Rosi Grünschlag
Rosi Grünschlag, * 16. Mai 1922 Wien, † 15. Jänner 2012 New York (USA), Pianistin, Klavierlehrerin.
Biografie
Kindheit und musikalische Ausbildung in Wien
Rosa (Rosi) Grünschlag kam 1922 als jüngstes von drei Kindern einer jüdisch-orthodoxen Familie in Wien zur Welt. Ihre Eltern Moritz (Moses) und Cecilia (Zirl) Grünschlag stammten aus Drohobytsch in Galizien im damaligen Österreich-Ungarn und zogen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit Rosis älterem Bruder David nach Wien, wo 1916 ihre Schwester Toni geboren wurde.
Der Vater hatte in jungen Jahren Trompete am Wiener Konservatorium studiert. Auf seinen Wunsch hin bekamen seine drei Kinder früh Instrumentalunterricht. In verschiedenen Interviews erzählt Rosi Grünschlag, dass sie mit zweieinhalb Jahren weder gehen noch sprechen konnte, doch in der Lage war, am Klavier Melodien nachzuspielen, die sie von ihren Geschwistern gehört hatte. In den ersten Jahren erteilte Moritz Grünschlag Rosi Klavierunterricht, ab 1928 lernte sie bei Hilda Stern-Pollak, die bereits seit sechs Jahren ihre Schwester unterrichtete. Alle drei Geschwister hatten ein absolutes Gehör. Die Mutter, die selbst keine Musikerin war, unterstützte und motivierte ihre Kinder wesentlich in ihren musikalischen Ausbildungen.
Familie Grünschlag wohnte im 2. Wiener Gemeindebezirk, Rosi besuchte die Volksschule Sterneckplatz. Die Geschwister begleiteten Schulfeiern musikalisch und spielten häufig bei Schülerkonzerten im Akademietheater.
Ihr Konzertdebüt gab Rosi Grünschlag 1934 oder 1935 in Wien im Großen Musikvereinssaal. Ihre Interpretation von Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge in d-Moll kam sehr gut an. Auf Betreiben ihres Vaters studierte sie ab 1936 bei Walter Kerschbaumer an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst. Als Rosi nach dem "Anschluss" 1938 aus Vorsicht nicht mehr zum Unterricht erschien, schickte Kerschbaumer nach ihr, um sie zu überzeugen, das Ausbildungsjahr abzuschließen, das mit Juni endete.
Flucht aus Wien
Zu dieser Zeit lebten Rosi, Toni und Cecilia Grünschlag nur noch zu dritt in Wien: Der ältere Bruder David war bereits Ende 1936 als Mitglied des von Bronisław Huberman gegründeten Palestine Symphony Orchestra ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina emigriert. Der Vater, der ihn dort ein Jahr später besuchte, kehrte aufgrund der politischen Lage nicht mehr nach Wien zurück. David konnte über das Orchester für beide Eltern Aufenthaltsgenehmigungen bekommen – Cecilia Grünschlag floh 1939 aus Wien –, jedoch nicht für seine Schwestern.
Mit der Hilfe Bronisław Hubermans erhielten Rosi und Toni schließlich Studentenvisa für die Ausreise nach England. Ende April 1939 flohen die beiden aus Wien über die Niederlande nach London. Nach einer Zeit in einer Flüchtlingsunterkunft wurden die Schwestern für zwei Monate von einer Gastfamilie aufgenommen, die ihnen ermöglichte, Klavier zu üben, bevor sie in die USA weiterreisen konnten. Die dafür nötigen Affidavits bekamen sie über ihren Vater, der von Palästina aus die amerikanische Staatsbürgerschaft zurückerhielt, die er in seiner Jugend schon besessen hatte.
Leben in den USA
Am 1. November 1939 kamen die Schwestern per Schiff nach New York, einen Monat später auch Moritz und Cecilia Grünschlag. Ein Rabbiner, den der Vater dort bald kennenlernte, ermöglichte es Rosi und Toni, in seiner Synagoge Klavier zu spielen, und engagierte sie dann als Pianistinnen für seine Gottesdienste. Der Pastor der Plymouth Church, wo sie ebenfalls auftraten, sorgte dafür, dass sie Olin Downes vorspielen konnten, dem Musikkritiker der New York Times, der von ihrem Spiel begeistert war. Downes schlug ihnen eine Karriere als Klavierduo vor, weil ihre so unterschiedlichen Spielweisen einander ideal ergänzen würden, und vermittelte sie an den Pianisten und Klavierlehrer Robert Casadesus, der sie coachte.
