Marie Langer
Marie Langer, * 31. Oktober 1910 Wien, † 22. Dezember 1987 Buenos Aires (Argentinien), Ärztin, Psychoanalytikerin.
Biografie
Herkunft und frühe Jahre
1910 wurde Marie Langer, geborene Marie Lisbeth Glas, als zweite Tochter in eine reiche, bürgerliche Familie assimilierter Juden und Jüdinnen geboren. Ihr Vater war der Textilfachmann und Fabriksbesitzer Rudolf Glas, ihre Mutter die Hausfrau Margarete Hauser. Marie Langer hatte eine Schwester, Gusti Eva Glas, die ab 1939 in Uruguay und Argentinien als Englischlehrerin arbeitete. 1922 besuchte Marie Langer das progressive Mädchengymnasium der Eugenie Schwarzwald, die eine marxistisch-feministische Linie verfolgte und damit Marie Langers Leben nachhaltig beeinflusste. Aline Furtmüller war dort eine prägende Lehrerin für sie. 1927 zogen die Eltern in die Tschechoslowakei, um dem wirtschaftlichen Zusammenbruch zu entgehen. Marie Langer blieb alleine in Wien zurück und heiratete kurz vor der Matura 1929 Herbert Josef Manovill, von dem sie sich 1932 wieder scheiden ließ. Anfang der 1930er Jahre schloss sie sich der kommunistischen Partei (KPÖ) an, weil ihr diese revolutionärer erschien als die Sozialdemokratie. Von 1933 bis 1936 war sie illegales Mitglied bei der KPÖ und war mit ihrem Ehemann Manovill an illegalen Aktionen beteiligt. Dabei geriet sie zwei Tage lang in Haft und begenete auf diese Weise ihrem späteren Ehemann, dem Chirurgen Max Langer. Am 4. März 1935 promovierte Marie Langer als Ärztin, von 1933 bis 1936 absolvierte sie ihre psychoanalytische Ausbildung und 1933 ihre Lehranalyse bei Dr. Richard Sterb. Sie arbeitete anschließend in der Frauenabteilung der Psychiatrischen Universitätsklinik unter Heinz Hartmann und trat der "Wiener Psychoanalytischen Vereinigung" (WPV) bei. Ihre Hinwendung zur Psychoanalyse stand allerdings den Ideen der KPÖ entgegen, weshalb sie ihre Mitgliedschaft sowohl in der KPÖ als auch der WPV der jeweils anderen Vereinigung verschwieg.
Exil
Der Interessenkonflikt löste sich dadurch, dass sie mit ihrem damaligen Freund und späteren Ehemann, Max Langer, als Freiwillige nach Spanien ging, um sich im Spanischen Bürgerkrieg zu engagieren. Sie schloss sich den internationalen Brigaden im Sanitätsdienst an und arbeitete als Anästhesistin im Feldspital Colmenar bei Madrid und in Murcia. Sie lebten dort vom September 1936 bis Anfang 1938, bis sie nach dem Sieg der Franquisten als Jüdin und Kommunistin nicht mehr bleiben konnte. 1938 gingen sie nach Paris und für einen Erholungsurlaub nach Nizza, wo Marie Langer nach einer sechsmonatigen Schwangerschaft ein Mädchen zur Welt brachte, das nach drei Tagen starb. Das Paar verließ Frankreich und ging zu Marie Langers Eltern nach Sudetendeutschland, verließen Europa nach dem "Anschluss" Österreichs aber endgültig, um nach Uruguay zu emigrieren. Marie Langers Eltern kamen kurze Zeit später ebenfalls in Montevideo an. Ihre Mutter eröffnete eine Pension und Max Langer arbeitete in einer Textilfabrik, solange ihre medizinischen Titel nicht anerkannt wurden. In Montevideo kam ihr erstes Kind Tomás zur Welt, später hatten sie noch drei weitere Kinder: Martín, Ana und Verónica.
1942 übersiedelte die Familie nach Buenos Aires, Argentinien, weil Max Langer eine Anstellung erhalten hatte und Marie Langer das Angebot von Bela Szekely, als Psychoanalytikerin zu arbeiten. Dort angekommen arbeitete sie allerdings mit dem orthodoxen Flügel unter dem Psychiater Angel Garma zusammen und gründete gemeinsam mit ihm die psychoanalytische Gesellschaft von Argentinien, die "Asociación Psicoanalítica Argentinia" (APA). Von 1953 bis 1955 arbeitete sie in der Gruppentherapie als Leiterin des psychosomatischen Dienstes in der gynäkologischen Abteilung eines Krankenhauses von Buenos Aires sowie als Spitalsärztin und Lehranalytikerin. Zur kommunistischen Partei hatte sie zwar Kontakt, trat ihr aber nicht bei. 1965 starb ihr Ehemann. Ab 1970 arbeitete Marie Langer als Ärztin an der psychopathologischen Abteilung des Avellaneda Krankenhauses.
