & V 1989
- Andreas Lehne / Gerhard Meißl / Edith Hann: Wiener Warenhäuser 1865-1914. Wien: Deuticke 1990 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 20)
- Doris Schenk: Kinobetriebe in Wien von den Anfängen bis zur Gegenwart. Diplomarbeit, Univ. Wien, Wien 2009, S. 15, S. 96
- Werner Michael Schwarz: Kino und Kinos in Wien. Eine Entwicklungsgeschichte bis 1934. Wien: Turia & Kant 1992, S. 229