Adolf-Loos-Stadtführung (17. Jänner 1914)

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Portal des Liechtensteinschen Majoratshauses in der Bankgasse, um 1900
Daten zum Ereignis
Art des Ereignisses Stadtführung
Datum vonDatum (oder Jahr) von 17. Jänner 1914
Datum bisDatum (oder Jahr) bis 17. Jänner 1914
Thema Architektur
VeranstalterVeranstalter Adolf Loos
Teilnehmerzahl
Gewalt Nein
Wien Geschichte WikiIdentifier/Persistenter URL zur Seite  360494
GNDGemeindsame Normdatei
WikidataIDID von Wikidata
Siehe auchVerweist auf andere Objekte im Wiki  Adolf Loos, Adolf Loos (Portal)
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Letzte Änderung am 20.09.2022 durch WIEN1.lanm09mur
BildnameName des Bildes Lichtensteinsches Majoratshaus Portal Bankgasse Wien Museum Online Sammlung 18484 1.jpg
BildunterschriftInformation, die unterhalb des Bildes angezeigt werden soll Portal des Liechtensteinschen Majoratshauses in der Bankgasse, um 1900

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48° 12' 35.35" N, 16° 21' 47.22" E, 48° 12' 36.87" N, 16° 21' 47.24" E, 48° 12' 33.35" N, 16° 21' 49.22" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Route: Abraham-a-Sancta-Clara-GasseBankgasseMinoritenplatz
Schnitt durch die Hauptstiege, 1885
Seitenportal am Minoritenplatz, um 1910
Treppenabsatz im 1. Stock der Hauptstiege, 1967

Es handelt sich um die siebte von zehn Stadtführungen, die Adolf Loos im Rahmen seiner Bauschule zwischen November 1913 und März 1914 veranstaltete.

Transkription der Mitschrift

"Der Bau des Palais Liechtenstein wurde im Jahre 1685 begonnen und hat bis 1711 gedauert. Der Erbauer, Domenico Martinelli aus Lucca, wurde der Fürstin Liechtenstein vom Grafen Martinitz empfohlen, der damals österreichischer Gesandter in Rom war. Martinelli hat alle Liechtensteinpalais hier gebaut, das Stammpalais, das sogenannte Majoratsschloss, das Sommerpalais in der Rossau. Die Paläste Martinellis sind von den anderen Palästen total verschieden; sie haben einen starken römischen Einschlag und sind von einer großen Monumentalität, die die Wiener nie gehabt haben. Mit dem Portal ist es anders; das Portal ist etwas, das nicht ganz hingehört. Martinelli war während des Baues 5 Jahre lang in Rom und da haben ihm andere Leute hineingepfuscht. Das Portal hat einen Wienerischen Zug; davon abgesehen ist die Fassade großartig, das Höchste, das in Wien geschaffen wurde. Das Portal, von den Wienern am meisten geschätzt, ist das, was am kleinlichsten daran ist.

Das Palais hat kein Mezzanin, 1. und 2. Stock sind gleich hoch. Das Stiegenhaus ist das schönste Barockstiegenhaus, das wir haben. Vieles ist nicht von Martinelli. Die Bildhauerarbeiten sind von jenem, dem anderen. Martinelli war ein herrlicher Gewaltmensch. Da der Fürst Johann Adam nicht auf seine Intentionen eingegangen ist, erklärte er in Plakaten, dass der Fürst ein Banause sei und ihn in der vollkommenen Ausführung eines Kunstwerkes verhindere. Dem Fürsten war wohl die Anlage der Stiege zu streng. Im Rossaupalast hatte Martinelli alles auf Materialwirkung ausgebaut, wundervollen farbigen Marmor verwendet. Die Wiener sind aber immer Ornamentiker gewesen und haben wenig Gefallen daran gefunden.- Der Grundriss, die Dimensionen sind vom Architekten, aber im Detail ist viel geändert worden, ist gar manches, von dem man sagen kann, dass ein Mann, der das Portal geschaffen hat, dies nicht machen konnte. Eher sind die Pilaster mit Füllungen von Martinelli. Sie sind in vier Teile geteilt, davon zwei Teile glatt sind, die Mitte ornamentiert.

