Handelsgericht
48° 12' 27.93" N, 16° 23' 9.67" E zur Karte im Wien Kulturgut
Das Handelsgericht Wien ist ein auf Unternehmensrecht spezialisiertes Landesgericht für die Bundeshauptstadt Wien. Es führt das Firmenbuch und beschäftigt sich unter anderem mit Insolvenzen sowie mit Vertragsklagen ab einem Streitwert von 15.000 Euro gegen im Firmenbuch eingetragene Unternehmerinnen und Unternehmer. Es ist zudem für bestimmte Spezialmaterien wie unlauterer Wettbewerb und Urheberrecht zuständig und entscheidet österreichweit in Marken-, Muster- und Patentrechtsangelegenheiten.
Geschichte
Mit der Einrichtung des Merkantilgerichts im Jahr 1717 wurde eine eigenständige Gerichtsbarkeit für Kaufleute geschaffen. Diese war für Streitigkeiten zwischen Kaufleuten sowie für die Führung des Merkantilprotokolls, das fundamentale Firmendaten transparent machte, zuständig. Die Spezialisierung des Gerichts sollte zu rascheren Entscheidungen und damit zu einer Belebung der Wirtschaft führen. Neben der Magistratsreform 1783 gehörte die Neuordnung der Gerichte zwischen 1782 und 1784 zu den wesentlichen Reformagenden von Kaiser Joseph II. Die erste und unterste Instanz der Zivilgerichtsbarkeit bildeten die Ortsgerichte, in Fall von Wien das magistratische Zivilgericht und die grundherrschaftlichen Gerichte. Alle übrigen erstinstanzlichen Gerichte wurden aufgehoben, einige Spezialgerichte wie das Merkantil- und das Berggericht wurden jedoch belassen.
Im Zuge der Neuorganisation der Gerichtsbehörden 1848 wurde nicht nur die Patrimonialgerichtsbarkeit verstaatlicht, sondern es erfolgte 1850 auch die Beseitigung der Berg-, Merkantil- und Lehensgerichte. Seitens der inhaltlichen Zuständigkeit kann das Handelsgericht als Nachfolgegericht des alten Merkantil- und Wechselgerichts angesehen werden.
Das Handelsgericht wurde am 1. Juli 1850 aktiviert (RGBl 234). Es war zuständig für den Sprengel des Landesgericht Wien beziehungsweise unter dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien. Das Handelsgericht wurde im Gebäude des Appellationsgerichts untergebracht, wo auch das Merkantilgericht untergebracht gewesen war. Dieses befand sich in der Herrengasse 23 (ehemals 61). Doch es herrschte bald Platzmangel. Dieser wurde vorübergehend gelöst, indem das Oberlandesgericht, zu dem das Appellationsgericht gehörte, in ein anderes Gebäude zog. Zwischen 1856 (RGBl 2, 140) und 1932 (RGBl 6, 244) war das Handelsgericht auch für Verlassenschafts-, Pflegeschafts- und Vormundschaftssachen von Firmeneigetümern zuständig. Am 22. Juni 1881 wurde das Handelsgericht im Justizpalast neu einquartiert. Das Handelsgericht musste jedoch erneut am 15. März 1912 in die Riemergasse 7 umziehen. Bereits 1913 wurden aufgrund einer Vermehrung der Abteilungen wieder Raumprobleme gemeldet. Seit Jänner 1922 war das Handelsgericht auch für das neu hinzugekommene Bundesland Burgenland zuständig.
1938 bis 1945 waren die Landesgerichte für Zivilrechtssachen und Strafsachen, das Handelsgericht und der Jugendgerichtshof in Wien zum Landgericht Wien zusammengefasst. Die Übersiedelung der entsprechenden Abteilungen erfolgte zwischen 13. und 17. Mai 1939 (RGBl 751) zurück in den Justizpalast.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Handelsgericht neuerlich errichtet. Die diesbezügliche Verordnung vom 9. August 1945 nennt unter anderem auch das Bezirksgericht für Handelssachen. Zu den ordentlichen Gerichten gehören unter anderem die Bezirksgerichte, die in Zivil-, Straf-, Handels- und Exekutionssachen entscheiden, und das Handelsgericht. Die sachliche Zuständigkeit zwischen Bezirksgericht und Handelsgericht unterliegt juridischen Kriterien: so entscheidet etwa bei Handelssachen die Höhe des Streitwerts. Ab 20. oder 21. August 1945 war das Gericht wieder in der Riemergasse 7 untergebracht. Der Zuständigkeitsbereich änderte sich mit den Sprengeländerungen, die auch das Landesgericht für Zivilrechtssachten betrafen. Seit dem 8. September 2003 ist das Handelsgericht im Justizzentrum Wien Mitte in der Marxergasse 1a (City Tower) untergebracht.
