Toni Grünschlag
Toni Grünschlag, * 25. August 1916 Wien † 12. Jänner 2007 New York (USA), Pianistin, Klavierlehrerin.
Biografie
Kindheit und musikalische Ausbildung in Wien
Antonie (Toni) Grünschlag wurde 1916 in Wien als zweites Kind von Moritz (Moses) und Cecilia (Zirl) Grünschlag geboren. Von ihrem Vater, der selbst Trompete studiert hatte und seine Leidenschaft für Musik an seine Kinder weitergab, erhielt sie wie ihr älterer Bruder David früh Geigenunterricht. Ab 1922 – im Geburtsjahr ihrer jüngeren Schwester Rosi bekam die Familie ein Klavier – nahm Toni bis 1936 Klavierunterricht bei der Pianistin Hilda Stern-Pollak und erwies sich als sehr talentiert.
Toni besuchte die Volksschule Sterneckplatz und ab 1930 die Stern’sche Mädchen-Lehr- und Erziehungsanstalt, daneben absolvierte sie an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst das Lehramtsstudium Klavier, das sie im Mai 1933 abschloss. Im Februar 1933 hatte sie wie ihr Bruder David, der seit Jahren als Wunderkind an der Violine gehandelt wurde, im Mittleren Konzerthaussaal ihr Konzertdebüt gegeben. Nach dem Lehramtsstudium begann sie noch im selben Jahr die Meisterklasse bei Emil Sauer, den sie sehr schätzte. Sauer sorgte dafür, dass seine jüdische Schülerin ihre beinahe abgeschlossene Ausbildung nach dem "Anschluss" 1938 nicht abbrach. Im Juni 1938 erhielt sie ihr Konzertdiplom mit Auszeichnung.
Flucht aus Wien
Im nationalsozialistischen Wien waren die Grünschlags als Juden in Lebensgefahr. Die Wohnung der Familie in der Reichsbrückenstraße (heute Lasallestraße) wurde "arisiert", Mutter und Töchter mussten sich ein möbliertes Zimmer in der Wolfgang-Schmälzl-Gasse mit einer anderen jüdischen Familie teilen. David Grünschlag war bereits Ende 1936 als Mitglied des von Bronisław Huberman gegründeten Palestine Symphony Orchestra ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina emigriert. Der Vater, der ihn dort ein Jahr später besuchte, kehrte aufgrund der politischen Lage nicht mehr nach Wien zurück. David konnte über das Orchester für beide Eltern Aufenthaltsgenehmigungen bekommen, jedoch nicht für seine Schwestern, die nach Cecilia Grünschlags Flucht 1939 auf sich gestellt waren.
Mit der Hilfe Hubermans, über den die Schwestern Studentenvisa für ihre Einreise nach England bekamen, organisierte Toni ihre und Rosis Flucht aus Wien, die Ende April 1939 mit dem Zug über die Niederlande führte. Für zwei Monate kamen sie in England bei einer Gastfamilie namens Baganall unter, die sie nicht nur herzlich aufnahm, sondern ihnen auch das Klavierspiel ermöglichte, und mit der die Schwestern ihr Leben lang in Kontakt blieben.
Leben in den USA
Am 1. November 1939 gelangten die Schwestern per Schiff nach New York, einen Monat später auch Moritz und Cecilia Grünschlag. Ein Rabbiner, den der Vater dort bald kennenlernte, ermöglichte es Toni und Rosi, in seiner Synagoge Klavier zu spielen, und engagierte sie dann als Pianistinnen für seine Gottesdienste. Der Pastor der Plymouth Church, wo sie ebenfalls auftraten, sorgte dafür, dass sie Olin Downes vorspielen konnten, dem Musikkritiker der New York Times, der von ihrem Spiel begeistert war. Downes schlug ihnen eine Karriere als Klavierduo vor, weil ihre so unterschiedlichen Spielweisen einander ideal ergänzen würden, und vermittelte sie an den Pianisten und Klavierlehrer Robert Casadesus, der sie coachte.
