Wolfgang Bauer
Wolfgang Bauer, * 18. März 1941 Graz, † 26. August 2005 Graz, Schriftsteller, Dramatiker, Regisseur.
Biografie
Wolfgang Bauer wurde als einziges Kind der Gymnasiallehrer Edith und Rolf Bauer am 18. März 1941 in Graz geboren. Nach der Volksschule besuchte er das Grazer Lichtenfelsgymnasium, an dem seine Mutter unterrichtete. 1959 begann Bauer ein Jusstudium in Graz, wechselte zu Romanistik (Französisch) und Geographie und war schließlich von 1962 bis 1966 an der Universität im Fach Theaterwissenschaft inskribiert, wobei er keines der Studien abschloss. Ab 1962 trat Bauer als Autor von experimentellen Theaterstücken in Erscheinung und entwickelte sich schnell zu einem der wichtigsten und bekanntesten deutschsprachigen Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Bauer knüpfte schon zu Beginn seiner Studienzeit Kontakte zur progressiven Grazer Kulturszene um Alfred Kolleritsch, was ihn direkt in den Kreis des 1960 eröffneten Forum Stadtpark brachte. Freundschaften mit AutorInnen wie Barbara Frischmuth, Helmut Eisendle oder Gunter Falk entstanden. Bauer, der sich zunächst in der Malerei versuchte, arbeitete ab 1961 konsequent an literarischen Texten. Ein Erweckungserlebnis soll eine Aufführung von Eugène Ionescos "Die Nashörner" im Grazer Rittersaal gewesen sein. Ein wichtiger Schritt in Richtung Öffentlichkeit war die Teilnahme am "Studio der Werkstatt für neue Dramatik", das Emil Breisach im Forum Stadtpark initiierte. Schon 1962 wurden auf der dortigen Bühne die Stücke "Maler und Farbe" und "Der Schweinetransport" inszeniert, Bauer trat erstmals vor Publikum auf und konnte in der Zeitschrift "manuskripte" seine ersten Texte veröffentlichen. Im gleichen Jahr war der Jungdramatiker zu einer Lesung in der Wiener Secession eingeladen, wo er den Protagonisten der Wiener Gruppe H. C. Artmann, Konrad Bayer und Gerhard Rühm begegnete.
In Wien, wo er von 1962 bis 1964 lebte, wohnte Bauer in der Berggasse 18, anfangs gemeinsam mit einem Freund, dem späteren Regisseur Horst Zankl. An der Universität zogen ihn die Lehrveranstaltungen von Margret Dietrich an, die sich trotz NS-Prägung mit Gegenwartsdramatik und avantgardistischen Strömungen beschäftigte. In dieser Zeit verfasste Bauer die sogenannten Mikrodramen, deren Titel sich zumeist auf die klassische (Kultur-)Geschichte beziehen (z. B. "Cleopatra", "Richard Wagner", "Wilhelm Tell"); mit einer Auswahl dieser Texte debütierte er 1964 auf dem Buchmarkt. Es folgten jene Werke, mit denen sich Bauer in den Kanon der deutschsprachigen Literatur nach 1945 katapultierte: 1967 legte er mit "Der Fieberkopf" einen Roman vor, der unter Rückgriff auf die traditionsreiche Form des Briefromans das Misslingen menschlicher Kommunikation vorführt. Vom Zerfall der Kommunikation sind auch die folgenden Stücke geprägt. "Party for Six" (uraufgeführt am Landestheater Innsbruck, 1969), "Magic Afternoon" (Landestheater Hannover, 1968) und "Change" (Wiener Volkstheater, 1969) machten Bauer als anarchisch-avantgardistischen Bürgerschreck berühmt und zu einem Liebling der Medien ("Magic Wolfi").