Erstmals beim großen psychoanalytischen Kongress in Rom (1969), wo sie maßgeblich an der Gründung der linksoppositionellen "Plataforma" beteiligt war, bekannte sich Marie Langer in der APA zu ihrem politischen Engagement. Zum endgültigen Bruch mit der APA kam es aber erst 1971, als sie beim Wiener Kongress zur Geschichte der Psychoanalyse mit ihrem Vortrag "Psychoanalyse und/oder soziale Revolution" einen Skandal verursachte, der dazu führte, dass sie – nach der Weigerung der IPA, ihren Vortrag zu veröffentlichen – aus der APA und der IPA (International Psychoanalytical Association) austrat. Sie propagierte in diesem Vortrag eine Reform der Psychoanalyse durch eine Verbindung mit dem Marxismus und schaffte sich aufgrund ihres offenen politischen Auftretens viele Feinde, da ihre Ideen nicht mit der klassischen Psychoanalyse vereinbar erschienen. Nichtsdestotrotz setzte sie sich weiterhin für eine sozial und politisch aktive Psychoanalyse ein, trat dem Leitungsgremium der "Federación Argentinia de Psiquiatras" (FAP) bei und wurde 1972 sogar zur Präsidentin gewählt. In weiterer Folge beteiligte sie sich an der Gründung eines Koordinationsausschusses für alle, die in der "Trabajadores de Salud Mental" (TSM) arbeiteten, mit dem Ziel, Hierarchien beim Krankenhauspersonal aufzuheben. Im Jänner 1974 wurde sie Assistenzprofessorin am Lehrstuhl für medizinische Psychologie.
Ende 1974 verließ sie auf Drängen ihrer Kinder das Land, weil sie während der Militärdiktatur auf die schwarze Liste einer Terrororganisation, der "Argentinischen antikommunistischen Allianz" (AAA), geriet, die mehrere Leute, die in der TSM arbeiteten, ermordet hatte. Sie ging daraufhin zu ihrer Tochter Ana nach Mexiko, wo sie in der Fachausbildung für klinische Psychologie als Professorin arbeitete und ihre eigene psychoanalytische Praxis betrieb, in der sie vor allem Opfer von Verfolgung, Folter und Vertreibung psychologisch betreute. Nach sieben Jahren Arbeit als Professorin und für die TSM ging sie nach Nicaragua, wo sie beim "Equipo Internacionaliste de Salud Mental" mithalf, eine medizinisch-psychoanalytische Versorgung aufzubauen und an der Eröffnung von Gesundheitszentren in Leon und Managua beteiligt war. Bei ihren zahlreichen Europareisen, bei denen sie auch Spenden für das Projekt sammelte, berichtete sie regelmäßig über die Gesundheitspolitik in Nicaragua und die Gesundheitsprojekte, die dort umgesetzt wurden. Die Basis für die Arbeit des "Salud Mental Teams" beruhte auf der Idee, dass die Medizin zur Heilung der physischen und psychischen Gesundheit von Menschen die Verhältnisse, in denen Menschen erkranken und leiden, mitdenkt, miteinbezieht und sie verändert. 1986 war sie noch beteiligt an der Veranstaltung eines psychoanalytischen Kongresses in Havanna und traf auch mit Fidel Castro zusammen. Zudem wurde sie in das "Komitee der Intellektuellen für die Souveränität Lateinamerikas" gewählt.
Am 22. Dezember 1987 starb Marie Langer in Buenos Aires an Lungenkrebs.
Sie galt als kompromisslos in politischen Fragen. Obwohl sie als eine der bedeutendsten südamerikanischen Psychoanalytikerinnen gilt, ist sie in Österreich relativ unbekannt.
Freundschaft zu Else Pappenheim
Marie Langer war eine langjährige Freundin von Else Pappenheim. Sie waren beide Klassenkameradinnen in der Schwarzwald-Schule, lernten zusammen für die Medizinprüfung, begannen gemeinsam ihre analytische Ausbildung und engagierten sich in einem antifaschistischen Zirkel. Doch während Marie Langer nach Südamerika migrierte, floh Else Pappenheim im November 1938 über Tel Aviv in die USA, wo sie an verschiedenen Universitäten unterrichtete und in New York als Psychoanalytikerin arbeitete. Das nächste und letzte Mal trafen sich die beiden Freundinnen 1971 beim internationalen psychoanalytischen Kongress in Wien. In den 1980er Jahren standen die beiden noch bis zu Marie Langers Tod in Briefkontakt.
Literatur
- Doris Ingrisch / Ilse Korotin / Charlotte Zwiauer [Hg.]: Die Revolutionierung des Alltags. Zur intellektuellen Kultur von Frauen im Wien der Zwischenkriegszeit. Frankfurt am Main: Peter Lang GmbH 2004
- ANNO: Mimi und Els. In: Werkblatt (2014), S. 167–173
- ANNO: Marie Langer. Ein österreichisches Schicksal. In: ZeitRaum (1991), S. 49–57
- ANNO: Zum Tod von Marie Langer. In: Werkblatt (1988), S. 7–9
- ANNO: Marie Langer. Eine Reise für Nicaragua. In: Werkblatt (1985), S. 104–107
- Wikipedia: Marie Langer [Stand: 13.09.2023]
- psyalpha: Marie Langer – Chronologie [Stand: 13.09.2023]
- BiografiA: Marie Langer [Stand: 13.09.2023]
Marie Langer im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.