Wiener Charta
Die Wiener Charta ist ein am 13. März 2012 vom damaligen Bürgermeister Michael Häupl, der Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou und der Stadträtin Sandra Frauenberger vorgestelltes Projekt zum respektvollen Miteinander in der Stadt. Anhand von Gesprächen der Bürgerinnen und Bürger miteinander sollten Prinzipien dafür erarbeitet werden. Die Charta sollte kein Diktat von oben sein, kein neues Regelwerk, dessen Einhaltung sanktioniert wird. Es sollten Menschen aus unterschiedlichen Generationen und mit unterschiedlichen Lebenseinstellungen, Hautfarben, Berufen und Meinungen zusammenkommen, diskutieren und die Charta erarbeiten. Dank dieses Vorgehens weist die Charta europaweite Einzigartigkeit auf.
Ablauf
Die Stadt Wien stellte für diese Plattform den Bürgerinnen und Bürger mit dem Ort und der Moderation den Rahmen zur Verfügung. Als "Einstieg" gab es eine inhaltliche Vorgabe in Form von unverzichtbaren Grundlagen, die auf der Rechtsordnung (zum Beispiel die Menschenrechte) beruhen. Auf diesem Basis-Dokument baute die Diskussion auf. Zusätzlich wurde ein unabhängiger Beirat gegründet, der sich aus sechs Personen aus dem öffentlichen Leben zusammensetzte. Dieser Beirat stellte die Transparenz, Offenheit und Glaubwürdigkeit sicher und sorgte dafür, dass nur die Meinung der Wienerinnen und Wiener berücksichtigt wird, keine Beeinflussung von außen stattfindet und die Grundregeln geachtet werden.
Um eine möglichst große Breite der Wienerinnen und Wiener zur erreichen, wurden Partnerorganisationen gesucht. Alle Organisationen Wiens, darunter Unternehmen, Vereine, SozialpartnerInnen und Glaubensgemeinschaften, wurden eingeladen, als PartnerInnen der Wiener Charta den Prozess aktiv mitzugestalten. 325 Organisationen sind der Einladung gefolgt. Zwischen 19. März und 1. April 2012 konnten alle Wienerinnen und Wiener Themen, die ihnen für ein gutes Zusammenleben wichtig erschienen, einbringen. Diese Themenwünsche wurden transparent online gestellt. Im Anschluss fasste der Beirat die 1848 Themenblöcke zu den drei Themenblöcken "Miteinander auskommen", "Nicht immer dasselbe" und "Aufgeräumt wohlfühlen", die insgesamt sieben Themen abdecken, zusammen. Die Präsentation erfolgte am 13. April 2012.
Im Zeitraum zwischen 13. April und 14. Oktober 2012 wurden 651 Charta-Gespräche von Partnerinnen Partnern sowie engagierten Personen organisiert. Als Gesprächsorte fungierten Filialen von Unternehmen, Vereinslokale, Gaststätten, Parks, Schwimmbäder, Büros, Jugendzentren oder PensionistenInnen-Wohnhäuser. Ein Charta-Gespräch konnte für einen bestimmten Personenkreis (beispielsweise Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Firma, Bewohnerinnen und Bewohner eines Wohnhauses) organisiert werden oder für alle Interessierten offenstehen.
Mehr als 8.500 Personen nahmen schließlich daran teil. Sie bildeten einen Querschnitt der Wiener Bevölkerung: Kinder, Jugendliche, Seniorinnen und Senioren, Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellte und Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Menschen, die nicht im Erwerbsleben stehen; Menschen mit unterschiedlichen Muttersprachen und Geburtsländern, sowie unterschiedlichen religiösen, weltanschaulichen und politischen Überzeugungen. Die Gespräche wurden jeweils von zwei Personen moderiert, die das Gruppenergebnis transparent und nachvollziehbar online stellten. Anschließend konnten die Wienerinnen und Wiener Beiträge zu den sieben Themen online einbringen. Die Grundlage dafür bildeten die kurzen Zusammenfassungen der bisherigen Ergebnisse der Charta-Gespräche vom 28. September bis 14. Oktober 2012. Am 27. November wurde das Resultat in Form der Wiener Charta vom präsentiert.
Die Wiener Charta - der Text
Wien ist Heimat und Zuhause: Für Frauen und Männer, Junge und Alte, hier Geborene und Zugewanderte, für Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen, Lebensformen und Bedürfnissen. Damit wir gut miteinander auskommen, braucht es Respekt. Respekt heißt, andere Menschen zu akzeptieren, wie sie sind – so wie man selbst auch akzeptiert und respektiert werden will. Unsere gemeinsame Grundlage sind die Menschenrechte.