Nach diesen Erfolgen leistete sich Bauer mit der Gedichtsammlung "Das stille Schilf" einen kokettierenden Ausflug in die Ästhetik des Banalen und Schlechten ("Ein schlechtes Meisterwerk: schlechte Texte mit schlechten Zeichnungen") und wurde auf der dazugehörigen Lesetournee durch Deutschland, auf der er von Herbert Feuerstein musikalisch begleitet wurde, erst recht gefeiert. Bauer erhielt mit dem Peter-Rosegger-Literaturpreis und dem Theodor-Csokor-Preis 1970 schließlich auch seine ersten Würdigungen von Seiten des offiziellen Literaturbetriebs. 1970 war Bauer außerdem DAAD-Stipendiat in Berlin, wo er mit Peter Handke und Oswald Wiener zusammentraf und sich wieder konzentriert dem literarischen Schreiben widmete. Es entstanden mehrere Arbeiten fürs Fernsehen ("Die Edegger-Familie", "Poker in Paris") und – zurück in Graz – die Stücke "Film und Frau" sowie "Silvester oder Das Massaker im Hotel Sacher".
Anfang der 1970er Jahre sah es so aus, als ob Bauer familiär sesshaft werden würde. 1971 heiratete er und sein Sohn Jack Donald kam zur Welt, doch wurde die Ehe bereits im Jahr darauf geschieden. In den folgenden Jahren war Bauer sowohl privat als auch beruflich viel auf Reisen, in den USA mit Gerhard Roth und Alfred Kolleritsch, in Marokko, Indien, Singapur, Schweden oder Israel. Während Bauers Theaterstücke im englischsprachigen Raum immer bekannter wurden, verbrauchte sich in Österreich und Deutschland allmählich der Ruhm. Die Zäsur des Publikumserfolgs liegt zwischen den Stücken "Gespenster" (1974) und "Magnetküsse", das 1976 im Akademietheater in Wien uraufgeführt wurde und bei der Theaterkritik großteils durchfiel.
Das dramatische Werk nach 1976, besonders das Spätwerk, wurde bisher – im Vergleich zu den berühmten Stücken der frühen Schaffensphase – von den Bühnen vernachlässigt, wird aber von großen SchriftstellerInnen wie Elfriede Jelinek, Barbara Frischmuth oder Gerhard Roth hochgeschätzt. Bauer habe, so Peter Turrini, "messerscharf beobachtet, wie sich der Mensch zunehmend zwischen Fiktion und Wirklichkeit auflöst" (zitiert in Antonic 2018, S. 12). Bauers Stücke sind experimentelles Theater, das sich innerhalb des Rahmens der traditionellen Guckkasten-Bühne abspielt, und fordert das Publikum mit der Vermischung von existenzphilosophischem Pessimismus und kalauerndem Klaumak heraus: "Ich möchte auch, daß der Zuschauer manchmal vielleicht falsch lacht, über etwas mitlacht, was eigentlich höhnisch ist." (Wolfgang Bauer, Dossier 1994, S. 14) Publikum und Medien fühlten sich stets dazu eingeladen, die Stücke auch in Hinsicht auf ihren Autor zu lesen, auf die Exzesse seiner zeitweiligen Lebensführung, auf die Milieus, in denen er sich herumtrieb. Dass Bauer auch mit diesem Zugang zu seinem Werk spielte, beweist sein letztes Stück mit dem Titel "Foyer" (2004), in dem ein gealterter Dramatiker im Foyer eines Theaters auf die Uraufführung seines "autobiographischste[n]" Werks wartet.
Wolfgang Bauer, der seit der Gründung 1973 Mitglied der Grazer Autorenversammlung gewesen war, unterrichtete von 1992 bis 2001 an der „Schule für Dichtung“ in Wien. Für sein Schaffen erhielt er mehrere Auszeichnungen, etwa die Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold 1991 und schließlich 1995 den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur.
2002 verkaufte Bauer einen Teil seines Vorlasses, der acht Archivboxen füllt, an die Wienbibliothek im Rathaus. Bei der Abholung des Bestandes soll er gesagt haben: "Eigentlich gehör ich eh dorthin, zu Grillparzer und Nestroy, nicht nach Graz" (zitiert nach Antonic 2018, S. 17). Der verbliebene Teilnachlass ging nach Bauers Tod an das Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung der Universität Graz.
