Merkantilprotokoll
Im späten 17. Jahrhundert drängte der aus Niederlägern, Hofbefreiten und Krämern bestehende Wiener Handelsstand auf die Einrichtung eines eigenen Handelsgerichts. Begründet wurde dies einerseits mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation infolge der Türkenkriege, andererseits mit den langsamen und komplizierten Verfahren vor Gericht. Dies sollte in weiterer Folge zur Schaffung des Merkantil- und Wechselgerichts führen.
1707 bat die kaiserliche Banco-Deputation den Wiener Handelsstand um eine Stellungnahme zur Schaffung einer Wechselordnung und eines Wechselgerichts. In der Antwort wurde das Hauptaugenmerk wurde auf die Vereinheitlichung der Gerichtsorganisation gelegt, da die drei Handelsstände in die Zuständigkeit unterschiedlicher Gerichte fielen, aber auch stark schwankende Zölle und Mauten, Schmuggel und Geldentwertung wurden angesprochen. Als Vorbild dienten entsprechende Kaufmannskollegien mit eigener Gerichtsbarkeit in Städten wie Antwerpen, Hamburg und Nürnberg.
Wiener Wechselordnung von 1717
Die Schaffung eines Merkantilprotokolls als Handelsregister wurde fast wortwörtlich aus der Frankfurter Wechselordnung übernommen. Der Artikel VIII der Wiener Wechselordnung vom 10. September 1717 verlangte bei der Eröffnung einer Handelsfirma durch Gesellschafter die Protokollierung der Namen dieser Gesellschafter. Dies schuf die Grundlage der Protokollierung, die durch ausführlichere Bestimmungen der kaiserliche Deklaration vom 20. März 1725 verschärft wurde. Darin wurde eine allgemeine Registrierungspflicht der Kaufleute in Wien festgelegt. Die Eintragungen im ältesten erhaltenen Merkantilprotokoll beginnen 1725.
In der Wiener Wechselordnung von 1717 wurde die Vorlagepflicht für Oblatorien festgehalten. Oblatorien waren Rundschreiben der Wiener Kaufleute, die diese ihren Geschäftspartnern zu deren eigenen Sicherheit und zur Information zuschickten. Bekannt gemacht wurden darin auch neue Handlungen, deren Veränderungen oder Erlöschen. Da in den Oblatorien die Namen aller Gesellschafter genannt waren, wurden diese als Vorlage für das Merkantilprotokoll verwendet.
Fallitenordnung von 1734
Eine steigende Zahl an Konkursen von Kaufleuten mit mangelhafter Kapitalausstattung machte zusätzliche Regulierungen notwendig. In der Fallitenordnungvon von Karl VI. vom 18. August 1734 wurde ein Mindesteinlagekapital vorgeschrieben, das vom Umfang und Ort des Handelsbetriebs abhängig war. Dieses Kapital musste in den Oblatorien der Kaufleute genannt und im Merkantilprotokoll verzeichnet werden. Eheverträge mussten dem Merkantilgericht zur Kenntnis gebracht und ebenfalls verzeichnet werden. Im Fall eines Konkurses hatten Ehefrauen keine bevorzugten Ansprüche aus dem Firmenvermögen, wenn die Konkursmasse nicht ausreichte.
Reformen
Da die Wechselordnung von 1717 nur inkonsequent umgesetzt wurde, wurde das selbständige Merkantil- und Wechselgericht mit Dekret von 2. Mai 1749 aufgehoben. Alle Akten und Protokolle mussten schon im Jahr zuvor an die niederösterreichische Regierung abgegeben werden, die die Agenden übertragen bekam. In der Hofkommission überprüfte der niederösterreichische Regierungsrat Joseph von Pelser die Unterlagen und stellte gravierende Mängel fest. Bereits 1758 wurde eine „Neuverfasste Handlungs- und Fallitenordnung“ erlassen, die einerseits die Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns regelte, andererseits aber auch die Inhalte des Merkantilprotokolls. Eingetragen werden mussten Name und Alter des Handelsmanns, die Art des Unternehmens, das Kapital und dessen Aufbringung, die Gesellschafter, der Gesellschaftsvertrag und das Datum der Errichtung des Unternehmens selbst.