Das Stiegenhaus hätte viel großzügiger ausgesehen, wenn nicht Säulen, sondern Pilaster dagewesen wären. Der Bogen über den zwei Säulen (beim Aufgang rechter Hand vor dem Fenster) wirkt ganz kindisch. Er wollte sicher auch alles aus echtem Material haben – dass die Säulen in seiner Abwesenheit hingestellt wurden, beweist dass das Gebälk mit den Kapitälen nichts zu tun hat und dass diese letzteren dazu ganz unnatürlich verlängert wurden. Das war der Streich, den man dem Martinelli gespielt hat. Die Füllungen am Plafond (auch in einzelnen Gemächern) sind neu. Es waren ursprünglich Bilder dort und als die schlecht wurden, beging man den Skandal, statt sie zu restaurieren, Füllungen in englischer Modemanier dort anzubringen. Im Stiegenhaus die Stühle sollen englische Gotik sein, sind es aber nicht. Sie haben in der Lehne die deutsche Renaissancelinie, während ihre englische Gotik wiederum erkennbar ist an den gedrehten Füssen und gewundenen Strich.

1) Speisezimmer ohne Büffet 2) Empfangszimmer, schönster eingelegter Fußboden, Bandmuster, deutsche Dresdner Uhr 3) Festraum; bei den Türen dürfen keine Riegel verwendet werden; der Diener muss, wie es hier ist, beide Flügel mit einem Schlage öffnen können. 4) Tanzsaal; ausgezeichnet sind die drehbaren Spiegel, die bei den Festlichkeiten ganz entfernt werden, so dass man in die ausgezeichneten Seitengänge, die herumgehen, mehrere Eingänge hat. Luster und Wand- und Plafonddekorationen in den 30er Jahren restauriert: Rokoko mit dem damals modernen gotischen Einfluss. Die Blätter sind erhaben herausgearbeitet, das ist Spätgotik. Der Mann, der das gemacht hat, hat kolossal viel gekannt. Das bringt man heute nicht mehr zu Wege. 5) Salon Bonkschränke nach ihrem Erfinder, einem Elsässer Bonk benannt, der zuerst Messing und Schildkrot zusammengelegt hat. 6) Saal, ein Stuhl, feine Tischlerarbeit, der zeigt, wie Thonet auf seine Idee mit dem gebogenen Holz gekommen ist; wie die Linie der Lehne gleich den Fuß bildet. – Im 1. Zimmer des ersten Stockes auch ein entzückender Sessel, ganz leicht und zart, gebogenes Holz. Stuhllehne geflochten, zeigt, welche Möglichkeiten noch in den Thonetsesseln liegen, wie sie ganz zart gemacht werden können. – Im 7. Saal ist die Türeinfasssung fourniert; im Café Capua ist sie massiv. Aber alles massiv arbeiten ist ein Schmarrn; die feine Arbeit beginnt beim Fournieren; die Türeinfassung ist sehr fein, das Holz quer genommen, um die schöne Maserung herauszubekommen. Die ganze Hohlkehle ist fourniert. 7) Speisezimmer mit einem Buffet, das wie ein Schreibtisch aussieht. Sèvresvasen. Das Grün konnte nur in Sèvres erzeugt werden.- Die Holzläden vor den Fenstern sind mittels Hebevorrichtung von innen zu schließen, ohne die Fenster öffnen zu müssen. Im unteren Speisesaal war zu beobachten, welch vornehme Wirkung durch 2 Luster im Raum entsteht.- und auch, dass das Rokoko keine Vorhänge gekannt hat."

Kommentar

Am 17. Jänner 1914 stand ausschließlich das Liechtensteinisches Majoratshaus auf dem Programm, da Loos nicht nur die äußere Baugestaltung besprach, sondern auch die Innenräume und deren Ausstattung ausführlich erläuterte, wie die Notizen belegen.

Die Bewunderung, die dieses Bauwerk Adolf Loos abnötigte, hatte dieser bereits 1907 im Zuge der "Beantwortung einer Rundfrage" dargelegt: "Der schönste palast: palais Liechtenstein in der Bankgasse. Er ist so ganz unwienerisch, hat nichts von dem kleinlichen wiener barockstil. In dieser verzwickten kleinlichkeit mögen andere vorzüge erblicken. Hier tönt uns die machtvolle sprache Roms entgegen, unverfälscht, ohne die schnarrenden nebengeräusche eines deutschen grammophons. Geht vom Minoritenplatz durch die Abraham a Sancta Clara-gasse zu diesem gebäude und hebt vor dem portal den kopf." Adolf Loos bemühte sich während seiner Ausführungen, die komplexe Baugeschichte auf eine schlichte Botschaft herunterzubrechen: Domenico Martinelli entwarf einen Palast nach dem Vorbild des römischen Hochbarock, der sich deutlich von der Wiener Barocktradition unterscheidet, die Loos als weniger ernst und eher verspielt charakterisiert. Ob Loos die Entwürfe Enrico Zucallis für den Grafen Kaunitz, auf welche Martinelli sich stützte, ebenso unbekannt waren wie die Beteiligung Antonio Rivas und Gabriel di Gabrielis, kann aus der Mitschrift nicht erschlossen werden. Loos geht es vielmehr um die Charakterisierung des gesamten Baues als italienischen und nicht wienerischen Bau, wie er schon 1907 dargelegt hatte.