Werke (Auswahl)
- Wolfgang Bauer: Mikrodramen. Berlin: Fietkau 1964 (= schritte, 9)
- Wolfgang Bauer: Der Fieberkopf. Roman in Briefen. Frankurt am Main: Bärmeier und Nikel 1967
- Wolfgang Bauer: Das stille Schilf. Ein schlechtes Meisterwerk: schlechte Texte mit schlechten Zeichnungen und einer schlechten Schallplatte. Franktfurt am Main: Bärmeier und Nikel 1969
- Wolfgang Bauer: Magic Afternoon. Change. Party for Six. Drei Stücke. Nachwort von Ute Nyssen. Köln / Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1969 (= pocket, 2)
- Wolfgang Bauer: Romeo und Julia. Mikrodramen. Ausgestattet mit 21 Holzschnitten und einer bunten Kulisse von U. Bremer, A. Schindehütte, J. Vennekamp, A. Waldschmidt. München: Hanser 1969
- Wolfgang Bauer: Katharina Doppelkopf und andere Eisenbahnstücke. Illustrationen von Peter Sengl. Dornbirn: Vorarlberger Verlagsanstalt 1973
- Wolfgang Bauer: Gespenster. Silvester oder Das Massaker im Hotel Sacher. Film und Frau. Drei Stücke. Nachwort von Hubert Fichte. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1974 (= pocket, 54)
- Wolfgang Bauer: Der Sumpftänzer. Dramen, Prosa, Lyrik aus zwei Jahrzehnten. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1978
- Wolfgang Bauer: Pfnacht. Komödie in 3 Akten. Graz: Droschl 1980
- Wolfgang Bauer: Das Herz. Gedichte. Salzburg / Wien: Residenz 1981
- Wolfgang Bauer: In Zeiten wie diesen. Ein Drehbuch. Salzburg / Wien: Residenz 1984
- Wolfgang Bauer: Werke. Hg. von Gerhard Melzer. Graz / Wien: Droschl 1987–2004
- Bd. 1: Einakter und frühe Dramen, 1987
- Bd. 2: Schauspiele 1967–1973, 1986
- Bd. 3: Schauspiele 1975–1986, 1986
- Bd. 4: Der Fieberkopf. Roman, 1986
- Bd. 5: Gedichte, 1992
- Bd. 6: Kurzprosa, Essays und Kritiken, 1995
- Bd. 7: Filme und Fernsehspiele, 1995
- Bd. 8: Schauspiele 1988–1995, 1996
- Bd. 9: "Foyer" und andere Stücke, 2004
- Wolfgang Bauer: Ein schlimmes Kind bin ich. Dramen, Prosa, Lyrik aus vier Jahrzehnten. Hg. von Gerhard Melzer und Andreas Unterweger. Wien: Sonderzahl 2007
- Wolfgang Bauer: Der Geist von San Francisco. Verstreut publizierte und nachgelassene Texte. Hg. von Thomas Antonic. Klagenfurt / Graz / Wien: Ritter 2011
- Wolfgang Bauer: Der Rüssel. Szenische Texte aus dem Nachlass. Hg. von Thomas Antonic. Klagenfurt / Graz / Wien: Ritter 2015
Quellen
Literatur
- Wolfgang Bauer. In: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (Stand 15.2.2019)
- Thomas Antonic: Wolfgang Bauer. Werk. Leben. Nachlass. Wirkung. Klagenfurt / Graz: Ritter 2018
- Wolfgang Bauer. Dossier online. Jg. 1 (2017), H. 1
- Walter Grond, Gerhard Melzer [Hg.]: Wolfgang Bauer. Graz / Wien: Literaturverlag Droschl 1994 (= Dossier, 7)
- Wolfgang Bauer. Text+Kritik, H. 59 (Juli 1978)
Literatur von und über Wolfgang Bauer finden Sie im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.