Im Jahr 1762 wurde wieder ein eigenständiges Wechsel- und Merkantilgericht eingerichtet. Im Jahr darauf wurde das Wechselpatent in weitere Sprachen übersetzt und in anderen Teilen der Monarchie eingeführt. Mit der "Wechsel- und Merkantilgerichtsordnung" von 1763 erhielt dieses Gericht eine neue Organisation, die unter Joseph II. mehrfach geändert wurde.
Die Protokollierung gewann im Rahmen dieser Reformen immer mehr Bedeutung. So wurde etwa mit Verordnung der niederösterreichischen Regierung vom 10. März 1801 verfügt, dass ohne Kapitalausweis und Protokollierung ein verliehenes Handlungsrecht gar nicht ausgeübt werden darf.
Das Hofkammerdekret vom 29. September 1812 unterschied zwischen einer Verpflichtung und einer Befugnis zur Protokollierung. Während jene Handels- und Gewerbetreibenden, für welche die Fondsausweisung und Protokollierung vorgeschrieben war, dazu verpflichtet waren, bestand für alle übrigen Unternehmer keine Registrierungspflicht. Ein Gesellschaftsverhältnis musste im Firmennamen mit dem Beisatz „et Compagnie“ kenntlich gemacht werden. Bis zum Ende des Merkantil- und Wechselgerichts 1850 kam es zu keinen großen gesetzlichen Veränderungen mehr.
Aufbau des Merkantilprotokolls
Insgesamt besteht das Merkantilprotokoll aus 14 Bänden, die bis 1863 reichen und im Wiener Stadt- und Landesarchiv aufbewahrt werden. Im ersten Band ist für jede Handlung ein eigenes Blatt vorgesehen. Geordnet ist er nach Anfangsbuchstaben alphabetisch, die Einteilung der Eintragungen geschah nach "Name des Kaufmannes", "Firma oder Raggion", "Prokura- und Firma-Trager", "Oblatorien und Avocatorien", "Fundi-Ausweisung", "Societäts-Contract und Interessenten", "Heuraths-Contract" sowie "Anmerkungen". Durch diese Einteilung wird angenommen, dass dieser erste sowie alle weiteren Bände erst nach der Fallitenordnung 1734 angelegt worden sein muss.
Das Merkantilprotokoll ist in zwei Reihen unterteilt, wobei die erste Reihe die Jahre 1725 bis 1850 enthält, die nach der Umorganisierung des Merkantilprotokolls entstandene zweite Reihe die Jahre 1850 bis 1863. Im Band 1 sind für jüdische Firmen die Folien 920 bis 941 reserviert, ab Band 2 wurden jüdische Firmen nicht mehr gesondert geführt. Die Weiterführung der Protokollierung nach 1863 erfolgte im Handelsregister.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Merkantil- und Wechselgericht
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handelsgericht, B3 - Merkantilprotokoll 2. Reihe
- Wechselgericht und Ordnung 1717. In: Sammlung Oesterreichischer Gesetze und Ordnungen, Leipzig 1748
- Falliten-Ordnung 1734. In: Sammlung Oesterreichischer Gesetze und Ordnungen, Leipzig 1752
- Neuverfaßte Handlungs- und Falliten-Ordnung 1758. In: Supplementum Codicis Austriaci, Wien 1777
Literatur
- Vom Merkantil-Protokoll zum Firmenbuch [Katalog zur Ausstellung vom 18.-20.4.1991 in Salzburg anläßlich der Europatage des österr. Notariats]. Salzburg: 1991
- Stefan Wedrac: Die Anfänge der Wiener Handelsgerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert. In: Thomas Olechowski / Christoph Schmetterer / Eva Ortlieb [Hg.]: Gerichtsvielfalt in Wien. Forschungen zum modernen Gerichtsbegriff. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2016 (Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs, 6. Jahrgang/2), S. 315-323