Rudolf Streicher
Rudolf Streicher, * 19. Jänner 1939 Wallsee an der Donau, Politiker, Manager.
Biografie
Der gebürtige Niederösterreicher Rudolf Streicher absolvierte ab 1953 bei den Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerken (VÖEST) in Linz eine Ausbildung zum Werkzeugmacher und technischen Zeichner und schloss 1957 seine Lehre als Facharbeiter ab. Neben der Arbeit studierte er ab 1957 Werkzeug- und Vorrichtungsbau an der Technischen Bundeslehranstalt Waidhofen und ab 1961 Hüttenwesen an der Montanuniversität Leoben. Während seines Studiums engagierte er sich im Verband sozialistischer Studenten (VSStÖ), wo er dem pragmatischen Flügel um Hannes Androsch zugezählt wurde. 1969 erwarb er das Diplom. Mit einer Dissertation über "Aspekte bei der Neuordnung von Betrieben am Beispiel der österreichischen Nichteisenmetall-Industrie" promovierte Streicher im Jahr 1979 zum Doktor der Montanistischen Wissenschaften. Außerdem absolvierte er eine Musikausbildung am Linzer Konservatorium.
Nach dem Studium sammelte er zunächst ab 1969 Erfahrungen als gerichtlich beeideter Sachverständiger im Kraftfahrzeug- und Verkehrswesen. 1970 trat er in die Österreichische Industrieverwaltungs-AG (ÖIAG) ein, die als Dachgesellschaft für die Staatsunternehmen ein Viertel der österreichischen Industrie bündelte. Anfangs leitete er die Abteilung Forschung und Entwicklung, dann die technische Abteilung und später Projekte für Stahlfusionen und Buntmetallfusionen. 1974 wechselte Streicher zum ÖIAG-Teilunternehmen Vereinigte Metallwerke Ranshofen Berndorf AG (seit 1985: Austria Metall AG) und wurde dort Vorstandsmitglied. Als Vorstandsvorsitzender ab 1980 gelang ihm die Sanierung und Neuausrichtung dieses staatlichen Unternehmens. Im April 1986 wurde Streicher zum Generaldirektor und Vorstandsvorsitzenden der Steyr-Daimler-Puch-AG, die vor der drängenden Aufgabe stand, den zu sehr auf Wehrtechnik ausgerichteten und von Staatszuschüssen abhängigen Konzern durch Strukturreformen und Einsparungen wieder wettbewerbsfähig zu machen.
Noch bevor sein Konzept umgesetzt wurde, wechselte Streicher im Juni 1986 in die Politik. Damals berief ihn der neue Bundeskanzler Franz Vranitzky zum Minister für Verkehr und öffentliche Wirtschaft. Auch nach den Nationalratswahlen im November 1986 und Oktober 1990 behielt Streicher sein Ressort in den von Vranitzky gebildeten Koalitionen mit der ÖVP. Streicher gelang es, die defizitäre Staatsindustrie neu zu ordnen. In der ÖIAG setzte er 1988 eine Strukturreform um, die mit einer Reduktion der Beschäftigten von 1985 bis 1988 von 108.000 auf 88.200 einherging.
1990 folgte die Gründung der Austrian Industries AG, in der die ÖIAG mit den in ihrem Eigentum stehenden Unternehmen einen für den Kapitalmarkt attraktiven Konzern bildete, der 1993 erneut umstrukturiert wurde. Hinsichtlich der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) lancierte Streicher 1989 die Umbildung in eine Kapitalgesellschaft sowie ein Investitionsprogramm bis 2000 in Höhe von 60 Milliarden Schilling. Mit Nachdruck vertrat Streicher zudem Österreichs Interessen beim Alpentransit. Seine Klage über die extreme Belastung der Alpen durch den Transitverkehr unterstrich Streicher im Dezember 1989 mit einem in Deutschland und Italien heftig beklagten Nachtfahrverbot für schwere LKW. In Österreich selbst wurden seit 1991 nur mehr lärmarme LKW zugelassen.
Im November 1991 nominierte die SPÖ Streicher als Kandidaten für die Wahlen zum Bundespräsidenten. Streicher schied daher im März 1992 aus dem Kabinett aus, die Nachfolge übernahm Viktor Klima. Anfangs favorisiert, unterlag Streicher in der Stichwahl dem für die ÖVP kandidierenden Diplomaten Thomas Klestil.
Kurz darauf kehrte Streicher an die Spitze der traditionsreichen Steyr-Daimler-Puch (SDP) zurück, realisierte weitere Ausgliederungen und veräußerte mehrere Sparten. In Graz errichtete er ein Entwicklungszentrum und in Steyr eines für Nutzfahrzeuge. 1998 verkaufte die staatliche Creditanstalt ihr Tochterunternehmen SDP an den kanadischen Kfz-Zulieferer Magna International, in dessen Folge Streicher als Vorstandsvorsitzender zurücktrat.
Bereits seit 1993 nahm Streicher das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden der Austrian Airlines (AUA) wahr. Unter seiner Ägide wurden die Mitbewerber Lauda Air und Tyrolean Airlines als Tochterfirmen in die AUA-Gruppe eingegliedert. Im September 1999 vermittelte er den Einstieg der AUA in das globale Luftverkehrsbündnis Star Alliance um die Deutsche Lufthansa und United Airlines. Im selben Monat wurde ihm der Vorsitz der Österreichischen Industrieholding AG, die bis 1999 zahlreiche Beteiligungen privatisiert hatte, übertragen. Zu Meinungsverschiedenheiten mit dem ÖIAG-Aufsichtsrat kam es im Hinblick auf Streichers Bestreben, der ÖIAG Sperrminoritäten in Schlüsselbetrieben zu erhalten, während der Aufsichtsrat auf vollständige Privatisierung drängte. Ende Jänner 2001 trat er aufgrund dieser unterschiedlichen strategischen Vorstellungen zunächst vom Vorstandsvorsitz der ÖIAG zurück und legte gleichzeitig auch den Vorsitz im AUA-Aufsichtsrat nieder.
2009 bis 2011 war Streicher im sechsköpfigen Expertenrat beratend bei der Money Service Group tätig. Nachdem Streicher im Herbst 2012 seinen 49-Prozent-Anteil am oberösterreichischen Dieselmotoren-Hersteller Steyr Motors verkauft hatte, gründete er im Frühjahr 2013 die "perpetuum mobile GmbH".
Darüber hinaus fungiert Rudolf Streicher als Präsident des Aufsichtsrates der Wiener Symphoniker, ist Chefdirigent und Künstlerischer Leiter der Musikfreunde Stockerau und dirigiert zehn bis 15 Konzerte im Jahr. Er hat als Dirigent mehrere Schallplatten eingespielt. 1997 bis 1999 war Streicher Präsident des Fußballclubs Austria. Von 1995 bis 2003 gehörte er dem Universitätsbeirat der Montanuniversität Leoben an. 2004 wurde er zum Ehrensenator dieser Hochschule ernannt.
Quellen
Literatur
- Montanuniversität Leoben: Würdenträger [Stand: 17.05.2023]
- Rudolf Streicher bündelt seine Geschäfte neu. In: Kurier, 25.03.2013
- Was wurde aus ... Rudolf Streicher? In: Die Presse, 02.05.2011