An der Fassade wies Loos gestalterische Einflüsse nach, die seiner Meinung nach den Intentionen Martinellis widersprechen: Das Portal am Minoritenplatz, das Johann Lucas von Hildebrandt zugeschrieben wird, entlarvt der Architekt Adolf Loos als fremdes und wienerisches Element, das in einer mehrjährigen Abwesenheit Martinellis entstanden sein soll und gleichsam ein Streich gegen den in Wien unverstandenen Italiener gewesen sei. Er sieht das Seitenportal definitiv als Werk Hildebrandts an, den Loos im Gegensatz zu Johann Bernhard Fischer von Erlach nicht sehr schätzte, da er ihn als unernsten Ornamentiker betrachtet.

Loos ahnt auch, dass im Stiegenhaus vieles nicht nach Martinellis Intentionen zugegangen sein mag. Tatsächlich war die Prunkstiege Anlass für ein drastisches Zerwürfnis zwischen dem Bauherrn Fürst Johann Adam Andreas und Martinelli, wie ein im Liechtensteinischen Hausarchiv erhalten gebliebener Brief Gabriel Gabrielis vom 25. September 1700 belegt: Darin ist von einem "grant errore della scala" die Rede. Es waren infolge von erheblichen Rissen in den Hauptmauern des Treppenhauses Abänderungen erforderlich gewesen, um den Bau zu sichern. Der Alleingang, den der Fürst hier mit Gabrieli gewagt hatte, führte zu einem erbitterten Streit zwischen Johann Adam Andreas und Martinelli, der in öffentlichen Aushängen ("cartelli") des Architekten kulminierte, in welchen er sich von den "variazione fatta nell’architettura del Palazzo" distanzierte. Loos hatte um diese Aktion des Architektenkollegen gewusst und sich von dessen aufbrausendem Temperament beeindruckt gezeigt.

Auf dem Weg durch die Innenräume des ersten und zweiten Obergeschoßes wies Loos neben der künstlerischen Ausgestaltung immer wieder auf technische Details hin, wie die drehbaren Spiegel im Ballsaal oder die über einen von innen bedienbaren Mechanismus zum Schließen der Fensterläden. Die Mitte des 19. Jahrhunderts unter der architektonischen Leitung Hubert Desvignes von Carl Leistler umgesetzten Renovierungsarbeiten interessierten Loos ganz besonders, da Leistler Michael Thonet engagierte, um von ihm Teile der Möblierung gestalten zu lassen. Loos selbst hatte ein Faible für die Leichtigkeit und Formbarkeit der Bugholzmöbel. In zahlreichen Interieurs, besonders von Kaffeehauseinrichtungen, kamen Bugholzmöbel der Wiener Bugholzmöbelfabrik Jacob und Josef Kohn zum Einsatz. Eine Vorstufe zu dieser späteren Entwicklung, mit der Thonet Weltruhm erlangte, konnte Loos in besonders leicht und zierlich gearbeiteten Stühlen erkennen, die im Liechtensteinpalais Verwendung fanden.

Die Mitschrift weist an einigen Stellen besonders in Bezug auf Eigen- bzw. Künstlernamen eklatante Schreibfehler bzw. Irrtümer auf, wobei ungeklärt bleibt, ob diese auf Loos selbst zurückzuführen sind bzw. dies Schreib- bzw. Hörfehler des Verfassers der Notizen sind. Mit dem "Elsässer Bonk" muss jedenfalls André-Charles Boule (1642–1732) gemeint sein.

Zur achten Führung

Quelle

  • Mitschrift zu Stadtführungen im Rahmen der Bauschule Adolf Loos. Wien, 1913-1914 / Wienbibliothek im Rathaus, ZPH 1442, schriftlicher Teilnachlass Adolf Loos, 1.4.20, Blatt 14

Literatur

  • Harald Stühlinger: Adolf Loos als Führer zu Architektur und Städtebau. In: Adolf Loos. Schriften, Briefe, Dokumente aus der Wienbibliothek im Rathaus. Hg. von Markus Kristan, Sylvia Mattl-Wurm und Gerhard Murauer. Wien: Metroverlag 2018, S. 223 f.
  • Burkhardt Rukschcio / Roland Schachel: Adolf Loos. Leben und Werk. Salzburg: Residenz Verlag 1982, S. 187 ff.
  • Johann Kräftner, Liechtenstein Collections. Das Stadtpalais der Liechtenstein. Geschichte und Restaurierung des fürstlichen Palais in der Wiener Bankgasse. Barock, Neorokoko, Biedermeier. Wien: Brandstätter 2015, S. 57.