Miteinander auskommen
Umgangsformen im Alltag, Rücksicht im Zusammenleben
Das Zusammenleben in einer Großstadt ist eine Herausforderung. Es gibt viele Interessen und Lebensstile – in der Nachbarschaft, auf der Straße, im Park, in den Öffis, im Kaffee- und Gasthaus, am Sportplatz…
Grüßen und behilflich sein, ein einfaches "Bitte" oder "Danke", miteinander reden – das gehört zu einem freundlichen Umgang. Wenn uns etwas stört, sprechen wir es höflich und klar an. Sich in das Gegenüber hineinzuversetzen, kann viele Aggressionen abbauen.
Verhalten im Straßenverkehr und in den öffentlichen Verkehrsmitteln
Millionen Menschen sind in Wien unterwegs – in Eile oder gemütlich, zu Fuß oder mit einem Verkehrsmittel. Täglich treffen sie aufeinander. Damit das gut geht, braucht es Rücksichtnahme.
Im Straßenverkehr beachten wir die Regeln und versuchen gelassen zu bleiben. So können wir Konflikte vermeiden.
In öffentlichen Verkehrsmitteln stören wir andere nicht durch lautes Telefonieren oder Musikhören und nehmen ganz allgemein Rücksicht auf die anderen Fahrgäste.
Nicht immer dasselbe
Ich und die, die anders sind als ich
Die vielfältigen Lebensstile dieser Stadt sind eine Bereicherung. Sie können aber auch überfordern – das beste Mittel dagegen ist die richtige Portion Neugier und Offenheit. Welches Leben jede und jeder führen will, sollen alle in Wien selbst entscheiden können, wir tragen aber gemeinsam Verantwortung.
Wir stehen im Alltag den Lebensgewohnheiten und Erfahrungen anderer aufgeschlossen gegenüber. Dabei nehmen wir die eigenen Bedürfnisse ernst und sprechen sie an, und wir achten die der anderen. Weil jeder Mensch einzigartig ist, schließen wir von einer negativen Erfahrung nicht auf eine Menschengruppe. Wir sehen die Unterschiede, aber das Gemeinsame ist uns wichtiger.
Deutsch sprechen – andere Sprachen sprechen
Miteinander zu kommunizieren, zu reden, ist für das gegenseitige Verständnis wesentlich. In Wien werden viele Sprachen gesprochen, das ist Zeichen der Vielfalt.
Ein gemeinsames Leben braucht eine gemeinsame Sprache. Daher unterstützen wir Sprachneulinge verständnisvoll dabei, Deutsch zu lernen. Wer sich noch unsicher fühlt, arbeitet weiter daran, das eigene Deutsch zu verbessern. Die Erstsprache in Wien zu sprechen und lernen zu können ist uns wichtig. Verschiedene Sprachen und Kulturen gehören seit Jahrhunderten zur Identität Wiens.
Jung und Alt
Jeden Tag treffen Menschen verschiedener Generationen in Wien aufeinander. Freizeitinteressen sind unterschiedlich, oft gehen auch die Vorstellungen auseinander, wie ein gutes Leben in unserer Stadt aussieht.
Wir wünschen uns Wien als kinder- und jugendfreundliche Stadt – Kinderlärm ist kein Lärm. Es ist uns aber auch wichtig, dass sich ältere Menschen zu Hause fühlen. Wir hören anderen Generationen zu und interessieren uns für ihre Erfahrungen. Wir respektieren ältere Menschen und geben Kindern und Jugendlichen die Wertschätzung und den Freiraum, den sie brauchen.
Aufgeräumt wohlfühlen
Sauberkeit in der Stadt
Die Sauberkeit der Gehsteige, Höfe, Parks, Spielplätze, Wiesen und Wälder ist für alle wichtig. Wir gehen mit unserer Umwelt sorgfältig um.
Weil wir gerne in einer sauberen Stadt leben, lassen wir keinen Müll liegen, werfen Zigarettenstummel nicht auf die Straße und räumen Hundekot weg. Wir fühlen uns verantwortlich für unsere Stadt, in der wir leben.
Öffentlicher Raum – Lebensraum für uns alle
Im öffentlichen Raum muss es Möglichkeiten zum Zeitvertreib, zum Austausch und zum Gespräch geben. Er muss allen Menschen gleichberechtigt zur Verfügung stehen.
Wir engagieren uns aktiv für seine Gestaltung und Erhaltung. Wir wollen mehr Raum, wo Begegnungen möglich sind und nichts konsumiert werden muss. Wir akzeptieren unterschiedliche Bedürfnisse und suchen daher gemeinsame Lösungen und tragfähige Kompromisse.
Siehe auch: Magistratsabteilung 17 – Integration und Diversität