Schranz-Rummel
Bezeichnung für eine Welle der chauvinistischen Empörung, die - von Presse und Fernsehen mitbetrieben - Österreich erfasste, nachdem sich am 31. Jänner 1972 die Nachricht verbreitete, dass der Schiläufer Karl Schranz durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) wegen Verletzung der damals noch geltenden strikten Amateurbestimmungen von der Teilnahme an den Olympischen Winterspielen in Sapporo ausgeschlossen worden war.
Ziel der Empörung waren nicht nur der als "Staatsfeind Nummer 1" betrachtete damalige Präsident des IOC, Avery Brundage, sondern insbesondere jene österreichischen SportlerInnen und Sportfunktionäre (darunter Manfred Mautner Markhof), die sich nach Ansicht der erbosten Bevölkerung nicht ausreichend mit Schranz solidarisierten und einen Boykott der Olympischen Spiele ablehnten. Der Zorn auf die vermeintliche Ungerechtigkeit und mutmaßliche VerräterInnen führte nicht nur zu einer Menge von LeserInnenbriefen, sondern auch zu Morddrohungen, tätlichen Angriffen gegen Angehörige der beschuldigten Personen und zumindest einer Brandstiftung; am 2. Februar 1972 wurde die Angelegenheit zum Gegenstand einer aufgeheizten Debatte im österreichischen Nationalrat.
Höhepunkt des "Schranz-Rummels" war der Empfang, den geschätzte 87.000 Personen Karl Schranz bei seiner Rückkehr am 8. Februar 1972 bereiteten. Die Fahrt vom Flughafen Schwechat im Dienstwagen des für Sport zuständigen Ministers Fred Sinowatz gestaltete sich als Triumphzug: Schranz stand während der Fahrt bei geöffnetem Schiebedach aufrecht im Wagen und wurde schließlich im Bundeskanzleramt am Ballhausplatz von Bruno Kreisky empfangen, der sich nach mehrmaliger Aufforderung dazu überreden ließ, sich gemeinsam mit Schranz am Balkon der auf 10.000 Personen geschätzten Menge am Ballhausplatz zu zeigen. Mit der von überschaubaren Protesten begleiteten Rückkehr des österreichischen Olympiateams am 15. Februar 1972 fand der Schranz-Rummel sein Ende.
Zeitgenössische Beobachter wie Erwin Ringel schätzten den "Schranz-Rummel" als Beleg für "faschistoide Tendenzen" ein, ein Kommentar der Neuen Zürcher Zeitung behauptete, dass sich dabei erstmals seit 1945 "die Gefühle einer beleidigten Nation ausgewirkt" hätten, die "ihren dumpfen Gefühlen gegen eine vermeintliche 'Verschwörung des Auslands' Ausdruck (...) geben" wollte.
Die Überführung des ORF in eine Anstalt des öffentlichen Rechts mittels des 1974 beschlossenen Rundfunkgesetzes erfolgte auch unter Eindruck der während des "Schranz-Rummels" demonstrierten Mobilisierungsmacht des Fernsehens.
Literatur
- Florian Labitsch: Die Narrischen: Sportereignisse in Österreich als Kristallisationspunkte kollektiver Identitäten. Münster: Lit Verlag 2009