Nikolai Kobelkoff
Nikolai Wassiljewitsch Kobelkoff, * 22. Juli 1851 Wosnessensk (Russisches Kaiserreich), † 19. Jänner 1933 Wien, Artist, Schausteller
Biografie
Nikolai Kobelkoff wurde in der Steppenzone südlich des Uralgebirges als Sohn eines Kosaken geboren. Ohne Gliedmaßen zur Welt gekommen, entwickelte das Kind eine große Geschicklichkeit, um deren Fehlen zu kompensieren. So vermochte er sich selbst anzukleiden, zu essen und zu trinken oder mit einer Feder, eingeklemmt zwischen Wange und Armstumpf, zu schreiben. Außerdem konnte er zeichnen, schießen und beherrschte eine Reihe verschiedener Kunststücke.
Kobelkoff besuchte mit großem Erfolg eine Schule in Minsk (heute Weißrussland) und begann mit 18 Jahren in einem Goldbergwerk als Rechnungsgehilfe zu arbeiten. 1870 erstmals auf ein Engagement auf einer Bühne angesprochen, ging er auf Wanderschaft und trat vor Publikum in Russland und schließlich in ganz Europa auf. Bei einem Auftritt im Wiener Prater lernte er die aus einer Schaustellerfamilie stammende Anna Wilfert kennen, die er 1876 in Budapest heiratete. Da er keine Zustimmung eines orthodoxen Priesters erhalten hatte, nahm er den evangelischen Glauben seiner Frau an.
Gemeinsam mit der immer größer werdenden Familie – das Paar hatte elf Kinder ohne körperliches Handicap – nahm er als "Rumpfmensch" mit akrobatischen Einlagen seine Reisen wieder auf, die ihn unter anderem in alle Teile des Habsburgerreiches, nach Italien, Deutschland, Frankreich und 1882 auch in die Vereinigten Staaten führten. Kobelkoff kehrte aber immer wieder in den Prater zurück, um auf heimischen Schaubühnen zu gastieren. Zu seinen Bewunderern zählte auch Kronprinz Rudolf von Österreich, dem er auch Privatvorstellungen gab.
1901 kaufte der Schausteller vom Schwager seiner Ehefrau Anna, Carl Schaaf, eine Parzelle und errichtete dort ein "Velodrom" sowie unmittelbar daneben einen Toboggan (Rutschturm). 1905 wurde an Stelle des Velodroms eine "Manège Parisienne" im Sezessionsstil erbaut. Kobelkoff hatte diesen Betrieb bei der Pariser Weltausstellung gesehen und gleich dort erworben. 1910 ließ er sich endgültig in Wien nieder.
Nach dem Tod seiner Ehefrau 1912 vergrößerte Kobelkoff sukzessive das Familienunternehmen, unter anderem 1922 mit dem Karussell "Zum großen Chineser" oder 1925 mit einem Kinderringelspiel und einem "Flieger". Er starb 1933 an Altersschwäche. Bei seinem Begräbnis stellten sich viele Künstler und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ein.
Kobelkoff firmierte außerdem 1900 als Protagonist in dem frühen Kurzfilm "Der Rumpfmensch", in dem er mit seinen Armstummeln schreibt, Gewichte hebt und einem imaginären Publikum Handküsse zuwirft.
Literatur
- Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 4. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1969, S. 5 f.
- Elisabeth Hewson/Heinz Jankowsky: Praterg’schicht’n. Von Verliebten, Verrückten, Verbrechern und Vergnügten. Wien: Pichler 2008, S. 53 ff.
- Christian Dewald: Nicht Kunst, sondern Leben. Der Wiener Prater als Schauplatz des österreichischen Films. In: Ds./Werner Michael Schwarz (Hg.): Prater Kino Welt. Der Wiener Prater und die Geschichte des Kinos. Wien: Filmarchiv Austria 2005, S. 141-161
- Clemens Marschall: Die Familie Kobelkoff. In: Wiener Zeitung. Dossiers, 09.06.2016 [Stand: 25.03.2020]