Rosi und Toni Grünschlag widmeten sich fortan der Literatur für zwei Klaviere und gaben ihr Debüt als Duo im März 1945 in der Town Hall in New York. Es war der Beginn einer sehr erfolgreichen Karriere. 1952 gingen die Schwestern auf Konzerttournee an der US-amerikanischen Westküste, 1955 folgte die erste Europatournee. „Die Kritiker haben immer gefunden, dass wir sehr interessante Programme machen“, erinnert sich Rosi Grünschlag in einem Interview von 1997.[1]
Neben der Karriere als Konzertpianistinnen unterrichteten beide Schwestern – Rosi ab 1951 – über zwei Jahrzehnte lang an der Ethel Walker School in Connecticut Klavier. Das Engagement erlaubte ihnen Konzertreisen in Amerika und Europa.
Rosi und Toni Grünschlag besuchten ihre Geburtsstadt nach ihrer Flucht noch drei Mal. 1968, um im Mittleren Konzerthaussaal Jan Ladislav Dusíks Konzert für zwei Klaviere und Orchester in B-Dur op. 63 für Schallplatte einzuspielen, 1995 und schließlich 2006, um bei einer Holocaust-Gedenkveranstaltung Werke von Franz Schubert zu spielen.
Toni Grünschlag, mit der Rosi ihr Leben lang zusammengewohnt hatte, starb im Jänner 2007 an Krebs. Ihr letztes gemeinsames Konzert gaben die Schwestern am 18. Mai 2006 in der Steinway Hall in New York. Rosi Grünschlag überlebte ihre Schwester um genau fünf Jahre, in denen sie immer noch Solokonzerte gab. Am 15. Jänner 2012 starb sie 89-jährig in New York.
Es gibt mehrere Filme über das Leben der Grünschlags: "Toni and Rosi" (2011) von Will Wyatt und Todd Murray, "Orchestra of Exiles" (2012) von Josh Aronson und Denise George und "It runs in the family" (2013) von Dorit Straus und Lucas Groth. Im Online-Archiv des Leo Baeck Instituts finden sich Audioaufnahmen von Interviews mit den beiden Schwestern.
Ein gemeinsamer Nachlass von Rosi, Toni und David Grünschlag befindet sich in der Wienbibliothek im Rathaus, die 2015 eine Ausstellung über die Geschwister zeigte. In sechs Archivboxen und einer Großformatmappe finden sich unter anderem Briefe, Fotografien und andere Lebensdokumente der Geschwister. Der musikalische Nachlass umfasst vier Archivboxen und enthält überwiegend Violinliteratur, auch Klavier- und Kammermusik, in gedruckter Form.
Quellen
- Film von Dorit Straus / Lucas Groth: „It Runs in the Family. Our Musical History.“ (Ya Ya Ya...Vater Productions in Zusammenarbeit mit Thrice Cooked Chicken Films und Svee-Tart Productions 2013) [Stand: 06.11.2024]
- Austrian Heritage Center, Bernhard Gàl: Interview with Rosi Grunschlag, New York, 7. Nov. 1997 (Sign. New York: AHC 82)
- Wienbibliothek im Rathaus: Musikalischer Nachlass Geschwister Grünschlag
- Wienbibliothek im Rathaus: Nachlass Geschwister Grünschlag
Literatur
- Nicole Ristow: Hilda Stern. In: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit. Hg. von Claudia Maurer Zenck / Peter Petersen / Sophie Fetthauer. Hamburg: Universität Hamburg 2016 [Stand: 06.11.2024]
- Katharina Hohnsbehn: Rosi Grunschlag. In: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit. Hg. von Claudia Maurer Zenck / Peter Petersen. Hamburg: Universität Hamburg 2010 [Stand: 06.11.2024]
- Abaigh McKee: The Grunschlag Family – David, Toni and Rosi [Stand: 06.11.2024]
Rosi Grünschlag im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus und im Katalog des Leo Baeck Instituts.
Weblinks
- Film „It runs in the family“
- Ausschnitt aus dem Film „Toni and Rosi“
- Wienbibliothek im Rathaus: "Immer ready sein zu gehen". Der Exil-Nachlass der Musiker-Geschwister Grünschlag. Ausstellung vom 10.12.2015–29.04.2016