Die Schwestern widmeten sich fortan der Literatur für zwei Klaviere und gaben ihr Debüt als Duo im März 1945 in der Town Hall in New York. Es war der Beginn einer sehr erfolgreichen Karriere. 1952 gingen die Schwestern auf Konzerttournee an der US-amerikanischen Westküste, 1955 folgte die erste Europatournee. Ihre Programme beinhalteten immer wieder US-amerikanische Erstaufführungen.
Nach dem Tod der Mutter 1949, der Toni und Rosi sehr traf, brauchte Toni eine Veränderung. Sie begann 1950 als Klavierlehrerin am Ethel Walker-Internat in Connecticut zu arbeiten. 1951 folgte ihr Rosi dorthin. Das Engagement ließ sich mit ihrer Karriere als Konzertpianistinnen vereinbaren und sie unternahmen weitere Konzertreisen in Amerika und nach Europa.
Rosi und Toni Grünschlag blieben beide unverheiratet und lebten in einer gemeinsamen Wohnung. Zusammen besuchten sie ihre Geburtsstadt nach ihrer Flucht noch drei Mal: 1968, 1995 und 2006. Letztere Reise unternahmen sie, um an einer Holocaust-Gedenkveranstaltung teilzunehmen, bei der sie Werke von Franz Schubert spielten. Ihr letztes gemeinsames Konzert gaben die Schwestern am 18. Mai 2006 in der Steinway Hall in New York. 2007 starb Toni Grünschlag an Krebs.
Es gibt mehrere Filme über das Leben der Grünschlags: "Toni and Rosi" (2011) von Will Wyatt und Todd Murray, "Orchestra of Exiles" (2012) von Josh Aronson und Denise George und "It runs in the family" (2013) von Dorit Straus und Lucas Groth. Im Online-Archiv des Leo Baeck Instituts finden sich Audioaufnahmen von Interviews mit den beiden Schwestern.
Ein gemeinsamer Nachlass von Rosi, Toni und David Grünschlag befindet sich in der Wienbibliothek im Rathaus, die 2015 eine Ausstellung über die Geschwister zeigte. In sechs Archivboxen und einer Großformatmappe finden sich unter anderem Briefe, Fotografien und andere Lebensdokumente der Geschwister. Der musikalische Nachlass umfasst vier Archivboxen und enthält überwiegend Violinliteratur, auch Klavier- und Kammermusik, in gedruckter Form.
Quellen
- Film von Dorit Straus / Lucas Groth: "It Runs in the Family. Our Musical History." (Ya Ya Ya...Vater Productions in Zusammenarbeit mit Thrice Cooked Chicken Films und Svee-Tart Productions 2013) [Stand: 06.11.2024]
- Austrian Heritage Center, Bernhard Gàl: Interview with Rosi Grunschlag, New York, 7. Nov. 1997 (Sign. New York: AHC 82)
- Austrian Heritage Center, Emil Rennert: Interview with Toni Grunschlag, New York, 2006 (Sign. New York: AHC 81)
- Wienbibliothek im Rathaus: Musikalischer Nachlass Geschwister Grünschlag
- Wienbibliothek im Rathaus: Nachlass Geschwister Grünschlag
Literatur
- Nicole Ristow: Hilda Stern. In: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit. Hg. von Claudia Maurer Zenck / Peter Petersen / Sophie Fetthauer. Hamburg: Universität Hamburg 2016 [Stand: 06.11.2024]
- Katharina Hohnsbehn: Toni Grunschlag. In: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit. Hg. von Claudia Maurer Zenck / Peter Petersen. Hamburg: Universität Hamburg, 2009 [Stand: 06.11.2024]
- Abaigh McKee: The Grunschlag Family – David, Toni and Rosi [Stand: 06.11.2024]
Toni Grünschlag im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus und im Katalog des Leo Baeck Instituts
Weblinks
- Film "It runs in the family" [Stand: 06.11.2024]
- Ausschnitt aus dem Film "Toni and Rosi" [06.11.2024]
- Wienbibliothek im Rathaus: "Immer ready sein zu gehen". Der Exil-Nachlass der Musiker-Geschwister Grünschlag. Ausstellung vom 10.12.2015–29.04.2016 [Stand: 06.11.2024]