Zu den Aufgaben des Handelsgerichts gehörte die Führung des Handelsregisters, einer wichtigen Quelle für Firmenunterlagen in Wien.
Zuständigkeiten
- 1. Juli 1850: Einrichtung des Handelsgerichts für ganz Wien unter dem Landesgericht für Zivilrechtssachen
- 1856 bis 1932: Erweiterung der Zuständigkeiten auf Verlassenschafts-, Pflegeschafts- und Vormundschaftssachen von Firmeneigentümern[1]
- Jänner 1922: Erweiterung der Zuständigkeit auf das Bundesland Burgenland
- 1938 bis 1945: Zusammenlegung mit dem Landesgericht Wien
- 9. August 1945: Reaktivierung des Handelsgerichtes
Präsidenten des Handelsgerichts
Franz Freiherr von Raule wurde am 1. Juli 1850 zum ersten Präsidenten des neu organisierten Handelsgerichts bestellt. Neben dem Präsidenten umfasste das Personal zu diesem Zeitpunkt sieben Landesgerichtsräte, fünf Assessoren und an nichtrichterlichem Personal drei Sekretäre, zehn Kanzlisten, sechs Gerichtsvollzieher, zwei Amtsdiener und eine unbekannte Zahl an Schreibern.
Liste der Präsidenten des Handelsgerichts
Gebäude
Im Gebäude in der Herrengasse 23 waren zusätzlich das Appellationsgericht und die 1. und 2. Sektion des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien (inklusive Arresträume), neben dem Handelsgericht. Das Gebäude in der Riemergasse 7 war zum Einzugsdatum ein Neubau. Jedoch wurden bereits 1913 aufgrund einer Vermehrung der Abteilungen wieder Raumprobleme gemeldet. Das Handelsgericht Wien befand sich von Juli 1850 bis Juni 1881 in Wien 1, Herrengasse 23 (Palais Porcia), von Juli 1881 bis März 1912 im Justizpalast in Wien 1, Schmerlingplatz 11, von März 1912 bis Mai 1939 und von August 1945 bis September 2003 in Wien 1, Riemergasse 7 (dazwischen als Abteilung des Landgerichts Wien von Mai 1939 bis August 1945 wieder im Justizpalast) und seit September 2003 in Wien 3, Marxergasse 1a im Justizzentrum Wien Mitte. 1956 musste das Gebäude Riemergasse 7 aufgrund von kriegsbedingten Schäden, infolgedessen der Deckenverputz in mehreren Räumen plötzlich herabstürzte, gesperrt und dann über mehrere Jahre saniert werden. Man wich teilweise auf benachbarte Gebäude aus, um den Gerichtsbetrieb aufrecht zu erhalten.
Literatur
- Alfred Waldstätten: Die Präsidenten des Handelsgerichts Wien 1850–2015. Wien: Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz 2019
- Sonja Bydlinski, Maria Wittmann-Tiwald (Hg.): 300 Jahre staatliche Handelsgerichtsbarkeit. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz, Band 167. Wien/Graz: NWV 2018.
- Alfred Waldstätten: Staatliche Gerichte in Wien seit Maria Theresia. Beiträge zu ihrer Geschichte. Ein Handbuch. Innsbruck/Wien: StudienVerlag 2011 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 54)
- 200 Jahre Rechtsleben in Wien. Advokaten, Richter, Rechtsgelehrte. Katalog zur 96. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien (21. November 1985 bis 9. Februar 1986). Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1985
- Werner Ogris: Die Rechtsentwicklung in Österreich 1848-1918. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1975
- Robert Walter: Verfassung und Gerichtsbarkeit. Wien: Manz 1960
- Ernst C. Hellbling: Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. Ein Lehrbuch für Studierende. Wien: Springer 1956 (Rechts- und Staatwissenschaften, 13)
- Oskar Pisko: Lehrbuch des österreichischen Handelsrechtes. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky 1923
- Anton Scheiner: Das Handels- und Genossenschaftsregister. Leitfaden. Wien: Selbstverlag 1913
Weblinks
- Firmenmonitor.at: Kostenloses Portal der Wiener Zeitung, das Firmenbuchdaten der österreichischen Handelsgerichte bereitstellt. Änderungsvorschläge, Löschungen, etc. gehen bis in die 1990er zurück. (Stand: 9. Dezember 2020).
Referenzen
- ↑ Kaiserliche Verordnung vom 21. Dezember 1855 betreffend die Competenz-Erweiterung der Handelsgerichte Wien und Triest auf Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen, RGBl. 2/1856 sowie 6. Bundesgesetz von 23. Dezember 1931 über Änderungen des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten (Siebente Gerichtsentlastungsnovelle), BGBl. 6/1932)